„Selbstverständlich haben die Kultusminister dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder in den Schulen zu rechtschaffenen Untertanen des deutschen Staates erzogen werden. Wir sind uns klar darüber, dass sie so früh wie möglich begreifen sollen, was dieser Staat ist. Deshalb haben wir den Lehrplan erweitert. Um die Rechtssicherheit zu gewährleisten, nicht wahr? Die Rechtssicherheit, dass die Kultusminister im Auftrag der Verlage Überwachungssoftware installieren dürfen, um digitale Vervielfältigungen von Schulbüchern auf Schulcomputern auszuspähen – sie dürfen für die Gebühren, die sie auf ihre Geräte ohnehin zahlen, keine Gegenleistung erwarten. Das widerspräche ja auch dem gesunden Menschenverstand, mehr noch: der Rechtsordnung. Deshalb haben wir uns etwas anderes einfallen lassen. Wir sind ja lernfähig.
Wir sind uns bewusst, dass wir gegen den Klassenstandpunkt dieser Pseudoelite und ihrer Stasimethoden nicht mehr anders angehen können. Wir haben begriffen, dass der führenden Rolle des Kapitalismus nicht mit guten Worten zu begegnen sein wird. Wenn uns weiterhin geboten ist, Selbstverpflichtungen abzugeben, die dem Grundgesetz widersprechen, dann werden wir uns zur Wehr setzen. Mit pädagogischen Mitteln.
Im Fach Staatsbürgerkunde lernen die Kinder, dass die Verfassung nichts wert ist, solange sie von Politikern gebrochen wird; dass sie sowieso nichts wert ist, solange sie überhaupt von Politikern gebrochen oder missachtet werden kann, die man danach nicht mit dem Gewehrkolben vom Hof prügelt. Sie lernen, dass der Staat mit seinen Bürgern Dinge tun darf, die der Bürger nicht tun dürfte. Schon gar nicht mit dem Staat.
Sie lernen, dass den Verlagen und anderen Industriezweigen der Staat gehört. Sie lernen, dass die Industrie soziale Verantwortung vor allem so definiert, dass ein paar asoziale Arschlöcher höhere Boni bekommen. Sie lernen, dass man seine eigene Unfähigkeit vor allem durch illegale Geschäfte wieder ausbügelt – und dass der Staat kriecherisch dabei hilft, wo er nur kann. Man weiß ja nie, wie es sich einmal auszahlt.
Sie lernen, dass Überwachung etwas Schönes ist und Freiheit ein unnötiger Zustand, der nur zu Demokratie und ähnlichen Fehlentwicklungen führt. Sie lernen, dass es vollkommen egal ist, welche Partei gerade eine Regierung stellt, denn korrupte Schweine, die sich zum Handlanger anderer korrupter Schweine machen, finden sich in jeder Partei, und sie arbeiten gerne zusammen.
Sie lernen, dass Denunziantentum für den Bürger eine befriedigende Pflicht zu sein hat, ganz wie in den schönsten Tagen deutscher Geschichte.
Sie lernen, dass alle Kinder in diesem Land etwas eint: man darf auf ihnen herumtrampeln. Es sei denn, ihre Eltern haben zufällig Vermögen. Oder hochrangige Ämter. Oder Aktienbesitz Oder Adelstitel. Sie lernen, dass man nicht früh genug kriminalisiert und ausgegrenzt werden kann. Wenn sie dann auf die schiefe Bahn geraten, weil es ihnen egal ist, was die da oben von ihnen halten, dann werden sie sehr viel besser mit der Verachtung der Öffentlichkeit leben.
Sie lernen, dass Generalverdacht etwas ganz Normales ist – man braucht überhaupt keinen Grund, jemanden zu verdächtigen, man nimmt einfach an, dass schon genug Menschen Dinge tun, die einem gerade nicht in den Kram passen. Da lernt man etwas fürs Leben, denn draußen sind Polizei und Staatsanwaltschaften genau so zugange.
