Ich hatte mich lediglich in der Tür geirrt. Der Mann sprang sofort auf und zog mich ins Zimmer. „Sie haben mein Memo erhalten“, flüsterte er erregt, „was denken Sie darüber? Kann man diese ganze Bandbreite überhaupt – nein, sagen Sie es nicht. Ich verstehe, Ihnen fehlt der Sinn. Der tiefere Sinn!“ Ich nickte. „Nehmen Sie Platz, ich werde es Ihnen noch einmal erklären.“
Er breitete säuberlich ein großes Stück Papier auf dem Konferenztisch aus und zeigte auf den roten Fleck in der Mitte. „Unsere Behörde verwaltet die Grundversorgung – Rieke den Gefahrenaufbau, Hörbersprächer die ganze Pressearbeit, und für die Sondereinsätze haben wir dann ja Ihre Abteilung. Das ist generalstabsmäßig organisiert.“ Ich nickte, und er fuhr fort. „Zwei Zellen im Justizministerium übernehmen das Finanzielle, und der Kontaktmann in der Forstverwaltung übernimmt die Ankäufe für das technische Zubehör. Wir müssen uns für den Fall der Fälle ja mit neuen Geräten versorgen können, nicht wahr? Das macht übrigens die hier, die war früher mal Staatssekretärin und kennt sich mit halblegalen Geldverschiebungen aus, weshalb sie auch aus der Wirtschaft ins Innenressort – und das ist die Zentrale. Da schauen Sie, was?“ In der Tat war ich etwas erstaunt. „Ist das nicht etwas auffällig? Da ist immerhin jeden Tag internationaler Besucherverkehr.“ Er wiegte den Kopf. „Besser im Auge des Hurrikans verstecken als an seinen Rändern – man sollte immer von dort aus operieren, wo einen der Feind nie vermuten würde.“ So viel Umsicht hatte ich ihm gar nicht zugetraut; ich schwieg betroffen.
„Jetzt kommt die schwierigste Frage“, druckste er herum, „und da hatte ich an Sie gedacht.“ „Bei meiner momentanen Arbeitsbelastung kann ich Ihnen nichts versprechen“, begehrte ich auf, „und Ihr Konzept ist, ich will mal sagen: lückenhaft.“ „Das hat Hörbersprächer auch schon gesagt“, gab er zähneknirschend zu. Ich zog eine Augenbraue hoch. „Um so schlimmer.“ „Aber wir müssen zwei Dinge unter einen Hut bekommen: einmal die üblichen Investitionszahlen, und dann unsere internationalen Verpflichtungen. Wenn Sie mal schauen wollen?“ Er legte eine Reihe von Prospekten aus. „Wir haben die Zusage, dass wir für jeden Körperscanner zehn Videokameras bekommen und für jede Kamera eine Abhörausrüstung kostenlos. Die deutsche Panik- und Bedrohungszubehör-Industrie hat enorme Umsatzzahlen, wir können wegen der steigenden Renditen immer mehr Arbeitsplätze nach Asien verlagern, und das ist gut so.“ „Ich dachte, durch die Globalisierung seien große Lücken in die Wirtschaften der westlichen Nationen gerissen worden?“ Er lächelte. „Natürlich, das ist ja auch so gewollt. Aber wir haben auch eine gewisse Verantwortung gegenüber den Nationen, die wir seit Jahrzehnten ausbeuten. Die Bundesregierung hat die Entwicklungshilfe da etwas liberalisiert.“ „Gut“, überlegte ich, „es lässt sich Geld damit verdienen. Aber vergessen Sie bitte nicht, diese Ausgaben hinterher als vollkommen überflüssig darzustellen, da sie die Staatsquote in die Höhe treiben und Steuersenkungen erschweren.“ Er pfiff durch die Zähne. „Sie bringen einen ja auf ganz neue Ideen. Nicht schlecht.“
Ich fegte die Prospekte mit einem Ruck vom Tisch. „Schnickschnack“, fauchte ich. „Diese Zelle ist einfach schlecht organisiert. Hörbersprächer sollte die PR besser im Griff haben. Warum haben sich Nacktscanner, elektronischer Ausweis und Vorratsdatenspeicherung als Flop erwiesen? Weil die Öffentlichkeit zu viel vom Produkt wusste?“ Bevor er auch nur antworten konnte, fuhr ich ihm in die Parade. „Die Leute haben zu viel von der mangelnden Verwendungsfähigkeit erfahren, die ganze Produktlinie war für die Tonne.“ „Aber wir haben immerhin…“ „Ach was“, warf ich ein, „was war mit dem biometrischen Reisepass? Nicht einmal der Bundestrojaner hat die Herzen der Bundesbürger erobert. Das war einfach miserables Produktmanagement.“ Unvermittelt schlug ich die Faust auf den Tisch und schrie ihn an. „Was denken Sie eigentlich, wo Sie hier sind? Glauben Sie, dass Sie sich alles erlauben können? Das läuft Ihnen doch längst aus dem Ruder!“ „Ich weiß nicht“, stammelte er, „was ist? Was? Was getan?“ „Stellen Sie sich nicht dümmer an, als Sie sind!“ Langsam riss mir der Geduldsfaden. Was musste er auch Rieke in meine Abteilung stecken – jeder wusste, dass er ein Nichtsnutz war und versoffen dazu.
Mit einigen heftigen Kugelschreiberstrichen demontierte ich sein inkompetentes Organigramm (Hörbersprächer würde mich dafür hassen, aber hatte er sich das nicht selbst zuzuschreiben?) und setzte ihm die Pistole auf die Brust. „Sie haben die Sache immer noch nicht im Griff, und ich werde mir das nicht mehr länger mit ansehen. Ihre Leute haben derart Propaganda gegen das Rauchverbot gemacht, dass wir gar nicht verhindern konnten, die Vorratsdatenspeichelung für Zigarettenkippen mit Gefährderspucke mit aufzubauen – stellen Sie sich das mal vor, eine lückenlose DNA-Datenbank! Die auch noch funktioniert! Man hätte jedes noch so komplizierte Verbrechen sofort aufgeklärt, wie soll man da permanent neue Sicherheitstechnik fordern? Haben Sie mal an die Zukunft gedacht?“ Er wrang erregt die Hände. Ich stand mit einem Ruck auf. „Sie haben eine Woche Zeit, das zu überarbeiten. Ich erwarte eine straffere Personalplanung, klare Dienstvorschriften und vor allem Kostendeckelung bei zehn Milliarden pro Quartal.“ „Aber…“, stammelte er. „Nichts da“, wies ich ihn zurecht. „Wir müssen nicht mit Ihnen zusammenarbeiten, und wenn Sie demnächst Ihre Befehle von der Staatssekretärin empfangen wollen, sagen Sie es einfach. Verstanden?“ Er nickte verängstigt. „Ich erwarte Ihren Bericht. Und zwar baldigst.“
Die Tür fiel leise ins Schloss. Schon fast halb zwölf. Warum hatte ich den Bauantrag eigentlich nicht mit der Post geschickt?
Satzspiegel