05:45 – Die elektronische Weckuhr in Form einer Handgranate aus dem Industriekombinat Sieg des Großen Führers über die dem Tode geweihten Imperialisten (Demokratische Volksrepublik Korea) fiept die protokollarisch korrekte dritte Strophe der deutschen Nationalhymne. Noch im Halbschlaf summt Hans-Peter Friedrich mit. Niemandem fällt auf, dass es die erste Strophe ist. Wieder ein Tag, an dem der Verfassungsschutz nicht weiß, was vor sich geht.
06:11 – Kritisch mustert der Bundesinnenminister sein Spiegelbild. Das hatte bis vor ein paar Jahren noch ganz anders ausgesehen. Er nimmt sich vor, eine Sicherheitsüberprüfung zu beantragen, um einen terroristischen Hintergrund ausschließen zu können – sofort nach dem Ende der Legislatur.
06:32 – Auf dem Weg ins Ministerium fällt dem Behördenleiter ein, dass sein neues Smartphone, das bereits alle nötigen Rufnummern enthält, noch auf dem Küchentisch liegt, während sich in seiner Jackentasche sein altes Mobiltelefon befindet. Alle Nummern darauf sind bereits gelöscht, da der CSU-Hardliner niemals eine Raubkopie digitaler Daten vornehmen würde.
06:46 – Ankunft im Ministerium. Der Arbeitstag beginnt mit einer ärgerlichen Panne: obwohl Ministerialsekretärin Julia T. noch am Vorabend das Fehlen von Kondensmilch moniert hatte, hielt der Staatsschutz den Einkauf in letzter Sekunde zurück. Der Kaffee muss warten. Friedrich mag’s nur braun.
07:14 – Helle Aufregung im Chefbüro. Auch das neue Smartphone ist nicht mehr da. Friedrich greift zu einem Trick, den er sich beim Geheimdienst abgeschaut hat: er ruft sich selbst an. Niemand nimmt ab. So ein Ärger!
07:38 – Büroleiterin Carla M. findet Milchreste im Kühlschrank der Teeküche. Die Portionspäckchen waren bei der Suche durch Ministerialmitarbeiter zuvor nicht entdeckt worden, da sie sich ganz am rechten Rand befanden.
08:01 – Endlich Kaffee. Friedrich nimmt seinen Tagesplan in Angriff und verteilt die Aufgaben bis zur Mittagspause: Evaluation der Terrorfahndung in der Europäischen Union zu Kenntnis nehmen, Bericht der Landeskriminalämter zum abgelaufenen Quartal lesen, Vorratsdatenspeicherung fordern.
08:17 – In einer ersten Presseerklärung des Tages stellt der Bundesminister des Innern klar, dass es keine historischen Anzeichen dafür gebe, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Im Einzelgespräch mit Journalisten betont er hinterher, der Islam gehöre zu den Weltreligionen, Deutschland leider noch nicht. Den Unterschied gelte es zu bedenken.
08:28 – Etatplanungen im Bundeskriminalamt erfordern eine schnelle Entscheidung. Die Preise für Vierfarbkugelschreiber ziehen empfindlich an, doch für Friedrich ist nichts zu teuer. Mutig fordert er, BKA und Bundeswehr zusammenzulegen, um gemeinsam Internetausdrucke für mehr Synergie zu nutzen.
08:52 – Fahnder aus Zwickau informieren das Ministerium, in der ausgebrannten Hausruine habe man mehrere Telefonkabel sichergestellt. Hastig ruft Friedrich die bereits abrückenden Journalisten zurück und teilt ihnen mit, diese Explosion sei in Wahrheit im Internet geboren worden.
09:05 – Die Pressemappe des Tages enthält mehrere Zeitungsartikel zur Situation in den arabischen Staaten. Friedrich diktiert ein Schreiben an Baschar al-Assad, um die Sicherheit innerhalb der EU zu gewährleisten. Als erste Maßnahme empfiehlt er dem syrischen Präsidenten, alle gewaltbereiten Muslime abzuschieben.
09:27 – Neue Planung, um das verschwundene Telefon zu finden: Hausdurchsuchung bei sämtlichen verdächtig erscheinenden Personen. Ein Spezialeinsatzkommando der Berliner Polizei macht sich bereit, um den Brennpunkt des Terrors zu erstürmen.
09:46 – Telefonkonferenz mit der Deutschen Lufthansa AG. Die Marketingabteilung beklagt die sinkenden Passagierzahlen. Der Sicherheitsminister verspricht dem Transportunternehmen, bei der neuen Kundenbindungskampagne behilflich zu sein; die Ausdrucke der Fluggastdatenspeicherung blockieren sowieso schon seit Monaten das halbe Untergeschoss.
