„Haben Sie ein soziales Netz, das Sie auffängt? Also normale, geistig zurechnungsfähige Leute, die Ihnen Bodenhaftung verschaffen? Dass Sie nicht auf die schiefe Bahn geraten, wenn Sie aussteigen? Das ist ja das Problem bei vielen von Ihnen: Sie können nicht Ihren alten Lebenswandel einfach so aufgeben und geraten wieder in Schwierigkeiten, weil Sie von Ihren alten Kontakten verfolgt werden. Wenn Sie feststellen, dass das Ihre einzige Bindung an die Gesellschaft war. Ihr Bankberater, Ihr Anwalt und Ihr FDP-Parteibuch.
Es ist jetzt erstmal wichtig, dass Sie einsehen, was da schiefgelaufen ist. Sie waren Fondsmanager und haben mehrere Milliarden an einem Vormittag verbrannt, und dann hat man Ihnen zur Belohnung die Boni verdoppelt? Ja, das kann ich verstehen. Das ist natürlich auch schwierig. Wenn sie alle von einem erwarten, dass man den anderen eine völlig sinnlose Neiddebatte aufzwingt, damit man selbst als Unschuldiger durchgehen kann. Sie haben sich da in eine gefährliche psychische Abhängigkeit manövriert, das muss jetzt so schnell wie möglich aufgearbeitet werden. Nicht unser Fachpersonal. Das machen Sie gefälligst selbst.
Was erwarten Sie eigentlich? Dass wir Ihnen eine neue Existenz verschaffen, Ihre Kohle in Liechtenstein anlegen und ansonsten dafür sorgen, dass die Demonstranten Sie nicht beim Golfen stören? Da sind Sie bei uns an der falschen Adresse. Die Bundesregierung hilft Ihnen höchstens dabei, als rechtskräftig verurteilter Steuerhinterzieher wieder in Ihren Aufsichtsratsposten zurückzugehen, aber mehr auch nicht. Sie sind hier nicht in der sozialen Hängematte, Freundchen.
Wenn Sie aussteigen wollen, dann müssen Sie Ihre Vergangenheit aufarbeiten. Radikale Ideologie hat in Ihrem neuen Leben nichts mehr zu suchen. Sie müssen Selbstkritik üben können. Das gab’s nicht bei Ihnen in der FDP? und in der Bank auch nicht? Warum bin ich nicht erstaunt?
Dies ist das offizielle Aussteigerprogramm der Bundesregierung, da werden wir ja wohl erwarten können, dass Sie nicht auch noch Luxus erwarten. In anderen Ländern ist das viel unangenehmer. Stellen Sie sich mal vor, Sie wären in Italien. Da müssten Sie jetzt zur Strafe Berlusconi ertragen, weil die für das Geld nichts Besseres mehr kriegen. Merkel ist zwar auch nicht toll, aber besser als nichts, oder? Eben, Sie machen jetzt das Beste aus der Situation. Es dient ja auch zur Integration in die Gesellschaft. Sie werden hier tolle Sachen lernen. Einkaufen im Discounter. Bewerben um Ein-Euro-Jobs. Wohnungssuche. Und wenn Sie renitent sind, müssen Sie sich mit einem Klempner herumärgern. Aber Sie erwerben eine Menge neuer Kompetenzen und wie helfen Ihnen, Perspektiven und Grenzen für Ihre persönliche Zukunft zu erfahren. Oder was man so dazu sagt, wenn Sie das erste Mal in Ihrem Leben selbst seinen Müll wegräumen dürfen.
Haben Sie eventuell Angstzustände? Ich meine, wenn man sein Leben lang menschenfeindlichen Aktivitäten nachgegangen ist, dann hinterlässt das meist Spuren. Sie müssen das mental an sich heranlassen und dürfen keinesfalls in eine reine Verleugnungshaltung verfallen. Sie müssen jetzt die Verantwortung übernehmen für das, was Sie da tun. Aber Sie können natürlich hinterher auch Profit daraus schlagen. Sie können beispielsweise durch die Fernsehtalkshows tingeln und sich als Casino-Aussteiger feiern lassen. Oder Bücher schreiben, warum Sie alles das jahrelang mitgemacht haben, obwohl Sie von Anfang an wussten, dass das für einen ehrlichen, anständigen und fleißigen Mann wie Sie nicht das Richtige sein kann. Märtyrer werden gebraucht – auf beiden Seiten übrigens.
Natürlich ist es gut, dass Sie sich jetzt bei uns gemeldet haben. Es ist nie zu spät – gut, es könnte in absehbarer Zeit doch zu spät sein, aber jetzt noch nicht. Der Neoliberalismus macht bald ernst, dann passiert das, was Sie seit Jahren gefürchtet haben. Wir lassen den Markt die Sache bereinigen. Die Hälfte der angeschlagenen Banken ist bereits pleite, die andere Hälfte kriegen wir auch noch platt. Sie müssen an sich arbeiten. Sie müssen Ihre alte Weltanschauung überwinden und erkennen, dass Sie nur dann eine Chance haben, wenn Sie Ihre Vergangenheit aufarbeiten. Ja, auch die Straftaten. Wir grenzen nicht aus. Das werden Sie erst erleben, wenn Sie sich in der Wirklichkeit nicht mehr zurechtfinden und durchs soziale Raster fallen. Sie müssen lernen, in der Mehrheitsgesellschaft eine Existenz aufzubauen. Dem Anpassungsdruck auch positive Seiten abzugewinnen. Und die eigenen Erfahrungen weiterzugeben. Da muss man schon ein bisschen mehr leisten, aber daran sind Sie als Teil der bisherigen Elite dieses Landes ja gewöhnt, nicht wahr?
Nicht? Sie möchten lieber das Land verlassen? Sie drohen uns, dass Sie Ihre Steuern lieber im Ausland hinterziehen? Wir haben genug angebliche Leistungseliten, die uns drohen. Die Typen, die das Land verlassen wollen, wenn wir ihre Unternehmen so wie andere besteuern. Können Sie haben mit dem 24-Stunden-Service. Innerhalb eines Tages sind Sie draußen. Dafür sorgen wir. Der Letzte macht das Licht aus. Und wenn wir einen guten Tag haben, fahren wir Sie persönlich zur Grenze. Ob wir Sie hier bekehren oder draußen entsorgen: das Ergebnis zählt. Der Mensch ist uns völlig egal. Oder dachten Sie, wir haben jetzt auf einmal andere Regeln als Sie?“
Satzspiegel