„Von mir aus können Sie ruhig ein Evangeliker sein. Oder so einer von diesen Achtundsechzigern. Man muss ja nehmen, was man kriegt. Oder wenn Sie vielleicht Ausländer sind, ich meine, einer von den guten. Amerikaner oder Liechtensteiner. Aber wir wissen ja, dass die alle nicht schuld sind an der aktuellen Lage. Wir wissen das hier, wir haben genau aufgepasst. Schuld ist das Internet.
Natürlich müssen wir auch umdenken können. Man wird ja nicht gewählt, wenn man den Leuten fünfzig Jahre lang dieselben Lügen auftischt. Da müssen schon ab und zu neue her. Und wir haben ein völlig neues Feindbild, das hatte es so vorher noch nie gegeben. Der Russe hat das nicht gebracht, der Ossi nicht, aber mit dem Internet, da können wir eigentlich machen, was wir wollen. Das klappt immer. Man muss dem Wähler nur mal ein paar neue Gefährdungslagen hinwerfen – Phishing oder Online-Bankraub oder Facebook – und schon haben alle ganz furchtbare Angst.
Sie müssen die richtigen Statistiken bedienen. Es haben bei der vergangenen Bundestagswahl 11.828.277 Bürger für die CDU gestimmt, aber 800 Millionen Personen sind wenigstens einmal im Monat auf Facebook. Das heißt, pro Monat haben anständige Bundesbürger 68 Schwerverbrecher gegen sich, Mörder, Betrüger und Diebe, die Ihnen im Internet die Online-Dateien rauben. Ist das nicht großartig?
Schauen Sie, das Netz schafft Produktivität, es ermöglicht neue Formen der Kommunikation und Vernetzung, es erleichtert Geschäfte – von unseren rechtstreuen Bürgern, aber auch von Kriminellen. Und wenn man feststellt, dass es Dinge gibt, die den Kriminellen etwas nützen – diesen Linken beispielsweise, oder auch Muslimen oder den Grünen, wenn die nicht mehr mit uns koalieren – dann muss man die doch verbieten dürfen?
Es gibt da schon Gewissenskonflikte. Man muss ja auch mal sehen, wie sich die gesellschaftlichen Prozesse da gestalten. Schauen Sie, nur mal als Beispiel: die Kirche. Also die richtige jetzt, die mit dem Papst. Da mag es ab und zu auch unschöne Vorfälle gegeben haben. Die Baugenehmigung für den Kölner Dom, beispielsweise, die sollten Sie heute mal genauer unter die Lupe nehmen, aber ich frage Sie: wollen wir auf diesem Niveau wirklich diskutieren? Eben, und wenn man jetzt vor dem Hintergrund sieht, dass der Vatikan in dieses Interweb geht! Ich meine, das ist doch nicht gut, oder? Das ist doch ein großes Wagnis, wenn der Papst und seine Leute derart verweltlichte Dinge treiben?
Das hatte ich mir auch schon gedacht: Kontakt mit den sündigen Menschen. Man begibt sich in die konkrete Interaktion mit den Personen, die man aus dem sozialen Abseits holen will. Ein Ausdruck der Verantwortung für den Nächsten. Sie sehen es doch selbst, das passt doch hinten und vorne nicht zur römisch-katholischen Kirche!
Denn dieses Webnetz, das ist schon eine große Versuchung. Wenn Sie sich mal überlegen, was da inzwischen alles versucht wird – es darf nicht den Zugangsanbietern obliegen, zu entscheiden, was im Netz transportiert wird. Der Nutzer muss entscheiden können, was ihn interessiert. Und falls wir der Meinung sind, dass es ihn nicht zu interessieren hat, dann darf man da nicht lange diskutieren, dann muss man da mal etwas machen! Und das dient letztlich auch unserer Wirtschaft. Eine Vorfahrt für Daten bestimmter Betreiber oder Anbieter darf es nicht geben. Es sei denn, Sie zahlen mehr, dann sollten Sie natürlich auch mehr Privilegien genießen. Aber das ist eine Sache der Bürger. Und wenn es schief geht, können wir ja immer noch gesagt, dass wir es eigentlich vorher schon gewusst hätten, wenn wir davon etwas verstehen würden.
Die Gefahr, die ist real: wir haben eine komplette Untergrundwirtschaft im Netz – ein Warenhaus, in dem sich jeder sein Verbrecherwerkzeug zusammenkaufen kann, wo sie PINs oder Schadsoftware bekommen. Früher benötigten Sie tieferes kriminelles Know-how und hohe kriminelle Energie. Heute kann jeder durchschnittlich begabte Kriminelle Baukästen für Schadsoftware kaufen. Das ist so einfach, da kann sogar ich mir einen Trojaner basteln.
Und das ist ja auch das Schöne, durch dieses Webinternetz und diese ganzen Online-Blogs und das Zeugs da können wir zur Selbstversorgung übergehen. Was in Berlin nicht richtig geklappt hat, das kriegen wir jetzt mit eine Internet-Initiative hin: wir machen uns die Terroristen im Internet selbst. Die vom BKA haben ja gesagt, sie kriegen das irgendwie hin. Dann muss das wohl auch stimmen.
Es gibt doch schöne Sachen auch, das wollen wir gar nicht bestreiten. Neulich hat der Dobrindt in einem Internet-Blog ein Werbebild angesurft und einen kostengünstigen Nachdruck gefunden von Mein Kampf – und so günstig, Porto und Verpackung alles inklusive, und man konnte es sich sogar ohne Namensnennung schicken lassen! Ja, ein paar Sachen sind doch ganz in Ordnung in diesem Netz, das ist wohl wahr.
Aber ein bisschen in Sorge sind wir schon. Wegen der Sicherheitsbestimmungen, wissen Sie, und was den Datenschutz angeht. Und Facebook. Und das Twitter da. Und die Suchmaschinen, in denen man auch Überschriften findet. Meinen Sie, dass unser Wissensvorsprung vor den Piraten noch für zwei Jahre ausreicht?“
Satzspiegel