10:09 – Unter Einsatz von Blendgranaten erstürmt das SEK Hans-Peter Friedrichs Privatwohnung. Innerhalb von nur vierzig Sekunden gelingt es der 30-köpfigen Mannschaft, das komplette Mobiliar in Schutt und Asche zu zerlegen. Einsatzleiter Frank I. funkt ins Ministerium: negativ. Zielperson nicht angetroffen.
10:52 – Ein deutsches Nachrichtenmagazin lässt sich durchstellen; es geht um das Justizministerium. Bevor der Redakteur die Frage stellen kann, fordert Friedrich die sofortige Absetzung von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die nur das Ziel verfolge, Tariflöhne, Erdbeben und Demokratie zu verbreiten. Über eine mögliche Terminkollision der Weihnachtsfeiern beider Bundesbehörden äußert sich der CSU-Politiker nicht.
11:03 – Das LKA Baden-Württemberg gibt bekannt, es habe sich bei dem Mord an der Polizeibeamtin 2007 um eine Beziehungstat aus dem rechtsextremistischen Milieu gehandelt. Friedrich gibt an, er habe seinerzeit sofort aus der Bezeichnung Heil Bronn auf einen nationalsozialistischen Hintergrund geschlossen.
11:26 – Beim Gang zum Aufzug rutscht der Innenminister auf dem frisch gebohnerten Parkett aus. Als Mann der Tat fordert er unverzüglich ein NPD-Verbot, damit seien alle Probleme gelöst.
11:40 – Friedrich bekräftigt sein Angebot, einen Nichtangriffspakt im Internet schließen zu wollen. Solange Piraten, Bundesverfassungsgericht und der Chaos Computer Club seinen Vorstellungen entsprächen, wolle er sie nicht durch im Internet geborene Straftaten schädigen. Höchstens durch eine routinemäßige Quellen-TKÜ.
11:57 – Dicke Aktenberge hindern den Minister daran, die Kantine aufzusuchen. Stattdessen lässt er sich die Speisekarte aus dem Intranet ausdrucken. Dennoch sagen ihm Würstel mit Kraut, Leberkäs und Schweinshaxe nicht zu. Er ignoriert aus Gewohnheit die bayerischen Landgerichte.
12:09 – Die vom Catering gelieferte Tomatensuppe kleckert an der dünnen Papierserviette vorbei auf die Hosenbeine. Friedrich wittert eine Schutzlücke und beschließt sofort, die Vorratsdatenspeicherung zu fordern.
12:32 – Auf Anfrage des Ma’ariv, wie die bundesrepublikanischen Sicherheitsbehörden mit nationalsozialistischen Gruppen umzugehen gedenke, antwortet der Minister, er werde sich des Themas demnächst annehmen. Bis dahin gehöre das aber historisch nicht zu Deutschland.
12:43 – Der Evaluationsbericht zur Anti-Terror-Gesetzgebung liegt vor. Sämtliche Maßnahmen werden als überflüssig, kostenintensiv und in hohem Maße grundrechtsschädigend beschrieben. Hans-Peter Friedrich findet die Zusammenhänge nicht und fordert zur Aufklärung eine sofortige Online-Durchsuchung.
13:00 – Gemeinsam mit den Innenministern der unionsgeführten Länder beschließt der Kabinetts-Lautsprecher, ein Qualitätsmanagement für V-Leute durchzusetzen: Glatzen nur noch aus natürlichem Haarausfall, ergonomische Hilfestellung beim Schießtraining, Einüben des Hitlergrußes unter Betreuung durch staatlich geprüfte Eurhythmiker.
13:22 – In einer Pressemitteilung teilt der Minister der Presse mit, die Ermittlungsakten von Neonazis länger als bisher aufzubewahren. Die aktuelle fünfjährige Speicherfrist habe sich nicht bewährt, dies zeige der Vergleich von Daten aus den Jahren 2010, 1992 und 1979.
13:39 – Während eines kurzen Telefonats mit der Bundeskanzlerin kommt Friedrich eine brillante Idee, mit der die Sicherheit auch ohne ein intaktes Diensthandy gewährleistet sein wird: ein Zentralregister für Fernrufnummern. Der Minister delegiert an seinen Mitarbeiterstab, sofort eine Konferenz mit sämtlichen Telefonprovidern der Welt zu organisieren.
