„Oh, du fröh-hö-liche“, trällerte Horst Breschke, „oh, du se-he-lige, können Sie mir mal diese eine Steckverbindung da aus dem Kasten – nein, der andere da, der genauso aussieht.“ Und dabei kippelte er auf einer alten Fensterputzerleiter an der Hauswand, stützte sich am Fenstersims im ersten Stock ab und fummelte einhändig ein Wirrwarr aus Stromlitzen zusammen. Wenn Weihnachten das Fest der sinnlosen Elektroinstallationen sein sollte, dann weihnachtete es gerade sehr.
„Man kann nicht früh genug damit anfangen.“ Der pensionierte Finanzbeamte klopfte sich einige Fusseln vom Knie und zupfte sein Hütchen zurecht. „Früher haben wir immer bis zum Advent gewartet, aber seitdem wir schon im August Stollen essen, kann man ja jetzt schon einmal die Lichterkette anbringen.“ Wobei es sich, genau genommen, nicht um eine Kette handelte, sondern um ein Gestrüpp dutzender Beleuchtungsschläuche in Schockfarben, allesamt durch wackelige Kleinststecker und dünne Kabellage zusammengehalten. „Und ganz preiswert war das“, frohlockte Breschke, „unsere Tochter hat sie nämlich im Angebot bekommen.“
Das war zu erwarten gewesen; seine Tochter besaß das untrügliche Gespür, unter Hunderten von Billigelektromotormähern den einzigen zu finden, der über einen Adapter an kontinentale Steckdosen passt, den Lärm einer Kreissäge zu entfalten und nach dreißig Sekunden Betriebszeit in einem anmutigen Bogen seine Bestandteile über den Rasen zu verteilen. Meist waren solche Dinge zu Schnäppchenpreisen im Internet erstanden, ohne Sicherheitsplaketten, Zoll- oder Garantieaufkleber (die aus dem Hindi ins Ostgotische transferierten Bedienungsanleitungen schwiegen sich über diese Themen ohnehin aus) und von geradezu epochaler Hässlichkeit. Aber Breschke vertraute ihr, weder eine empfindliche Magenverstimmung nach dem Genuss portugiesischer Muscheln im Glas ohne Etikett noch die sich während der ersten Wäsche in netzähnliches Gewebe verwandelnden Hemden aus garantiert ökologisch angebautem Polyester waren geeignet, seinen Glauben zu erschüttern.
Skeptisch musterte ich die Stecker. „Die gehen schon auseinander, wenn man sie scharf anguckt.“ Er schüttelte energisch den Kopf. „Machen Sie sich keine Sorgen, das habe ich alles bedacht.“ Und er fingerte mit der freien Linken aus der rechten Tasche seiner Strickweste eine Rolle Klebeband. „Das hält bombenfest! Das können wir dann gleich für die nächsten Jahre so lassen.“ Ich reichte ihm einen grün-lila gefärbte Glühbirnchenstrang an. Er pfriemelte die Stecker zusammen, knibbelte ein Stückchen Klebeband ab und versuchte, es um das Steckerpaar zu wickeln. Offensichtlich ohne Erfolg. „Das ist ja aufgegangen“, jammerte er, „was mache ich denn jetzt?“ „Was halten Sie davon, es einfach noch einmal zu versuchen?“ Eins immerhin musste man Herrn Breschke lassen, seine Vermutung stimmte. Das Zeug haftete tatsächlich bombenfest; mit Fingern und Zähnen versuchte er, den Klebepapp zu entfernen, zwar schon am Fuße der Leiter, aber immer noch gefährlich kippelnd. „Das geht nie wieder auf“, schimpfte er. „Gut so“, gab ich ungerührt zurück, „das können wir dann gleich für die nächsten Jahre so lassen.“
Mit Hilfe eines Taschenmessers gelang es ihm dennoch, die unsinnig verkleisterten Kontakte zu lösen. „Ich halte fest, Sie schneiden ein Stück Band ab und kleben es zusammen.“ Ich stutzte; das war ja doppelseitiges Klebeband? „Sicher“, nickte mir Breschke zu, „das muss doch irgendwie halten.“ Und er erklomm die Leiter, das Steckerknäuel noch immer an den Fingern haftend, balancierte bis zum Fenstersims und heftete das Objekt an die Mauer. „Das hält“, jubilierte er. „Das hält wirklich, und man kriegt es rückstandsfrei wieder ab!“
Wie zu erwarten hatten sich die drei bis vier Steckerklumpen gemäß der Produkteigenschaften verhalten und waren der Schwerkraft gefolgt, ohne nennenswerte Rückstände auf dem Mauerwerk zu hinterlassen. „Sie sollten ein paar Dübel im Mauerwerk anbringen“, riet ich dem Hausherrn, „oder wenigstens Schellen im Mörtel befestigen. Oder kleine Häkchen an der Dachrinne befestigen, daran können Sie dieses Blinkzeugs aufhängen.“ Er schwieg verbissen. „Ich kann doch nicht einfach das Haus anbohren, dazu müsste ich ja erst meine Frau fragen.“ Es kläffte von unten herauf. Bismarck betrachtete ungläubig das Schauspiel, der dümmste Dackel im weiten Umkreis, der außer der Jagd auf die Tulpenbeete der Nachbarschaft und die Gartenzwerge im Allgemeinen nur eine wirkliche Lieblingsbeschäftigung pflegte: seinem Herrn zwischen den Beinen herumzulaufen. Offenbar war ihm das vorweihnachtliche Illuminationsstreben seines Meisters suspekt. Oder er hatte ästhetisch eine etwas andere Vorstellung von Perfektion.
