„Wir bringen uns schon mal in Stellung, falls es ernst wird. Man weiß ja nie, ob die Regierung die nächsten drei Tage übersteht, da muss man dann schnell reagieren können. Und seitdem der Papst hier war, wissen wir auch endlich, wie wir das alles hinkriegen. Wir vergeben uns. Das klappt immer.
Ja, Sie haben richtig gehört. Wir vergeben uns. Die Sozialdemokraten haben offiziell beschlossen, sich ihre Sünden und Verfehlungen zu vergeben. Ein Akt der christlichen Nächstenliebe. Gut, normalerweise vergibt sich die Partei sonst nichts, aber wir wollen mal nicht so sein. Schließlich geht es diesmal um etwas. Noch eine Legislaturperiode ohne Kanzler, dann kommen die Grünen wieder auf die Beine und wir müssen uns mit Künast als Spitzenkandidatin herumschlagen – das werden Sie doch nicht ernsthaft wollen?
Ablasshandel, das halte ich jetzt nicht für den richtigen Begriff. Das klingt so negativ. Wir haben uns entschlossen, Buße zu tun. Zunächst einmal durch ein vollkommen anderes Auftreten – nicht mehr diese fürchterlichen Selbstzweifel, die einen zerknirscht und angstbeladen erscheinen lassen und völlig regierungsunfähig, nein, wir stehen jetzt zu unseren Sünden. Ja, wir haben viel falsch gemacht. Und deshalb können wir auch selbstbewusst sagen, dass ab jetzt alles richtig ist. Weil wir ja unsere alten moralischen Maßstäbe nicht mehr beachten. Eine Vergebensstrategie – klingt cool, oder?
Es muss mehr Offenheit herrschen im Kontakt mit den Gläubigen, mit den Wählern, wollte ich sagen. Es muss wieder eine ganz klare Haltung her, die uns abhebt von der jetzigen Regierung – die Kanzlerin kommuniziert einfach falsch mit den Bürgerinnen und Bürgern, und dabei kommt ja auch nichts raus als lauter Chaos und Verwirrung. Daher haben wir Sozialdemokraten uns entschlossen, gar nichts mehr zu erklären. Toll, oder? Wir führen damit auch offiziell die Trennung von Kirche und Staat durch – wir, das ist die Kirche, und der Staat kann machen, was er will.
Dass wir jetzt Abgeordnetenbestechung strafbar machen wollen, das passt doch voll in dieses neue Profil, oder? Klar, wollten wir schon immer. Genau wie den Mindestlohn oder einen Truppenabzug aus Afghanistan. Das war immer sozialdemokratisches Kernanliegen! Wir konnten das nur nicht so zeigen, weil wir bis 2009 so wahnsinnig viel mit Regieren beschäftigt waren, da sind wir zu nichts gekommen. Und jetzt, wo wir die nächste Kanzlerschaft schon so gut wie sicher haben, da wollen wir jetzt auch gestalten. Weil wir die SPD sind, und wir sind ja eine klassische Dafür-Partei.
Das müssen Sie jetzt auch unter dem Gesichtspunkt der tätigen Reue sehen. Wir haben der Vorratsdatenspeicherung zugestimmt, aber das heißt ja nicht, dass wir das jetzt auch tun würden. Ganz sicher nicht. Wir sind ja eine klassische Dagegen-Partei. Nein, wir würden im Falle einer Regierungsübernahme nur ganz einfach eine neue Form von anlassloser Datensammlung planen, da das einfach zu unserem Profil gehört. Das erwartet ein Teil der Wähler. Das erwarten natürlich auch unsere politischen Gegner – und glauben Sie, dass wir denen in Nächstenliebe begegnen könnten, wenn wir ihnen einfach ihr Feindbild wegnähmen? Wie sollen die denn Petitionen einreichen und vors Bundesverfassungsgericht ziehen ohne uns? Wie sollen die denn demonstrieren? Sie müssen die SPD doch auch mal gesamtgesellschaftlichen sehen, wir können doch nicht einfach so machen, was wir für richtig halten! So ein dogmatisches Gebäude, das können Sie doch nicht einfach in drei Tagen abreißen und neu bauen!
Es gibt immer ein paar Mysterien, die Sie nicht rational begreifen werden. Den elektronischen Personalausweis und die Terrorgesetze kann man nicht vernünftig erklären. Glauben Sie einfach dran. Ist im Zweifel sowieso besser, weil Sie sonst dran glauben müssen.
Natürlich kann das auch problematisch werden. Schauen Sie, die Glaubensgrundsätze können wir nicht von heute auf morgen vom Tisch wischen. Wir müssen an den Hartz-Gesetzen festhalten, weil wir ja wissen, dass ein bisschen Druck, ein bissel Repression die Menschen erst gefügig macht. Wenn man Ihnen nicht regelmäßig erzählt, wie schlimm es in der Hölle ist, würden Sie dann noch in die Kirche laufen? Na, sehen Sie! Und wenn wir nicht mit einer parteipolitisch ausgewogenen Lohn- und Arbeitsmarktpolitik den Leute klarmachen, dass das Lohnabstandsgebot für die deutsche Wirtschaft, also für uns alle gut ist, dann werden Sie als Arbeitnehmer sicher doppelt so freudig einem sittlich einwandfreien Lebenswandel nachgehen.
Klar, für die Aufstocker ist das hart. Aber wenn Sie es mal unter der historischen Perspektive sehen, was wäre eine große Bewegung ohne Märtyrer?
Befreiungstheologische Momente werden wir wahrscheinlich auch irgendwo mit aufnehmen, ja. Irgendwie müsste man sich ja auch mal erneuern und ein bisschen modernen Geist atmen. Ob wir in unseren Wahlkampfreden vielleicht immer mal wieder Internet sagen? Ich meine, wir müssen ja nicht gleich Internet gucken wie die Grünen, es reicht doch, wenn wir darüber sprechen. Meinen Sie nicht, dass unser netztheologisches, -politisches natürlich, dass das Profil dadurch besser würde?
Das wird sich zeigen. Bis jetzt haben wir noch immer alle unangenehmen Sachen aufgeklärt in der sozialdeko… ’tschuldigung: sozialdemokratischen Partei, auch die Verfehlungen, die zu massenhaften Austritten und Glaubwürdigkeitsverlust geführt haben. Da, wo wir große Probleme haben, unsere Wähler noch in Gnade und Barmherzigkeit zu begegnen. Es gibt in unseren Reihen ja durchaus einige, die es uns schwer machen, bei denen auch kein Erneuerungsprozess hilft, weil sie einfach zu schwere Schuld auf sich geladen haben. Wir dürfen sie nicht einfach weiter irren lassen, das wäre für uns alle nicht gut, verstehen Sie? Wenn man Ketzer wie Sarrazin und Edathy nicht in die Gemeinschaft zurückholen kann, dann muss man offensiv ein Zeichen setzen dagegen. Frau Nahles hat sich daher bereiterklärt, nächste Woche eine Viertelstunde lang ganz böse zu sein auf Helmut Schmidt. Das wird uns bestimmt spirituell viel reifer machen. Oder so.
Also, was halten Sie davon? Glauben Sie nicht auch, dass St. Peer uns alle retten wird? Na, dann werden Sie mal schön selig.“
Satzspiegel