14:04 – Der pünktlich zur vollen Stunde bestellte Journalistentross, vor dem Friedrich ein Verbot der NPD fordern wollte, ist nicht eingetroffen. Wie sich später herausstellt, erholen sich die Pressevertreter noch von einer Veranstaltung mit Westerwelle. Der Innenminister meistert die Situation, indem er eine Presseerklärung herausgibt, in der er die anlasslose Vorratsdatenspeicherung fordert.
14:19 – Friedrich widerspricht Pressemitteilungen, nach denen er die sofortige Zusammenlegung von Bundeswehr und Polizei gefordert haben solle. Er betont, dass die Zusammenlegung ohne MAD, BND und Verfassungsschutz nicht sinnvoll sei und aus buchungstechnischen Gründen auch erst im Januar des kommenden Jahres erfolgen könne.
14:28 – Der Innenminister schlägt den Muslimen eine Sicherheitspartnerschaft vor. Zur Verhinderung von Straftaten mit Beteiligung von Ausländern setze er vermehrt auf freiwillige Auswanderung von Nichtdeutschen und wolle im Gegenzug nicht durch Ermittlungen in Ausländerwohnbezirken stören.
14:36 – Das Netz darf kein rechtsfreier Raum sein. Zur Durchsetzung strafrechtlicher Maßnahmen fordert der Innenminister, dass lautes Hupen nach 22:00 Uhr auch im deutschen Internet künftig streng verboten sein müsse. Man dürfe nicht online akzeptieren, was außerhalb der Computer den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden geeignet sei.
14:49 – Friedrich erfährt die unangenehme Botschaft als erster: die Opposition wünscht einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, um die Mordserie der Zwickauer Terrorzelle aufzuklären. Er zieht eilig ein kleines Notizheft aus der Schreibtischschublade hervor, um einen passenden V-Mann für den Ausschuss auszuwählen. Beim Weglegen des Büchleins fällt ihm ein Umschlag in der Schublade auf, in dem sich 100.000 Mark in Bar befinden.
15:05 – Nach Aussage des Ministers solle die Bundesregierung demnächst ein Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus einrichten. Die abgewehrten Fälle würden dann gar nicht erst ins Ministerium gemeldet, sondern gleich auf den Polizeidienststellen versehentlich in den Reißwolf gesteckt.
15:23 – Die für Ende der Woche geplante Fusion von Bundeswehr und BKA entfällt nun doch. Dem Ministerium war es nicht gelungen, Fremdenlegion und Bilfinger Berger in den neuen Konzern zu integrieren.
15:50 – Auf der Fahrt ins Bundeskanzleramt trifft Friedrich eine kurzfristige Verabredung mit dem neuseeländischen Botschafter. Das Telefon hatte er auf dem Rücksitz seines Dienstwagens gefunden. Der Minister vermutet eine Verschwörung verfassungsfeindlicher Kräfte. Außerdem hatte man ihn ständig aus seinem Büro anzurufen versucht. Das können nur Stasispitzel gewesen sein.
16:04 – Der Bundesinnenminister gibt den anwesenden Journalisten zu verstehen, Neuseeland sei historisch kein Teil von Deutschland. Das rechtfertige keine sofortige Einführung der Vorratsdatenspeicherung, es erfordere vielmehr die sofortige Einführung von Vorratsdatenspeicherung, Online-Untersuchung und Körperscannern.
16:33 – Der Innenausschuss ruft an und fordert das Ministerium auf, Widersprüche aufzuklären über das in Zwickau explodierte Wohnhaus, aus dessen Trümmern nach einem zehnstündigen Brand USB-Sticks und DVD-Hüllen unversehrt sichergestellt worden waren. Friedrich erkennt Zusammenhänge mit den Personalausweisen der Terroristen des 11. September, die ebenfalls intakt im Schutt des World Trade Center gefunden wurden. Es könne sich daher beim Nationalsozialistischen Untergrund nur um eine islamistische Terrorzelle handeln.
16:56 – Freude im Haus Friedrich! Der Chef sortiert begeistert einen Stapel Internetausdrucke. Axel E. Fischer, Unionsexperte für dieses Internet und Sachen, von denen er auch nicht viel mehr versteht, hat eine Menge Forderungen geschickt. Der Bayer plant ein freies Wochenende.
