Gernulf Olzheimer kommentiert (CXXIII): Schadenfreude

14 10 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es war einer der schöneren Sommertage, als Ngrk, wie alle vom Stamme Homo erectus eher an Arterhaltung und Kalorienzufuhr interessiert denn an soziokultureller Selbstreflexion, vor den Augen des Höhlennachbarn Uggu über den Waldboden stapft, elegant wie ein Nilpferd, nichtsdestotrotz ein Ausbund an Eitelkeit, bis er sich in einer Wurzel verfängt und das Gesicht ins trockene Buschwerk klömpert. Schon jodelt des Beobachters Hirn auf und versorgt dessen Belohnungszentrum mit dem begehrten Botenstoff, der wieherndes Gelächter und tiefe Befriedigung auslöst. Fernab jeglicher Metaphysik spürt der Pleistozäner, wie sich hinter dem Überaugenwulst die evolutionär entscheidende Dominanz des Überlebenden über den Gestrauchelten ausbreitet, die die Erhaltung des gesunden Mittelmaßes an der gesellschaftlichen Basis sichert. Der Hochmütige fällt, er hat den Schaden und spottet also jeder Beschreibung. Die reinste Freude, zentrales Ziel einer ansonsten eher trüben Existenz, Quell sämtlicher positiver Dinge, ist immer noch die Schadenfreude.

Denn sie trifft ja keinen, der es nicht verdient hätte. Klemmt sich der Mühselige die Finger am Verbandskasten, während er die Überbleibsel des in die Küchenmaschine gefallenen Hamsters unter dem tränennassen Blick seines Kindes aus der Rührschüssel popelt, so wird kein fühlendes Herz in hämisches Gelächter ausbrechen. (Es sei denn, die Situation böte sich irgendwie dazu an.) Nur der Souveräne, annähernd unbesiegbar, schön und mutig, stark und sozial privilegiert, ist nicht sicher vor der Niedertracht des Schwachen, wenn der ihn mit verformtem Profil in Schräglage findet. Dem gütigen König leiht man eine Hand; der Hilfshitler kriegt noch post festum eine reingekübelt.

Gelegenheiten indes gibt es viele. Je mehr sich die Gesellschaft ausdifferenziert in Stände, Kasten, Schichten, mit intrinsischen Zwang, sich in dem meist unlogisch zusammengeschwiemelten Modell emporzubewegen, desto schneller schwillt dem einzelnen Spielteilnehmer der Kamm, wenn sich ein Beknackter unter Auslassung der Regeln als Privilegierter, Promi oder Parasit nach oben wanzt. Nichts wünscht sich der Mann am Fuße der Leiter mehr als eine Säge, den schnellen Abstieg des Honks im Höhenflug zu befördern. Und stolpert der über seine eigenen Stelzen, nichts ist ihm mehr Musik in den Ohren als gurgelnder Schmerz und jammernde Klage. Die psychosoziale Reinigung dabei ist nicht zu unterschätzen, sie ist das stabilisierende Element jeder zivilisatorischen Ordnung. In dem Gedanken, dass auch Vorturner und Siegertypen unangenehme Bekanntschaft mit dem Versagen machen können, liegt so viel Trost, dass fast alles auszuhalten ist, auch die eigene Sterblichkeit oder die Tatsache, dass man selbst zu den Sollbruchstellen im Genpool gehört. Die warm den Rücken hochkriechende Emotion ist ein ad hoc wirkendes Entspannungsmittel, das mit dem ganzen Schmadder auf diesem drittklassigen Planeten versöhnt. Das schaffen Geld, Nationalflagge und Alkoholika nicht einmal zusammen.

Weil Schadenfreude der große Gleichmacher ist, der die sozialen und biologischen Differenzen mit der Zärtlichkeit einer Dampframme in den Boden der Tatsachen drischt: vor dem Brett am Schädel sind wir alle gleich. Es gibt kein Mehrwertmodell, der Genotyp ist stets derselbe (auch wenn die phänotypische Auslieferungsvariante bei manchen Zufallsgeburten eher in den Bereich ästhetischer Paranoia abdriftet), der Besitz eines Sportcabrios oder die Stellung als Aufsichtsratsvorsitzender schützt den Behämmerten nie davor, eines Tages mit brennenden Schwefelhölzern unter den Zehennägeln aufzuwachen.

Die Angelegenheit ist paradox; einerseits straft der Spott den Normverstoß des Behämmerten, andererseits wird jene Gehässigkeit selbst zum Verstoß gegen die Fassade des Wertesystems. Vergeblich versucht uns die kleine pickelige Schwester der Moral, die politische Korrektheit, alle Schadenfreude auszureden, aber wer sich noch des gesunden Menschenverstandes erfreut, wird die Heulbojenideologie der sittlichen Nullkurve ins Bedeutungsnirvana klappen. Zu tief verzahnt mit den vegetativen Routinen ist der Reflex mit vollem Hohnausgleich, wenn die dicke Tante in die Sahnetorte gleitet, wenn Pleiten, Pech und Pannen den Tag zu einem Kindergeburtstag machen – da kriecht die Evolution wieder aus den Poren, die vorsintflutliche Betaversion des Bescheuerten weiß genau, was sie da tut. Denn Schadenfreude ohne das Gefühl andressierter Wohlanständigkeit verleiht dem Urmenschen jene Macht, selbst stark und unangreifbar zu sein, weil der Unangreifbare ja vor uns am Schotter lutscht. Das Rudel enttarnt den Dummie, schnippt ihn über den Zaun und gibt sich dem lustbetonten Ritual der Selbstvergewisserung hin, dem Triumph des Ordinären über die reine Prätention. Wir, die Knalldeppen, sind gleicher als gleich, und Mitleid hat in dieser Nummer eher nichts zu suchen. Keiner von uns ist fehlerlos. Aber manche haben es eben ein bisschen mehr verdient, auf der Nase zu liegen. Schon aus Gerechtigkeit.