„Nein, das hatten wir nicht vergessen. Stand bei uns noch auf der Liste, wir machen uns da kundig. Nächste Woche ist noch was – nein, ich sehe gerade, aber bestimmt vor Weihnachten. Spätestens irgendwann im Wahlkampf. Versprochen. Frau von der Leyen hat im Augenblick so viel, worum sie sich noch kümmern muss, da kann sie sich eben um nichts mehr kümmern.
Weil das ja eigentlich von uns kommt. Kommen müsste – müsste, nicht wahr, müsste, aber das kam dann ja nicht. Ursula kümmert sich. Das hat poetischen Tiefgang und fast einen, ich sag mal, leicht sozialen Touch, verstehen Sie, das klingt fast so, als wäre es, ich sag mal, ansatzweise wahr. Ansatzweise! Aber Sie wissen ja, unsere neue Frontfrau macht das alles viel subtiler. Das muss nicht wahr sein. Darf es auch nicht.
Wir können uns hier nicht mit inhaltlichen Details auseinandersetzen, nicht wahr, das würde viel zu viel Zeit fressen. Das brauchen wir alles für eine Expansion in die richtigen Politikfelder. Breite Streuung. Wir haben das im Griff. Vertrauen Sie uns. Das mit der Außenpolitik macht der Blonde von dieser Kleinpartei da immer noch ganz gut, aber die anderen Sachen sollten wir auch langsam mal lernen.
Netzneutralität – gut, dass Sie das ansprechen. Wir haben schon länger vor, unchristliche Inhalte nur noch mit halber Geschwindigkeit durchzuleiten, und wenn wir das konfessionell hinkriegen, könnten wir es auch auf die Funknetze aufteilen?
Natürlich trägt das die CDU nicht mit. Wäre ja auch noch schöner. Aber Sie müssen zugeben, eine prominente, bei allen beliebte Politikerin, die von den Bürgerinnen und Bürgern sehr geschätzt wird – können wir uns nicht einfach mal darauf einigen, dass Frau von der Leyen moralisch okay ist? Sie hat doch auch schon jede Menge für die deutsche Wirtschaft getan und Arbeitsplätze gesichert. Denken Sie bloß mal an die Kartenleser-Hersteller, was wäre die maschinenlesbare Prekariatsprämie für ein grandioser technischer Erfolg geworden, wenn diese Grundgesetzarschlöcher aus Karlsruhe nicht ständig genörgelt hätten? Denken Sie an den Aufschwung für die Leistungsträger, die Telekom-Aktie wäre mit dem Zugangserschwerungsgesetz erst richtig durch die Decke gegangen. Und wenn ihr nicht jemand vor Zeugen verraten hätte, dass die 1-Euro-Jobs tatsächlich keine arbeitsfördernde Maßnahme, sondern eine reine Finanzierungshilfe für Industrie und Kirchen sind, dann hätte sie die solidarische Haltung gegenüber Deutschlands gut verdienenden Steuerhinterziehern nie aufgegeben. Machen Sie sich klar, das wird Folgen haben!
Als nächste Aktion war für uns die Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes geplant: nur noch stilles Wasser in Europa. Da hier auch bald nicht mehr geraucht wird, müssen wir bloß noch die Getränkehersteller auf unsere Seite ziehen.
Das mit den Vereinigten Staaten von Europa war auch eher so metaphorisch gemeint, nicht wahr – dass das verfassungsrechtlich nicht geht und für den Euro der Genickschuss wäre, müssen Sie in Ihrem Beitrag ja nicht so betonen. Wir wollten nur mal die außenpolitische Kompetenz etwas stärker in den Fokus rücken, schließlich bleibt uns nicht mehr viel Zeit. Jetzt noch die Legislatur, dann acht Jahre Steinbrück, dann noch ein großer Wahlkampf, das wird extrem schwer. Wann soll sich Frau von der Leyen denn dann noch kümmern können? Und viel wichtiger, wann lässt sie sich mit ihren Kindern fotografieren? Das sind doch die Fragen!
Dass sich Frau von der Leyen jetzt schon in der zweiten CDU-Regierung so engagiert, gibt uns das ideale Profilierungsfeld. Das ist nicht nur gut, wenn man sich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in Stellung bringen will, das macht auch fit für eine innerparteiliche Entscheidungsschlacht mit dem Rest, der Merkel überlebt hat: sie hat keine Ahnung und tut trotzdem nichts. Und mit solchen idealen Voraussetzungen wollen Sie Führungsqualitäten für die Unionsparteien verneinen?
Es muss sich einer für Dingens interessieren. Das ist das neue Allzweckressort, wo man sich als Kanzlerin profilieren kann. Für die großen Gesamtzusammenhänge von Wirtschaft, Politik und Wirtschaftspolitik, nicht wahr, in denen die Bürger nicht dazwischenkommen. Da hat die Kanzlerin – die alte, also die jetzige, nicht wahr – die Kanzlerin hat Frau von der Leyen ja auch schon mal kritisch gewürdigt, weil das wohl nicht so ganz hilfreich war, dass hier einer den Geisterfahrerkurs von dem FDP-Azubi durcheinanderbrachte. Das muss doch abgesprochen werden, nicht wahr, wenn da plötzlich einer anfängt, seine eigenen Ansichten zu äußern.
Weil wir eben den Mindestlohn nicht nur nicht angedacht haben, Frau von der Leyen ist ja auch im Grunde genommen dagegen. Weil man dann den Mindestlohn allen zahlen müssten, die man jetzt noch ohne Mindestlohn beschäftigen könnte, nicht wahr. Wir mussten das jetzt schon machen. In der aktuellen Konstellation konnte man einigermaßen gut vorhersehen, dass sich die FDP komplett dagegen sträuben würde, nicht wahr, und dann könnte der Mindestlohn als Verhandlungsmasse gute Dienste tun – die Liberalen haben ja immer mal wieder einen Grund zum Einknicken, dann lassen wir ihnen den Spaß und tun für die Presse so, als würden wir es uns etwas kosten lassen.
Gut, Sie haben das nicht vergessen? Dann legen Sie mal los mit Ihrer Kampagne. Und ich hoffe, dass Sie sich endlich von den Guttenbergs trennen, nicht wahr?“
Satzspiegel