17:04 – Der Integrationsfolgenminister präzisiert seine Vorstellungen von Sicherheitspartnerschaft gegenüber den Muslimen. Wer den regierenden Sicherheitsbehörden Namen und Anschrift einer möglicherweise nicht unverdächtiger Personen muslimischer Rassezugehörigkeit nennen könne, die verdächtigt würden, verdächtigt zu werden, dem würde die deutsche Staatsbürgerschaft nachträglich nicht mehr aberkannt. Zur Qualifikation schlug er vor, die Personen nach intensiver Schulung mit Aufnähern in Form eines grünen Halbmondes zu kennzeichnen. Dies sorge für Akzeptanz bei den Sicherheitsdiensten.
17:20 – Der Verfassungsminister fordert mehr Anstrengungen in der schulischen Integration. Auch bildungsferne Schichten müssten zur Assimilation in die deutsche Leitkultur frühzeitig die wichtigsten Ausdrücke der Umgangssprache beherrschen wie „Bitte“, „Danke“ und „Jawohl, mein Führer“.
17:47 – Fast ist der Tag geschafft; Friedrich fordert noch eben schnell ein NPD-Verbot.
18:10 – Kein Feierabend für den Minister, er muss einer Presseanfrage widersprechen, dass im Falle der beiden erschossenen Zwickauer Neonazis kein Fremdverschulden vorgelegen habe. Friedrich gibt die Erklärung ab, es handle sich möglicherweise um zwei V-Leute, die nach dem üblichen Prozedere abgeschaltet worden seien.
18:35 – Der Innenausschuss lässt durch seinen Vorsitzenden Wolfgang Bosbach ausrichten, der Verfassungsschutz müsse wieder federführend sein im Bereich Rechtsextremismus. Angesichts der Erfolge des NSU beharrt Friedrich darauf, dies sei bereits der Fall.
19:12 – Auf der Fahrt zur Talkshow erhält der Bundesinnenminister das Angebot, die Moderation von Wetten, dass…? zu übernehmen; er sei derzeit das am besten geeignete TV-Gesicht, um dem Publikum ein absurdes, unlogisches und komplett überflüssiges Programm anzukündigen. Friedrich ist verärgert. Noch mehr verärgert ist er allerdings darüber, dass Pleiten, Pech und Pannen bereits an Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm vergeben ist.
19:48 – Interview für die Tagesschau. Als Ressortchef für die deutsche Kultur, die in diesem Jahr mit Tanzveranstaltungen, Skulpturen- und Lyrikwettbewerben aus Kasachstan, Peru und dem Senegal vertreten ist, fordert der bayerische Weltbürger ein anlassloses NPD-Verbot zum Schutz vor den regierenden Sicherheitsbehörden.
20:06 – Immer noch keine Ruhe, jetzt entdeckt die Presse nach dem Suizid von Böhnhardt und Mundlos Spuren, die dem Bundesnachrichtendienst zugeordnet werden können. Friedrich betont, es habe sich mit Sicherheit lediglich um Amtshilfe gehandelt.
20:23 – Die Talkrunde nimmt an Fahrt auf. Experten, Betroffene und Hans-Peter Friedrich sprechen zum Thema Krebsfrüherkennung. Der Minister fordert die Vorratsdatenspeicherung.
22:40 – Friedrich widerspricht entschieden der Frage eines Journalisten, ob ein im Bundesnachrichtendienst beschäftigter V-Mann in Thüringen das Bernsteinzimmer gefunden habe. Der Bundesminister weist darauf hin, dass beim BND überhaupt keine V-Leute eingesetzt würden.
22:59 – Auf der Rückfahrt nach Hause wird Friedrich mitgeteilt, dass sich mehrere Exemplare der Paulchen-Panther-DVD aus der Zwickauer Neonazigruppe bereits in Umlauf befinden. Er erkennt sofort Handlungsbedarf, da hier eine böswillige Verletzung von Urheber- und Leistungsschutzrechten vorliegt, die sofort den Einsatz von Stoppschildern im Internet zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Sportwetten erfordern.
23:23 – Der Bundesminister des Innern kommt in seiner Wohnung an. Die lose in den Angeln hängende Eingangstür ist mit Flatterband gesichert, davor stehen Sicherheitsbeamte, die sich ganz unauffällig als Cowboys, Fleischereifachverkäufer und Friedrich der Große verkleidet haben. Der Politiker zieht sich zurück, um unter den wuchtigen Klängen des Bayerischen Defiliermarsches ein kurzes Nachtgebet zu sprechen.
23:54 – Terror! Friedrich findet seine Filzpantoffeln nicht. Gleich am nächsten Tag wird er seinen V-Mann anrufen, um eine Online-Durchsuchung seiner Wohnung durchführen zu lassen. Erschöpft sinkt er in die Kissen, drückt den Weckknopf seiner Handgranatenuhr und entschlummert sanft.
Satzspiegel