
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Natürlich eignet dem Menschen ein gewisses Bedürfnis nach Information. Wer nicht weiß, woher der Wind weht und wohin das Beutetier trabt, wird einen schweren Stand haben im täglichen Kampf um Kalorien und Karma, und wer seine Neugier in gut dosiertem Maß einzusetzen versteht, findet sich dereinst mit ungewöhnlichen Dingen wieder, sei es auf dem Lehrstuhl, hinter der BILD oder im sozialen Aufstieg – Wissen ist Macht, und die lückenlose Erkundung des Wirklichen ebnet der Menschheit seit jeher den Weg zu Aufklärung und Zivilisation. Es sei denn, es handelt sich um den grassierenden Berieselungsjournalismus.
Was auch immer auf diesem Planeten sich zuträgt, Seebeben, platzende Kernkraftwerke oder Bombenattentate, das gefühlte Epizentrum der Detonation befindet sich unterhalb des gekachelten Couchtisches. Faktensplitter wummern in die Wohnhöhle – hier kokelt die Atomsuppe, dort ballern Regierungstruppen dem eigenen Volk Blei in die Kalotte, dazu kippt der DAX grazil auf die Fresse – und schießen den Cortex sturmreif für den Infotainment-Schleim, der aus der Mattscheibe suppt. Der arabische Frühling, präsentiert von einem automatischen Garagentor, gerinnt zur TV-Gallerte, funkompatibel in schmissig geschnitzter Dramaturgie mit der üblichen Doppelbesetzung aus Anchorman und hilfsverbalem Ersatzhansel. Der Euro raucht ab, während eine Horde nass gekämmter Genomflops BWL-Plüsch absondert. Spätestens mit dem Auftritt eines Bundesministers wird das Elend körperlich spürbar: Journalismus ist das nicht mehr. Denn die Gewäschkulisse bedient sich dreier Dinge, die nicht zusammengehen mit ordentlicher Nachrichtenübermittlung: Einbettung, Nichtnachricht und Dauerschleife.
Was die Einbettung angeht, die transatlantische Form der Hirnabsaugung für Kriegsberichterstatter, sie ist im zivilen Gewerbe so sinnvoll wie Brechreiz beim Hochseilakt. Offenbar hat sich die Haltung, den Außeneinsatz wie eine Frontshow abzuziehen, längst zum Standard entwickelt. Stirbt irgendwo ein Papst, dellt sich ein Balltreter kurz vor der WM die Stelzen ein, dräut die Endzeit in Gestalt der Kanzlerin, stets schwallt Bombast aus der Röhre, als sei gerade Stalingrad gefallen. Gefühlsechter Gänsehauthorror, darunter tun es weder Unter- noch Mittelschichtssender, und noch ein FDP-Parteitag hört sich an wie der Schuss, der um die ganze Welt gehört wurde (mit Ausnahme der FDP). Es muss ballern, je mehr, desto besser, und dies auch mit der zweiten Sünde, der inhaltlichen Nullaussage. Wo der Nachrichtenwert sich verflüchtigt, weil die Zuschauer bereits vorher gewusst hatten, dass Tokio die Hauptstadt von Japan ist, wo es sich um vage Vermutung, Bildbeschreibung oder Laienmeinung handelt, weil der Experte noch im Stau steht, dreht die Sendung frei. Sabbelkrampen schwiemeln sich das regredierte Weltbild aus dem Stammhirn, geben heitere Impromptus zum Besten und sorgen allenfalls für Knirschen im Getriebe. Wenn schon keine Fakten zur Verfügung stehen, schwafeln die Nachtjacken höchstens emotionale Befindlichkeiten in den Äther – wer hätte nach einem Tsunami auch erwartet, dass eine ganze Nation unter Schock stehen könnte – um zu zeigen, wie nah sie am Abgrund hocken. Hauptsache, es knallt. Man will ja dabei gewesen sein.
Und man ist dabei in reiner Gegenwart, weil die Dauerschleife der Nichtnachrichten das einmal Gesagte immer wieder rauskübelt, viertelstündlich unterbrochen von offensichtlich nur einmal pro Woche neu gestrickten News, die die Stunden und Tage vor der Flimmerkiste wie das Déjà-vu eines Hamsterrades erscheinen lassen. Das Unerträgliche, hier wird’s Ereignis. Während der Bekloppte noch leise nachzugrübeln beginnt, ob es sich bei dem Brennpunkt zum Oderhochwasser nicht um eine unverändert wiederholte Sondersendung aus dem Vorjahr handeln könnte, dämmert seine Denksülze langsam in den Valium-Modus, um ihn für den Rest des Programms mit Volksmusik und Polittalk vorzuweichen. Hektische Bilder schwirren ihm in die Pupille, trotz der miserablen Moderation wird er keine Hirnembolie erleiden, denn er ist tiefenentspannt. Der ganze Schmadder geht ihm ab.
Die Berieselung im Gewand journalistischer Programmangebote ist nicht viel mehr als eine Befriedigung atavistischer Reflexe. Wenn die Birne langsam leer wird, der Muskeltonus langsam in Richtung Brei geht, wenn die moralischen und intellektuellen Schranken langsam so weit sinken, dass ein Werbeblock schon nicht mehr als kulturelle Bereicherung empfunden wird, da man Anfang und Ende der Reklame nicht trennscharf wahrnimmt, dann ist der Zustand erreicht, den die Medien ihren Rezipienten am liebsten an den Hals wünschen: den User IQ Underflow in Komanähe, in dem man alles schluckt. Und glaubt. Und nicht hinterfragt. Der Mensch ist schlecht, die Welt ab Werk schon böse, da ist’s nur logisch, dass die Erde bebt, und es passt so gut zu Salzgebäck und Billigpils, dass die Tektonik wenigstens nicht hier zuschlägt, sondern bei den Bimbos, die eh nichts zu melden haben. Nicht mal bei den Garagentoren.
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