Sie lernen, dass diese Art Exekutive nur aus dem populistischen Getöse einiger Deppen besteht, die nicht einmal so hinreichend logisch denken können, dass sie erkennen würden, wie die hier aufgeblasenen Straftaten offenbar auf das Konto von Erwachsenen gehen, Lehrern, Schulleitern, und dass nur die Schüler dafür büßen werden, wenn man ihnen die Rechner konfisziert oder sie vom Internet abklemmt – der Schulbusfahrer fährt über die rote Ampel, deshalb kommen die Schüler in Arrest. Eine sehr gute Voraussetzung, um die Haftung für die Finanzkrise zu verstehen.
Sie lernen, dass Datenschutz ein hübsches Dekorationsobjekt ist, für das man Beauftragte bestellt, Gesetze verabschiedet und eine peinliche Ministerette losjagt, damit man Häuser, die sich jeder so viel angucken kann, wie er lustig ist, im Internet nur durch eine Pixelmauer sieht – und dass ansonsten Schutz vertraulicher Angelegenheiten eine Sache von Regierungen ist, die Waffen an faschistoide Regimes und die Wasserversorgung an Zocker verschachern.
Sie lernen, dass Bildung den Handlagern der Industrie vollkommen gleichgültig ist – es sei denn, sie sind im Wahlkampf, dann wird irgendeine machthungrige Wanze jedes Blag in den Arm nehmen, von Chancengleichheit schwatzen und so tun, als käme es auf den allgemeinen Wohlstand an, um den Kapitalmarkt zu mästen. Sie lernen, dass Bildung ohnehin eine Frage der Finanzierung ist, wie Arbeit oder Gesundheit. Man kümmert sich nicht darum, Staatsziele zu erreichen, die der Gesellschaft nützen, de in einem Amtseid zwingend als Ziele dieses Gemeinwesens festgeschrieben sind und die in jeder Sonntagsrede wie Glockengeläut klingen – die Hauptsache ist, dass jemand daran verdienen kann, durch Lizenzen oder Patente, und wer sich dagegen stellt, wird als Staatsfeind beschimpft, kriminalisiert und nicht selten durch den Presseschlamm gezogen.
Sie lernen, dass das sogenannte geistige Eigentum eine Waffe ist, mit der man jeden noch so abwegigen Anspruch durchdrücken kann, es sei denn, man ist selbst Urheber. Solche Leute haben natürlich keine Ansprüche zu stellen. Die können froh sein, wenn sie die Verwertungsindustrie reich machen dürfen. Sie lernen, dass man mutmaßliche Urheberrechtsverletzungen wie Terrorismus bekriegen darf – es sei denn, man heißt Kauder oder Koch-Mehrin, Guttenberg oder Chatzimarkakis, dann ist die kriminelle Energie sicherlich durch den Einsatz für Volk und Vaterland entschuldigt.
Sie lernen, dass es in diesem Land Verbindungen gibt, die einerseits gegen jede Wirklichkeit resistent sind, die sich durch keine noch so klare Sicht auf die Dinge beeindrucken lassen – dass aber dieselben Leute nicht einfach ignorant sind, geistig minderbemittelt oder ideologisch verblendet, sondern einfach kriminelle Elemente, Schmarotzer, eine parasitäre Schicht, die wissentlich das Recht mit Füßen tritt, wissentlich, denn sonst würden sie sich nicht allergrößte Mühe geben, es so gut vor der Öffentlichkeit zu verbergen und Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, dass es Lobbyverbände, Tarnorganisationen, Kommissionen, Initiativen und ähnliche Zirkel gibt, die einem den ganzen Dreck im Fernsehen schön lügen, bis die Butter von der Stulle suppt. Sie sehen es, wenn Sie eine Wahl abwarten; wer da in den Parlamenten für einen Verband gehetzt und gelogen und verleumdet und den Bürgern Sand in die Augen gestreut hat, wusste genau, was er tat, denn er wurde dafür geschult und bezahlt.
Sie lernen, dass es in diesem Land doch noch so etwas wie ein Widerstandsrecht gibt, das für diese Bundesrepublik zur Leitkultur zählt. Was für die Repräsentanten durchaus unangenehm werden kann. Sie lernen Staatsbürgerkunde. Und das ist, angesichts dieses Staates, nicht das Schlechteste.“
Satzspiegel