Gernulf Olzheimer kommentiert (CXXVI): Die kalkulierte Debatte

4 11 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Im Anfang war das Wort, und ein Wort gab das andere, und sie zeugten Gelaber, und Gelaber zeugte Geschwafel, und Geschwafel zeugte Geplapper, und Geplapper zeugte Gewäsch, und Gewäsch zeugte Gerede und Blech und Larifari und Trallala und Ich-habe-es-doch-gleich-gesagt, und ihnen platzte der Geduldsfaden, und wenn sie nicht die Klappe halten, faseln sie heute noch, und nichts kommt bei ihnen heraus als die kalkulierte Debatte.

Der Anlass ist zu vernachlässigen. Meistens bläht ihn der mediale Spülicht zu größerem Format, weil man ihn sonst nicht einmal bemerken würde, und aus dem unsinnigsten Auslöser poppt eine der Öffentlichkeit aufgezwungene Diskussion um die Grundsatzfragen der Menschheit, ohne die eine Nation, so wie sie Zeitungsverlage und Brauereien zu verstehen pflegen, nicht überleben kann. War an Hitler alles schlecht? Brauchen Kinder zwingend Religionsunterricht? Ist Demokratie heilbar? Der intellektuelle Horizont der Fragestellungen ist der Abstand zwischen Nase und Bodenbelag.

Hat der erste Funke gezündet, schmurzelt sich die eifrig gehegte Flamme durch die Landschaft: Primatenpostillen und Trotteltalk arbeiten Hand in Hand an der Verdeppung ganzer Landstriche, um ihre Penetrationsstrategie abzuarbeiten. Schon kleckert sinnloses Geplärr in die Gehörgänge der Nation, denn nur alte Argumente werden durch- und ausgekaut, und vorgekotzte Thesen sollen nach Maßgabe der Einpeitscher herauskommen – eine Rotte im Zivilstand gescheiterte Knalltüten turnt durch die televisionären Zwangsveranstaltungen und inszeniert billiges Kasperletheater, bauscht entsprechend der Agenda belangloses statistisches Geklömper auf (der Grieche kriegt zwei Zehntel Kinder mehr, macht aber einen halben Tag mehr Urlaub), krakeelt sich den gefühlten Weltuntergang herbei. Die dressierten Affen sollen ihrerseits die humanevolutionäre Ausschussware zum kritiklosen Nachschnattern bringen – bei einem weitet sich der Horizont, bei anderen diverse Körperöffnungen – und markieren die Dompteure der Pfostenhorde.

Was folgt, ist weniger eine Leistungsschau der hohlen Rhetorik hyperventilierender Nervensägen als kleinteilig abgesonderte Nullinformation für Weghörer, Nanodenker und Nachquaker. Jede noch so differenzierte Diskussion mündet zielsicher im binären Entwurf eines Grabenkrieges. Die Ergebnislosigkeit der Streiterei trifft auf neue und alte Feindschaften, die sich mit Schwung der Zementierung alter ideologischer Denkschranken hingeben – sinnigerweise kommen beide Seiten mit populistischen Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Phrasen und berufen sich allen Ernstes auf die Meinungsfreiheit, um ihr weißes Rauschen in die Umgebungsluft abzugeben. Der Nebeneffekt ist ebenjener bereits genannte Resonanzbodensatz an Makroidiotikern, die sich von mit allen Abwassern gewaschenen Vorblökern instrumentalisieren lassen, Kanonenfutter der Fahrplanschnitzer.

Sind wir erst so weit, dass die Polemik in voller Fahrt die zivilisatorischen Errungenschaften im Fußraum festdrillt, so wird der Stellvertreterkrieg zum Feigenblatt, um sorgsam verdrängte Vorurteile wieder zum Leben zu erwecken. Kichernd hetzt der Agogenbande den Mob in die Messer und heißt ihn Blut kochen: der Muselman will nur Krieg, der Neger stinkt, Arbeitslose sind nur faul und Frauen – aber da verlässt den Tribunen dann der Mut, weil er sonst abends von Mutti eins auf die Fresse bekäme. Die Debatte ist ein Instrument des populistischen Spins. Es wird nach einer Debatte geschrien, nicht nach einer differenzierten Debatte, nicht nach einer ehrlichen, von Aufklärung, Rationalität, Vernunft geleiteten Debatte. Und so sieht sie dann auch aus: neoliberal, paternalistisch, chauvinistisch, ganz nach Belieben des anheizenden Clans, der seine Ansichten als Psychodrama unters Volk jubelt.

Die größte Katastrophe entsteht, wenn sich tatsächlich ein geistig gebrauchsfähiger Hominide ins Licht verirrt und zweckmäßige Lautäußerungen von sich gibt. Seine Einsichtsfähigkeit und das perfide Einverständnis, eine ihm aufgezwungene Debatte unstreitig auch führen zu wollen, ruft schwere allergische Reaktionen in verschwiemelten Untiefen meinungsführender Dumpfdüsen hervor. Ihre Pfadabhängigkeit führt sofort zur Stabilität der diskursiven Konzepte, vulgo: die Scheiße im ihrem Schädel wird innerhalb kürzester Zeit Beton. Ab einer gewissen Gewöhnung an die eigene geistige Unbeweglichkeit wird der quasikomatöse Zustand des Sozialentzugs nur mehr mit Floskeln wie Haben wir schon immer so gemacht oder Da kann ja jeder kommen vor der zerstörerischen Wirkung des Argumentativen geschützt. Es wäre leichter, eine Betonmauer durch Niederbrüllen zu zerbröseln.

Wo die Debatte überfällig ist – wer sähe das in den aktuellen Krisenzeiten nicht, wer begriffe nicht, dass allein eine nüchterne Betrachtung sämtlicher systematischer Fehler uns noch vor der Havarie schützen könnte – sollte man sie selbst mit heftigen Fußtritten anstoßen. Es wäre perfide, ist aber nötig. Und wir sollten uns nicht auf die Debatte einlassen, ob es aus Kalkül gelingt.