Eigener Herd ist Goldes wert

9 01 2012

„Chef, den Jungschweinrücken? Und wir hätten dann auch noch den Saibling, genauer: zwölf Kilo Saiblingsfilet.“ Bruno starrte mich aus waidwunden Augen an. Die aufgezwirbelten Schnurrbartspitzen zitterten bedenklich vor seinem hektisch geröteten Gesicht. „Ich werde noch wahnsinnig! Was habe ich verbrochen, dass ich in dieser Kaschemme landen muss?“ Er knüllte die Mütze zwischen den Fingern zusammen. Bruno kochte. Leider vor Wut.

„Vorsicht!“ Da war es schon zu spät, heftig stieß ich mir den Ellenbogen an dem Servierwägelchen, das Petermann, der Entremetier und Brunos rechte Hand, klirrend und klingelnd über die Schwelle wuchtete. Der Meister schäumte vor Zorn. „Wie soll ich in diesem Loch kochen“, schrie er, den sie respektvoll Fürst Bückler nannten, „ich kann mich nicht einmal um meine eigene Achse drehen! Das ist doch eine Telefonzelle hier!“ Der Küchenfürst, der ansonsten in seinem Landgasthof Aal in Gelee und Schwarzsauer zubereitete, hieb mit der flachen Hand auf das schmale Tischchen mit der brüchig verleimten Arbeitsplatte. Halb saß ich unter der Servierkarre, halb schon dem Wirt auf dem Schoß, wie er müde durch die Tür guckte. „Ist doch kein Problem nicht“, grummelte Suhrbeer, „können wir doch die Fische hier auch in den Flur legen. Da sind ja oben noch zwei Klappstühle zu stehen.“ Bruno schnappte zurück. „Und wie halte ich den Fisch frisch?“ Suhrbeer kratzte sich unter dem speckigen Unterhemd. „Ach so, ja. Den Kühlschrank könnte man auch anschalten. Müsste nur vorher einer auswischen. Wegen die Hygiene.“

Ich tätschelte Bruno die Schulter. „Nicht aufgeben, das bekommen wir schon irgendwie hin. Was hat Dich bloß geritten, in dieser Pinte einen Abend lang als Event-Koch zu gastieren?“ Er schluckte trocken und sog heftig den kühlen Wind im Hinterhof ein. „Hansi“, ächzte er. „wie immer mein missratener Bruder, der sich nicht um seinen Service kümmert, sondern mir bei jeder sich bietenden Gelegenheit ins Handwerk pfuscht.“ „Ich dachte, Du solltest als Coach kleinere Restaurants beraten?“ Er nickte. „Schon, aber dann wollte er unbedingt einen Sponsor und einen TV-Sender.“ Wer Bruno kannte, der wusste, wie zuwider ihm die ganze Sache schon ohne Kameras war. Es nieselte. Wir mussten wieder in Suhrbeers Etablissement. „Sieh mal“, sagte Bruno und hielt mich am Arm zurück. Im trüben Nachmittagslicht zeichneten sich die Buchstaben spiegelverkehrt von der schmutzigen Frontscheibe ab. Kochen mit Induktion klebte da. Das grüne Ladenschild mit der Aufschrift Gardinenboutique hatte der Wirt zur Vorsicht gar nicht erst abgehängt. „Na großartig“, zischte Bruno. „Ich fühle mich hier wie zu Hause.“

