Standard & Poor

5 10 2011

„Investieren Sie in Fette“, grinste Zeiselbaum, „geschmiert wird immer.“ Ein kleines Erbe hatte mir Tante Mathilde hinterlassen, immerhin: eine hübsche, runde Summe und groß genug, dass ich ohne ein herablassendes Lächeln von meinem Bankberater begrüßt wurde.

„Sie können natürlich wie alle anderen Anleger der Inflationsangst folgen und in Gold investieren.“ Der Mann im mausgrauen, dünnen Zwirn wiegte bedächtig den Kopf. „Oder Sie behalten die Angst selbst im Blick und wetten gegen die Goldanlage. Denn sie birgt ein verhältnismäßig hohes Risiko.“ „Das ist alles schön und gut“, wandte ich ein, „aber was raten Sie mir denn nun?“ „Eine kombinierte Anlage. Gummi und Kosmetik. Wenn die Sonne scheint, kaufen die Leute Sonnenmilch, sobald es wieder regnet, kaufen sie Gummistiefel. Legen Sie einen Teil in Gold an – kaufen Sie vom Rest Aktien des größten Alarmanlagen-Herstellers. Irgendwo müssen die Leute ihre Goldbarren ja aufbewahren.“ „Tante Mathilde hätte das sicher nicht gewollt.“ Zeiselbaum lachte. „Auch wenn Ihnen die Milchbubis das erzählen, Risikoinvestition hat nichts damit zu tun, dass man auf Raumschiff-Landungen im Teutoburger Wald wettet.“

Er hatte die Jalousien zugezogen und eine Karte an die Wand gebeamt. „Das hier sind unsere besten Anlagemöglichkeiten. Die besten Staaten der Erde. Taiwan, Russland, Japan. Kanada und die USA. Sie wissen ja, das Leben ist kurz, und man muss es sich so schön machen, wie man nur kann.“ „Ich sehe“, mutmaßte ich, „Sie machen in Tourismus. Oder warum haben Sie Samoa und Neuseeland auch auf der Karte?“ Zeiselbaum schüttelte den Kopf. „Falsch, mein Freund. Hier handelt es sich um eine der riskantesten Investitionen unseres Hauses. Ich würde sie Ihnen nicht anbieten, wenn ich nicht genau wüsste, dass Sie genug Verstand haben, die einmalige Chance zu erkennen und Ihr Vermögen in diesen Fonds hineinzustecken. Wir arbeiten mit der Natur – keinerlei unlautere Absichten. Spekulation, aber ausschließlich zulässige Operationen. Wir sind die nächste Generation der Geldanlage, die…“ „Ich habe verstanden“, fiel ich ihm ins Wort. „Rücken Sie’s raus, worin soll ich investieren?“ Zeiselbaum setzte sich kerzengerade auf. „In Krisengebiete.“

Geräuschvoll schob ich meinen Stuhl über den abgeschabten Teppich. „Danke fürs Gespräch“, raunzte ich, „und Ihre Waffengeschäfte bieten Sie vielleicht besser dem Außenministerium an. Ich habe kein Hotel.“ „Halt!“ Er drückte mich auf das Sitzmöbel und wies auf die Landkarte. „Sehen Sie, das ist der Feuerring. Die gefährlichsten Gefilde dieses Planeten. Vulkane, Erdbeben, Tsunamis. Mehr braucht es nicht für ein gutes Risiko. Und wir müssen nicht einmal waghalsige Spekulationen anstellen – nach der Statistik trifft es jeden Standort einmal. Meistens sogar früher, wie Sie gerade dieses Jahr sehen konnten.“ „Und worin genau investieren Sie?“ Zeiselbaum grinste wieder. „In die Volkswirtschaften. Wir wissen, dass es sich lohnt.“

Kleine rote Pfeile markierten die Kernpunkte des Fonds. „Wie Sie sehen“, erläuterte der Bänker, „haben wir eine genügend breite Streuung, um auch rechtzeitig für Kursanstiege zu sorgen. Es muss etwas passieren, Erdstoß, Seebeben, Taifun oder schlicht eine technische Katastrophe, weil die Menschen in diesen Landstrichen nicht immer durch großen Reichtum an Bodenschätzen gesegnet sind.“ „Sie wetten also auf das Unglück?“ Er nickte. „Beziehungsweise auf dessen Auswirkungen auf das Bruttosozialprodukt. Eine simple Methode, um seine Investitionen mit Zins zurückzuerhalten.“ Das verstand ich nicht. „Schauen Sie, was passiert, wenn ein Erdbeben das Land verwüstet? Es wird enorm viel Eigentum zerstört, ganze Städte in Schutt und Asche gelegt. Wer kommt bei einer Katastrophe als erstes?“ „Polizei und Feuerwehr.“ „Richtig. Auch das erhöht das Bruttosozialprodukt – zwar ist es nur eine Vorleistung, die eigentlich keiner haben will, die aber nötig ist, um eine Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Warum ist in den USA das Bruttosozialprodukt so hoch?“ „Weil die Polizei überall eingreift. In einem länglichen Staat direkt über der Bruchzone hätten Sie paradiesische Verhältnisse: jedes Jahr kracht alles in sich zusammen, die Feuerwehr rettet die Überlebenden aus den Trümmern, und dann wird es wieder aufgebaut.“ „Aber die Schäden müsste man aus dieser Bilanz abziehen.“ Zeiselbaum lachte auf. „Daran hat die Wirtschaft kein gesteigertes Interesse. Warum auch, ein Milliardenschaden wäre Gift für die Kreditfähigkeit. Dann lieber auf diese Art. Da weiß man, dass uns Wachstum ins Haus steht, und das zählt schließlich.“

Ich betrachtete die Karte. „Sie meinen also, ich könnte meine Rendite mit diesem zweifelhaften Modell steigern?“ „Können Sie“, versicherte er. „Unser Modell heißt Standard & Poor – ein bisschen Armut in anderen Gegenden gehört in unseren Breitengraden zum Standard. Sonst würden wir ja auch nicht wachsen. Wir setzen auf die Regenerationsfähigkeit von Naturkatastrophen bedrohter Landstriche. Sie werden und noch viele schöne Gewinnmaxima bringen. Nehmen Sie zum Beispiel Fukushima, das ist momentan der Renner in unseren offenen Fonds. Unbegrenzte Wachstumsraten. Sie werden es nicht bereuen. Und Sie können es sogar mit einem Risiko-Investment kombinieren.“ „Sonnenmilch für die Japaner?“ Zeiselbaum grinste. „Fast. Sie wetten einfach in konventionelle Energieerzeugung. Klimakiller. Entweder gewinnen Ihre Energieaktien, oder…“


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2 responses

5 10 2011
lamiacucina

Da Besitz nicht glücklich macht, empfehle ich griechische Staatsanleihen.

5 10 2011
bee

Womit man aber einige Bänker dann wegen ihres ansteigenden Besitzes unglücklich machen würde. Und wer will das schon verantworten?

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