Vorsichtig stieg der Alte die Leiter herab. Eine Hälfte der Klebereien saß an den Fensterrahmen, an der Regenrinne und ähnlichen Stellen fest, die andere stak an unterschiedlichen Vorsprüngen im Mauerwerk. „Das sollte jetzt aber halten“, gab Breschke zu Protokoll. Ich machte ihn auf einen kleinen Fehler aufmerksam. „Der Anschluss für den Netzstecker befindet sich knapp oberhalb des Erdgeschossfensters.“ Sein Mund klappte auf. „Wir müssten noch irgendwo ein Ersatzkabel haben – warten Sie mal, ich suche es!“ Keine Viertelstunde später hatte er es auch schon ausfindig gemacht; jetzt musste das Ding bloß noch in den Anschluss gestopft und nach unten geführt werden. „Passt“, keuchte er und hielt sich mit bebenden Händen an der Trittleiter fest. „Ich glaube, ich brauche jetzt erst einmal eine Tasse Tee. Mögen Sie auch?“ Ehe ich mich versah, hatte Bismarck das herabhänge Schnurende in Augenschein genommen, es kräftig angeknurrt und für feindliche Materie erklärt. Mit einem Happs verbiss er sich in dem Plastiklitz und schoss Sekunden später jaulend durch den Garten, da die komplette Montage herunterprasselte. Ich griff in den Werkzeugkasten auf dem Boden und zog ein Päckchen Stahlstifte hervor. „Bleiben Sie gleich oben, ich reiche Ihnen den Hammer.“
Die Bungalowfront hatte inzwischen ein surrealistisches Aussehen angenommen; es war damit zu rechnen, dass bei Einbruch der Dunkelheit erste Passagiermaschinen zum Landeanflug auf den Garten ansetzen würden. „Achtung“, ließ sich Breschke vernehmen, „ich schalte an!“ Sekunden später erstrahlte das Haus unter einer flackernden Flut scheußlich bunter Lichtschlangen, die vor- und rückwärts liefen. Er klatschte entzückt in die Hände. „Ist es nicht wundervoll? Ist das nicht einzigartig?“ „Einzigartig: ja“, pflichtete ich ihm bei, „ich hatte ja befürchtet, das Ding würde auch noch rotieren.“ Doch Breschke hörte schon gar nicht mehr zu. Er sammelte Lichterkettenschachteln vom Rasen und drückte sie mir in die Hand. Ich warf einen flüchtigen Blick auf die Pappboxen und erstarrte. „Lesen Sie mal“, sagte ich und hielt ihm eine der Packungen unter die Nase. „Dem Blinke schlange nicht in die Draußßen wenn Pufffung kan ein Feuyer tun!!“ Gekränkt rückte er seine Brille zurecht. „Was erwarten Sie von mir! Ich habe extra eine Verlängerungsschnur gekauft, damit ich sie drinnen anschließen kann. Sehen Sie selbst!“ Und wahrlich, es wand sich eine Zuleitung an der Mauer die Kellertreppe hinab, eingeklemmt in der Tür, und von dort ging sie hinauf und mündete zielsicher in der Wandsteckdose oberhalb des Geschirrspülers.
Vermutlich hatte es vor dem Fenster im Obergeschoss begonnen. Kleine Stichflammen züngelten an den Plastikschläuchen entlang, es roch nach verkohltem Kunststoff. Herr Breschke rannte in den Keller. „Die Leiter! Wir müssen sofort die Leiter anstellen!“ „Blödsinn“, fuhr ich ihn an. „Ziehen Sie lieber den Stecker.“ Da kam er angekeucht mit einem Feuerlöscher. „Hier“, jappte Breschke. „Meine Tochter hat…“ Da knallte es gewaltig. Bismarck wimmerte nur leise aus dem Buchsbaum. Das Haus lag in geheimnisvollem Dunkel, umweht von beißenden Brandschwaden. Knirschend öffnete das Fenster im Erdgeschoss seine Flügel. „Horst! Das Radio blinkt!“ Leise rieselten die Rußflocken. „Drücken Sie die Sicherung wieder rein“, riet ich Frau Breschke. „Und dann verstecken Sie den Weihnachtsschmuck. Sicher ist sicher.“
Satzspiegel