„Eine rosa Einhorn, das flötende Schmetterlinge aus Zuckerwatte ausspuckt?“ „So hatten wir uns das gedacht, ja.“ „Also entschuldigen Sie mal, das ist doch als Jenseitsvorstellung nun wirklich ein paar Nummern zu dämlich. Da fehlt es doch an innerer Logik!“ „Also das mit den zweiundsiebzig Jungfrauen finde ich jetzt so logisch auch wieder nicht.“ „Das ist aber historisch so gewachsen oder beruht zumindest auf einem behördlich anerkannten Übersetzungsfehler. Ich kann Ihre Religion leider nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkennen. Nächster!“ „Wenn Sie mal schauen möchten, Herr Inspektor?“ „Was ist das denn für ein krauses Zeugs? Haben Sie sich das ausgedacht? Wer soll denn an den Quark glauben, ich etwa? Hat der Blödsinn wenigstens einen Namen?“ „Ja, Herr Inspektor. Kapitalismus.“
„Also Sie wollen jetzt den Kapitalismus als Religion bei mir anmelden, wenn ich das richtig verstanden habe?“ „Richtig, Herr Inspektor. Wir haben uns gedacht, wenn er als Wirtschaftssystem schon nichts taugt, obwohl sich das alle Leute einreden, dann müsste er doch als Religion noch gut zu verwenden sein.“ „Hm. Das ist jetzt keine vorübergehende Erscheinung?“ „Der Kapitalismus? Kann ich mir nicht vorstellen.“ „Nein, ich meine das Religiöse.“ „Das schon, aber dass eine Religion unbedingt auch religiös sein muss, das ist ja auch nicht unstrittig, Herr Inspektor.“ „Was denn sonst?“ „Dauerhaft. Keine vorübergehende Erscheinung.“ „Weil das die soziologische, ich meine religiöse, die religiös-soziale, oder eher die Zuschreibung an…“ „Weil wir da keine Steuern sparen, Herr Inspektor. Gemäß Artikel 137 Absatz 5 der Weimarer Verfassung ist es eine Religionsgemeinschaft, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bietet. Das kann man für den Kapitalismus wohl annehmen.“ „Dann gäbe es eine Menge Sachen, die man als Religion deklarieren könnte.“ „Im Gegensatz dazu versteht aber keiner, was Kapitalismus ist. Am wenigsten die Kapitalisten. Die schon gar nicht.“
„Hat Ihre Religion ein ethisches Fundament?“ „Warum?“ „Hat sie nun eins oder nicht?“ „Schon, Herr Inspektor.“ „Dann ist es gut. Ich wollte nur wissen, ob eins vorhanden ist. Zur Sicherheit. Zur Vorsicht nur.“ „Zur Vorsicht?“ „Ja, weil man es ja nicht zwingend auch anwenden muss.“ „Ah, verstehe.“ „Und haben Sie Dogmen?“ „Mehr als genug.“ „Dann wird’s schwierig. Sie brauchen eine Reihe eherner Gesetze, die man je nach Richtung auch weglassen oder austauschen kann, und einen Satz Dogmen pro Konfession, aber die sollten auch überschaubar sein.“ „Und das macht nichts, wenn sich linke und neoliberale Kapitalisten vollkommen widersprechen?“ „Warum? Die sind doch beide in derselben Religion?“
„Da wäre dann jetzt noch die Frage, wie Sie Frage 24 verstehen, Herr Inspektor.“ „Da tragen Sie halt ein, welches höhere Wesen Sie verehren.“ „Den Markt. Oder die Märkte.“ „Es handelt sich um eine polytheistische Religion?“ „Eher um Emanationen derselben Gottheit. Es ist der heilige Egoismus, der durch das Wirken der unsichtbaren Hand einen allgemeinen Wohlstand erzeugt.“ „Das ist Ihr Dogma?“ „Ja, aber nur, wenn es klappt. Wenn nicht, dann muss der Staat, der uns ja ansonsten ständig ausbluten lässt und unsere Steuern verschleudert, vor dem Ruin retten.“ „Dann handelt es sich beim Kapitalismus sicherlich nur um einen Kult der selbsterfüllenden Prophezeiung,“ „Nein, wir haben uns nur zugunsten der einfacheren Durchsetzung von den Dogmen verabschiedet.“ „Und wer ist dann jetzt jenes höhere Wesen, das Sie verehren?“ „Es ist die Heilige Vielfaltigkeit.“ „Doch Polytheismus?“ „Nein, Herr Inspektor. Es tritt als Zins, Dividende, Gold und Grundstück auf. Oder als Subvention.“
„Dann handelt es sich beim Kapitalismus um einen esoterischen Mysterienkult.“ „Kann man so sehen, Herr Inspektor. Wir kennen nur den totalen Markt, und deshalb beten wir seine vielfältigen Erscheinungsformen an.“ „Das hat ja fast etwas Jenseitiges.“ „Ja, nicht wahr? Das finde ich auch, Herr Inspektor. Kommt uns übrigens sehr entgegen, weil wir so gar keine Jenseitsvorstellungen haben. Aber die brauchen wir auch gar nicht.“ „In Ihrer Religion gibt es kein Jenseits? Und wie machen Sie dann den Leuten Angst?“ „Es geht immer so weiter, Herr Inspektor, wir sind in einem immerwährenden Diesseits.“ „Da muss doch eine Zielvorstellung in Ihrer Religion sein?“ „Wachstum, Herr Inspektor.“ „Aber das ist doch ein ausgemachter Blödsinn, rechnen Sie das doch mal nach: Wachstum ohne Ende, das ist doch mathematisch völlig unmöglich! Das ist doch ein komplett irrationaler Schmarrn, Ihr Kapitalismus!“ „Richtig, Herr Inspektor. Deshalb ist es jauch keine Wissenschaft, sondern Religion.“
„Eine Frage hätte ich da noch an Sie. Für die Approbation bräuchten wir ein praktisches Konzept der Lebenshilfe.“ „Bitte?“ „Was tut diese Religion für ihre Gläubigen? Wir haben – warten Sie… da schreibt der hier zum Beispiel: ‚In der Stunde des Todes wirft der Große Uhu 75 Milliarden Jahre alte, gefriergetrocknete Replikatorseelen in eine erdnahe Umlaufbahn, die in Marburg niedergehen.‘ Ist im Kapitalismus etwas Vergleichbares vorhanden?“ „Brauchen wir nicht. Das geht immer so weiter.“ „Aber wenn es mal nicht mehr so weiter geht?“ „Sie meinen, so ein richtiger Weltuntergang?“ „Zum Beispiel, ja. Was machen Sie dann? Beten? Suizid?“ „Dann werden wir gerettet, und dann geht es weiter bis zum nächsten Mal.“ „Gerettet? Wer rettet denn Sie? Wer rettet denn den Kapitalismus?“ „Fragen Sie nicht so dumm. Der Steuerzahler.“
Satzspiegel