Mit einem Ruck schlug Hildegard die Zeitung zu. „Dieses Jahr“, entschloss sie, „schenken wir uns nichts.“ Ich seufzte ergeben. „Wir werden endlich einmal die Weihnachtstage in Ruhe verbringen. Du kochst, und dann schaue ich zu, wie der Baum von Dir geschmückt wird. Aber von Geschenken will ich diesmal nichts wissen.“ „Ja“, erwiderte ich geistesabwesend, „wie immer.“
„Natürlich ist es nicht viel“, teilte sie mir mit, während sie mit Argusaugen nach einem freien Parkplatz suchte. „Einen Bräter, weil es Gans gibt, und dann brauchen wir Wein, und Rosinen und eine neue Lichterkette, und wenn wir schon einmal hier sind, dann könnten wir ja auch gleich nach einer Schneeschaufel gucken, und Maja bekommt eine Kleinigkeit, vielleicht etwas Schokolade, und Du brauchst doch Hausschuhe? Natürlich brauchst Du Hausschuhe, und zwar neue, und die werden wir hier auch finden.“ Zwecklos, ihr zu sagen, dass ich noch nie Hausschuhe getragen habe, aber da stieß sie schon auf eine unbesetzte Parkstelle. Minuten später befanden wir uns in der Einkaufspassage, wenige Schritte entfernt vom Schuhgeschäft und direkt gegenüber einer Handlung für Damenbedarf.
Hildegard hatte versprochen, nur mal eben zu gucken; ich könnte ja in der Zwischenzeit auch im Café gegenüber einen Espresso zu mir nehmen. Ich blieb zur Vorsicht an ihrer Seite. „Das ist doch ein wirklich wunderschönes Jäckchen“, jubilierte sie. „Passt fabelhaft zu der perlgrauen Seidenbluse.“ „Welche Bluse“, replizierte ich, „was, wo?“ „Die im Schaufenster“, belehrte mich Hildegard. „Bei Maloffski und Prinzhuber, am Markt, direkt rechts neben dem lila Twinset. Ganz entzückend, sie hat einen kleinen Rollkragen und Klappmanschetten.“ „Und wie teuer?“ Sie blähte empört die Backen. „Woher soll denn ich das wissen? Glaubst Du etwa, dass ich nur deshalb auf den Preis schaue? Absolut ausgeschlossen, das würde ich nie tun! Und ich will diese Bluse gar nicht, hörst Du? Nicht ohne dieses Paillettenjäckchen!“
Nach ein paar kleineren Einkäufen, einer Schneeschaufel, Olivenöl, Schokolade für mein Patenkind, Hausschuhen, Gans samt Bräter sowie diversem Gemüse, Gewürzen, Wein, Lichtern, Brikett, Brokat, einem Weihnachtsbaum und, wie gesagt, einigen Kleinigkeiten auf ihrer Seite, kehrten wir heim. Sicherlich hätten wir an diesem Vormittag noch mehr besorgen können, aber es war ja schon kurz vor Einbruch der Dunkelheit.
„Was soll ich Weihnachten bloß anziehen“, überlegte Hildegard. „Wie wäre es mit Deinem neuen Faltenrock“, schlug ich vor, „schließlich sollte der für besondere Gelegenheiten sein. Dazu passt sicherlich eine Seidenbluse, oder aber das Wollensemble in Hellblau – oder vielleicht…“ „Das ist doch eher etwas für festliche Stunden“, begehrte sie auf, „wir sind ja schließlich unter uns.“ Ich rümpfte die Nase. „Und deshalb willst Du lieber einen Kittel tragen? Wozu mache ich mir die Mühe mit der Gans?“ „Ich meine ja nur“, gab sie gekränkt zurück. „Schließlich hätte ich sonst nichts extra für Dich – aber egal, Du willst es ja nicht anders.“
Anderntags überraschte ich Hildegard, wie sie in meinem Arbeitszimmer ein Kästchen in weihnachtliches Geschenkpapier einzuwickeln versuchte. „Es ist gar nicht für Dich“, erklärte sie mir. „Schließlich bist Du nicht der einzige, der so einen Wert legt auf gespitzte Bleistifte, und da dachte ich mir, dieser hier wäre sicher noch – und da meinte ich eben, ich könnte ihn vielleicht, nur so aus Vorsicht, weil Du ja demnächst Geburtstag hast, also in ein paar Monaten, im nächsten Jahr, und dann würde ich nicht mehr suchen müssen, weil Du Dir den wünschen würdest.“ Es war ein zierlicher, rotgoldener Druckbleistift, oben besetzt mit kleinen Diamantsplittern. Er würde in der Schale auf meinem Schreibtisch sicher sehr gut zu dem mattsilbernen Druckbleistift passen und zu dem Druckbleistift, den mir Hildegard seinerzeit mitgebracht hatte, damit ich nicht immer Bleistifte spitzen müsse. „Entzückend“, sagte ich mit maliziösem Grinsen, „ganz entzückend. Du bist die Vorhersehung in Person.“
Wenig später teilte mir Hildegard mit, dass sie einige ganz entzückende Seidenkrawatten in einer Zeitungsbeilage entdeckt hatte. Zu schade nur, dass gerade Wiegenfest, Namenstag und Pfingsten vorbei waren, aber es schade sicher nicht, wenn sie die Schlipse selbst einmal in Augenschein nähme. „Tu das“, gab ich ungerührt zurück. „Und an Deiner Stelle würde ich sie in meinem Kleiderschrank deponieren, schließlich gehören sie da ja auch hin.“ „Das hat doch nichts mit Weihnachten zu tun“, antwortete sie gekränkt, „kann man denn Dir nicht einmal im Jahr eine Freude machen, ohne gleich mit Deiner Ablehnung konfrontiert zu werden? Hast Du denn gar kein Herz für mich?“
In Anbetracht sämtlicher Antworten, die mir gerade auf der Zunge gelegen hatten, war es ein Segen, dass sie sich auf dem Absatz umdrehte und ins Schlafzimmer verschwand. Minuten später kam sie zornentbrannt zurück; zwischen meinen Anzügen hatte sie ein Jäckchen entdeckt, darunter eine perlgraue Seidenbluse. „So also dankst Du es mir, dass ich mich für die Balance unserer Beziehung einsetze? Ich bin empört! Und überhaupt, was soll das hier sein!? Ohne Schuhe? Ich ziehe doch diese Jacke und den Faltenrock nicht ohne Schuhe an!“ Ich seufzte ergeben. Dann ging ich ins Arbeitszimmer und notierte, zur Vorsicht: Schuhe. Passend. Zum Jäckchen zur Bluse. Irgendwie muss man ja einen neuen Druckbleistift einweihen.
Satzspiegel