„Wir sehen hier keinen Grund, den Herrn Edathy zur Ordnung zu rufen. Nein, auf gar keinen Fall. Herr Edathy ist bei uns als Bundestagsabgeordneter angestellt und nicht als Social-Media-Experte.
Von einem Rücktritt kann überhaupt keine Rede sein, mein Lieber. Ausgeschlossen. Herr Edathy hat lediglich ein paar Fotos publiziert, was angesichts der zweifelsfrei aus dem Konrad-Adenauer-Haus gesteuerten Hetzkampagne in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Reaktion steht. Natürlich muss sich die SPD hier wehrhaft zeigen – man darf doch auf Erpressungsversuche dieser Art überhaupt nicht eingehen. Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Wenn Sie hier meinen, Sie müssten Herrn Edathy in die Pfanne hauen, dann sollten Sie sich mal ansehen, was Unionspolitiker im Internet mit minderjährigen Mädchen – das war legal? Das sagen Sie. Für uns gelten hier ganz andere Maßstäbe, merken Sie sich das. Im Übrigen hat Herr Edathy die betreffenden Inhalte nur deshalb so schnell gelöscht, weil er sich ganz und gar im Recht befindet. Denken Sie doch mal nach, bevor Sie Gerüchte in die Welt setzen!
Halbherzige Entschuldigung? Worauf wollen Sie denn da hinaus, Herr Edathy hat sich überhaupt noch nicht entschuldigt. Nein, sieht er auch gar nicht ein. Das ist ja auch eine Zumutung – möchten Sie etwa den ganzen Tag lang mit irgendwelchen Leuten herumärgern, die sich nicht einmal richtig anonymisieren können? Wie, Klarnamenspflicht? Wirklich? Dann sind wir auch dafür. Natürlich, das ist absolut notwendig. Unabdingbar! Sehen Sie mal, wenn man unter seinem eigenen Namen irgendwo postet, dann gibt es nämlich auch nicht immer diese unappetitlichen Beleidigungen. Ach was, juristisch im Recht – man muss schließlich Jurist sein, um das beurteilen zu können. Und genau deshalb sollten wir uns von dieser regierungstreuen Journaille auch nicht in die Enge treiben lassen! Gegebenenfalls werden wir Mitte nächster Woche handwerkliche Fehler zugeben, aber Sie werden uns nicht beim Vorsatz erwischen, klar!?
Wegen der kritischen Distanz zum Thema, verstehen Sie? Die Sozialdemokraten machen sich nicht einfach gemein mit einer Sache. Wir ergreifen nicht Partei, schließlich sind wir selbst eine – auch wenn das nichts besonders Ergreifendes ist. Nein, die SPD wahrt einen gesunden Abstand. Im Sozialausschuss haben wir beispielsweise einen, der nach entbehrungsreichen Jahren im Eliteinternat die Aktienpakete seines Vaters geerbt hat. Der kennt sich wirklich aus. Für die Filmförderung haben wir extra einen Taubblinden aus Hessen aufgespürt. Und Herr Edathy macht eben Rechtsausschuss.
Was werfen Sie denn dem Mann überhaupt vor? Der macht doch auch nur, was alle machen. Und er hat doch ganz recht, man könnte ein Drittel des Internets damit absperren. Schließlich gibt es Gesetze, und die muss man einfach mal anwenden. Es kann doch nicht sein, dass in diesem deutschen Internet jeder einfach so machen kann, was er will? Da muss man doch einschreiten können? Weil wir mit den modernen technischen Mitteln längst nicht mehr diese enorme Fülle an Straftaten in den Griff bekommen. Schauen Sie, da hat die Kanzlerin eben doch recht: es gibt Dinge, über die braucht man nicht zu diskutieren, die muss man einfach mal machen. Wie jetzt das mit dem Haushalt.
Das war doch gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Außerdem hat er doch ganz klar gesagt, man könne ihn mal, und nicht: man solle ihn mal. Sie messen hier schon wieder mit zweierlei Maß, und das muss man sich doch nun wirklich nicht von jedem dahergelaufenen Idioten – hören Sie mal, wenn es Ihnen nicht passt, wie wir als demokratische Partei mit den Bürgerinnen und Bürgern im Land umspringen, dann gehen Sie doch nach – ach so, stimmt.
Sicher; wir sind immer noch die Partei mit der stärksten Sozialkompetenz. Sonst hießen wir ja Asozialdemokraten. Bei uns wissen wir noch, was das heißt: Nestwärme. Falls Sie sich die Heizung noch leisten können. Nestwärme, mein Lieber, ist durch nichts zu ersetzen. Familie. Stallgeruch. Gut, ist bei uns eher Schweinestall, aber man kann sich daran gewöhnen. Wir setzen auf Solidarität und dass sich Minderheiten behaupten können – in der SPD finden sich Gleichgesinnte, wir unterstützen das vollinhaltlich. Und im Vertrauen, ohne Herrn Edathy käme sich Herr Sarrazin in der SPD schon ein bisschen alleine vor. Vor allem, was die Diskussionskultur angeht.
Wir werden selbstverständlich zu ihm stehen, das ist ganz klar. Wir lassen nicht einfach jemanden fallen, nur weil er plötzlich in der Öffentlichkeit angegriffen wird. Das werden Sie bei uns nicht erleben. Schließlich ist Herr Edathy noch nie Ministerpräsidentin gewesen und will es auch nicht werden. Wir werden uns allerdings etwas überlegen müssen, wie wir mit der Sache umgehen können. Gut möglich, dass wir Herrn Edathy vorübergehend in den Innenausschuss versetzen. Er wollte sich sowieso mal verändern. Wir wissen noch nicht, wie er sich entscheidet. Kanzlerkandidat wäre sicher nett. Das machen ja momentan alle mal in der SPD. Oder er übernimmt den Arbeitskreis Tourette. Oder eben als Kontaktmann ins Goethe-Institut. Soll ganz ergötzlich sein da.
Also denken Sie daran, Ihre SPD schreibt hier die Gesetze, da muss sie sich nicht auch noch daran halten. Sie kennen das sicherlich aus Erfolgen wie Griechenland II, Basel III oder Hartz IV. Und wenn Sie demnächst mal in der Verlegenheit sind – wählen, mein Lieber, das können Sie uns mal. Kreuzweise.“
Satzspiegel