Der Gastsaal gähnte vor Leere. Zwölf Tische, allesamt neues Mobiliar, standen auf schiefen, schlecht verlegten Dielen. Das Farbspiel der Tapete ließ erahnen, dass hier bereits Damenwäsche und Versicherungen verkauft worden waren. „Hansi sagte, der Vormieter sei schnell pleite gewesen, und da habe er die Bude an seinen Vetter untervermietet. Suhrbeer war wohl mal Küchenjunge.“ Ein Gang führte zur Küche, einem kleinen Verschlag mit zwei Spülbecken, Gasherd, Kühlschrank und diversen Hängeschränken, vollgestopft mit Konservendosen. Was wäre erst passiert, wenn nach Hansis Wunsch die komplette Brigade angerückt wäre. „Was soll ich hier bloß machen“, murmelte Bruno. „Ich kann mich in dieser Kombüse nicht richtig bewegen, geschweige denn professionell kochen.“ Sein Bart vibrierte wie die Fühler eines Hummers. „Neunzig Portionen Jungschweinrücken, Saibling, die Rüben, dann die Kartoffeln, wir haben die Maronen für die Suppe, und wo ist eigentlich der Speck für die Klößchen? Hat die der Commis nicht…“ Er tastete nach dem Zettel in seiner Brusttasche.

„Chef?“ Petermann stand ächzend in der Tür, einen Stapel Kupfertöpfe unters Kinn geklemmt. „Das ist dann aber auch alles…“ Bruno wollte schon aufatmen. „… bis auf die Pfannen und die Saladière, den fahrbaren Salamander und das…“ „Halt!“ Der Maître drehte sich um. „Ich mache das Theater nicht mehr mit! Soll doch der Trottel sehen, wie er seinen Laden voll kriegt, ich mache hier nicht mehr mit!“ Petermann drehte sich und kam fast ins Stolpern mit dem scheppernden Geschirr, da steckte Suhrbeer den Kopf in die Küche. Er sah angenehm besäuselt aus, was an dem Senfglas lag, das er in der Linken trug, ebenfalls an der Flasche in der rechten Hand. „Dufte“, schmatzte der Alte. „Der geht ja runter wie Öl. Habt Ihr noch paar von denen?“ „Der Wein!“ Petermann ließ die Töpfe auf den Küchentisch fallen. „Feines Tröpfchen“, sprach Suhrbeer und schnalzte mit der schweren Zunge. „Tafelwein weiß, das ist mein liebstes…“ „Sind Sie von allen guten Geistern verlassen!?“ Wie ein Berserker fuhr Bruno auf den Wirt zu. Er packte ihn am fleckigen Feinripp und entwand ihm die halb geleerte Flasche. „Mein 1997-er Plörtzheimer Hundefleck“, heulte er. „Spätlese trocken! Verdammt, womit soll ich denn jetzt die Sauce für den Saibling ablöschen?“ „Brühwürfel“, stammelte Suhrbeer. „Ich mach das immer mit so Brühwürfel nämlich.“

„Wir gehen“, entschied Bruno. „Dieses Dreckloch hier ist unerträglich, ich bleibe keine Sekunde länger!“ „Chef“, murmelte Petermann, „es gibt nur ein Problem. Die Zeitungsanzeige. Sie stehen da drin, und wenn wir jetzt nicht für die Gäste kochen, das spricht sich schnell herum.“ „Wie soll ich in diesem Winzding kochen“, ereiferte sich Bruno, „den Gasherd muss man treten, bis er überhaupt anspringt, und der Kühlschrank ist ein Witz! Und für diese Blamage haben wir alle Gerätschaften mitgeschleppt, Salamander und Grill und…“ „Genau“, fiel ich ein. „Petermann, diese ausrangierte Kuchentheke!“ „Stammt sicher aus der Zeit, als das hier für vier Wochen ein Café war.“ „Genau, und dann haben wir doch diesen neuen Kochaufsatz im Wagen, richtig?“ Bruno strahlte. „Kochen mit Induktion! Geniale Idee, an die Arbeit!“

Die Gäste tafelten vergnügt, während an der Stirnseite der Küchenfürst virtuos Möhren und Kohlrabi schnitt, Zuckerschoten sautierte und beim Saibling die Sauce angoss. Petermann schwenkte hingebungsvoll die Kartoffeln. „Das machen wir mal wieder“, sagte Bruno zufrieden. „Eigener Herd ist doch Goldes wert!“