Gernulf Olzheimer kommentiert (CXIX): Volkstümelei

2 09 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das Leben ist so verschieden hienieden. Was das Individuelle einer größeren Einheit ausmacht – nennen wir es Volk, der aufgeklärte Hominide hat ganz andere Sorgen – zeigt sich ohnehin meist in den zivilisatorischen Spuren. Nummernschild und Amtssprache, Vorwahl und Wurstsorte macht den Unterschied über die Landesgrenzen hinweg, während sich der durchschnittliche Verbraucher seinem Nachbarn normalerweise in vielem doch verbunden fühlt. Der Japaner nimmt gerne größere Mengen Wasserspinat zu sich, während der Geigerzähler beim Verzehr anheimelnd brummt, der Isländer verbuddelt tote Haie, deren Harnstoff vor dem Servieren gemächlich durchs Muskelgewebe dümpelt und auf dem Teller nach Bedürfnisanstalt im Spätsommer stinkt – ob Uran oder Urin, die kulturelle Identität hinterlässt ihre Spuren. Nicht jeder hat den nötigen Glibber unterm Schädeldach, um derlei relativierend zu schätzen. Der durchschnittlich Verdeppte schwiemelt sich rasch eine Lebenseinstellung aus dem Analogkäse der ethnologischen Differenzierung. Und tümelt volk.

Wo Brauchtum auf banale Lebenswirklichkeit trifft, einigt sich der Plebs aufs niedermolekulare Angebot. Kultur ist dem kognitiv Naturbelassenen nichts aus Goethes Feder, sondern die Erzeugnisse deutscher Braukunst, wahlweise auch das, was ein Vollhonk mit zu viel Bier in der Birne hervorbringt: Jodeln jenseits der Schmerzgrenze, krachlederne Unterleibsverkleidung und wurzelholzbedruckte Klebefolie zur Verschalung des Plattenbau-WCs. In China gefertigte Acetatseide-Blousons, Damwild-Musterung inklusive, mit Plastehirschhornknöpfen und aufgestepptem Eichenblatt in naturidentischer Schießbaumwolle samt Originell-Hoffbraüraus-Einnäher vervollständigen das Ensemble, und der Tümler weiß, dass er der echt völkischen Kultur zu pflegen pflegt. Lustigerweise imitiert der Abnehmer industrieller Fertiglumpen nur in Versatzstücken den Sonntagsstaat einer höchst überflüssigen Schicht, die heutzutage derlei textile Debilitäten nur noch auf dem Weg zum Rotkreuzcontainer trüge, und selbst das nur in der blickdichten Tüte.

Ohnehin fragt man sich von der objektiven Warte, wer in der Klamotten-, Musizier- und Werbeindustrie dieses Land versehentlich mit seinem südlichen Wurmfortsatz verwechselt. Trägt die geistig gesunde Frau in der Lüneburger Heide Dirndl? Knotet der Hesse seine Hirnwindungen beim Schnadahüpferl zusammen? Pfropft sich der Ostseeanrainer permanent Würstchen mit Kraut hinters Zäpfchen? Vermutlich werden demnächst renitente Jugendliche die Überreste der Berliner S-Bahn mit bajuwarischer Lüftlmalerei vollsprayen, in hirschledernen Hoodies und Goiserern mit blinkender Luftpolstersohle. Mehr als die Folklore einer weiland aus dem Osten eingewanderten Fremdtruppe in germanischem Gebiet scheinen die Kulturlenker nicht auf dem Schirm zu haben.

Warum auch. Für das Ruhigstellungsprogramm von Mode, Glotze und Pseudokultur reicht der Schmadder anscheinend, drittklassige Brezelbieger bei Schnack und Spack lassen sich von jenem Nationalsurrogat wunderfein einfangen und hinterfragen aus Prinzip (sowie aus Dummheit) nichts. Man könnte ihnen auch goldbestickte Strampler in Bauchgröße mit Adolf-Hardy-Emblem in Enddarmnähe verpassen und derlei Tracht als spätmittelalterliche Sitte teutscher Art bepreisen, sie würden ihr welkes Fleisch ohne ernsthafte Gegenwehr in jene Polyesterlappen stopfen. Alle sind dabei zufrieden. Der Produzent produziert, wenngleich in schadstofflustigen Slums asiatischer Großstädte, die Händler verdienen ein hübsches Vermögen an der Steuer vorbei, und wer in den Seppelsäcken durch die Landschaft torkelt, hört eh keinen Schuss mehr. Dazu eine Vollversorgung mit Bauerntheater, Kuhduft aus der Sprühdose, Zwiefacher vom Zithersizer, Zenzi bringt eine Maß, und in Potsdam fragt sich der Durchschnittsbürger, welche Vollhonkkohorte sich eigentlich Multikulti hat einfallen lassen.

Volkstümelei dient der nationalen Aufladung gegen den drohenden Minderwertigkeitskomplex – so wie fremde Ethnien nur von denen diffamiert werden müssen, die nicht an die regenerative Kraft der eigenen Kultur glauben, weil die konservativen Weichstapler kognitiv und ästhetisch ja nur bedingt belastbar sind. Sperrholzdeko im Eiche-mit-Scheuerspur-Stil, Fototapete von den schönsten Überresten der Industrialisierung und neudeutsches Altmetall im altdeutscher Rustikalmimikri, frisch vom Schrottplatz geerntet, das goutiert der Bekloppte, sozialisiert auf der kunsthistorischen Müllkippe und durchgeglüht im Handwerkermarkt auf dem Weg zum vollverzinkten Führerbunker. Die nationalen Symbole im Maßstab 1:23 wären das Ideal dieser Manie, und wie man die Wirtschaft kennt, sie hat bestimmt das Passende bereit. Noch träumt der Bescheuerte vom Kölner Dom aus Sandsteinimitat, doch mehr als Gundremmingen in Buche geflammt wird wohl nicht rauskommen. Man hat ja kaum mehr Platz für ein Minarett im Vorgarten.