Nach Rezept

12 01 2012

„Und das wirkt auch garantiert?“ „Aber klar – Sie können es völlig unbesorgt verwenden.“ „Und ohne Nebenwirkungen?“ „Aber ja, ohne unerwünschte Nebenwirkungen. Wie versprochen. Bei Husten, Schnupfen, Heiserkeit ist Brathuhn das Mittel Ihrer Wahl. Essen Sie sich gesund!“

„Wie sind Sie eigentlich auf den Gedanken gekommen, Nahrungsmittel als Medikamente auf den Markt zu bringen?“ „Nun, es gab da seinerzeit zwei Entwicklungen. Einerseits wollten wir mit der Anreicherung der Lebensmittel mit Antibiotika und Hormonen eine neue Qualität der pharmazeutischen Versorgung der Bundesbürger erreichen, so dass wir flächendeckende Standards in der Bundesrepublik erreichen konnten. Die Sicherstellung einer gewissen Stoffkonzentration sollte die Gesundheit der Bundesbürger auf einer für alle Beteiligten nützlichen Stufe halten.“ „Nützliche Stufe?“ „Naja, wenn Sie Krebsmedikamente verkaufen, müssen Sie zunächst mal genug Krebserkrankungen haben, richtig?“ „Sie wollen doch jetzt nicht andeuten, dass Sie die Antibiotika nur wegen der Krebsfälle ins Hühnerfleisch…“ „Keineswegs. Abstrus, so was. Wirklich abstrus. Natürlich nur die Hormone im Kalbfleisch, ja?“ „Und das andere?“ „Welches andere?“ „Sie hatten doch gerade von zwei Entwicklungen gesprochen.“ „Hatte ich? Kann mich nicht erinnern.“

„Ist es richtig, dass Sie heute vor allem in funktionale Lebensmittel investieren?“ „Das ist korrekt. Wir haben diese Entwicklung auf eine neue Stufe gehoben.“ „Das ist die zweite Entwicklung, von der Sie sprachen?“ „Unterbrechen Sie mich nicht. Üblicherweise werden irgendwelche Fruchtsäfte oder Milchprodukte mit Vitaminen, Mineralien, Bakterien oder ungesättigten Fettsäuren versehen. Und hier haben wir unsere Marktlücke gesehen.“ „Die Vitamine für das Immunsystem?“ „Quatsch, die Bakterien.“ „Aber die arbeiten doch gegen das Immunsystem?“ „Gegen Ihres vielleicht, nicht gegen meins. Ich muss den Dreck ja nicht fressen.“

„Sie versetzen Hühnerfleisch mit Bakterien, um die Immunabwehr der Konsumenten zu stärken?“ „Nicht ganz richtig.“ „Dann geht es nicht um das Immunsystem? Hatte ich das eventuell falsch…“ „Ach was, es geht nicht um Hühnerfleisch. Es geht um Hühnerfleisch, Schwein, Rind, Kalb, Fisch, Hack, Wurst und Delikatessschlachtabfälle. Mit nur einem Produkt würde sich unser Konzern nicht zufriedengeben.“ „Und Ihr Konzern bringt diese Fleischwaren auf den Markt, um der Gesundheit der Verbraucher zu helfen?“ „Nein, das ist eine Sache der zweiten Entwicklung. Aber wie gesagt, wir reichern die Produkte mir nützlichen Zusätzen an und können so die Wirkung wesentlich erhöhen.“ „Die Wirkung auf die Volksgesundheit?“ „In erster Linie die Wirkung auf unseren Umsatz, warum?“ „Aber Sie sind …“ „Wir sind ein Mischkonzern. Genau kann ich Ihnen nicht sagen, wer da wie viel von wem besitzt, aber irgendwo muss es da einen Arzneimittelhersteller geben. Also werden wir über kurz oder lang doch reich.“

„Lassen sich Ihre Nahrungsmittel denn überhaupt genau genug dosieren? Ich meine, jeder reagiert da doch unterschiedlich.“ „Durch die breite Streuung der Zusatzstoffe lässt sich natürlich die Depotwirkung ganz exzellent bedienen. Das wirkt wie auf Rezept – nach Rezept, wollte ich sagen. Einmal in der Woche Fischstäbchen, zweimal im Monat Brathuhn, dann dürften saisonale Erkrankungen der Vergangenheit angehören.“ „Saisonal?“ „Raten Sie mal, warum es so gut wie keine Schweinegrippe in Deutschland gab.“ „Die Impfungen waren so gut?“ „Ach Quark, wir haben ganz einfach die üblichen Antiphlogistika gegen neue Wirkstoffe ersetzt.“ „Das war die andere Entwicklung?“ „Meine Güte, jetzt geben Sie aber mal Ruhe!“ „Aber was war denn die andere Entwicklung, weshalb Sie jetzt nur noch funktionale Lebensmittel herstellen?“ „Na gut, ich will es Ihnen verraten. Wir kriegen die ganze Scheiße sowieso nicht mehr aus dem Fleisch raus, da können wir sie genauso gut gleich vermarkten.“

„Und das ist jetzt aber wirklich so ungefährlich, wie es aussieht?“ „Ja, mit einer Ausnahme.“ „Sie meinen bestimmt Antibiotika-Resistenzen?“ „Ich meine Vegetarier, Veganer, diese ganzen Idioten. Die essen Gemüse, und das ist nicht gut.“ „Weil sich Gemüse nicht ausreichend kontrollieren lässt? Oder weil die Bestandteile im Gemüse mit Ihren Fleischprodukten nicht harmonieren?“ „Harmonie? haben Sie einen an der Birne? Das ist verdammtes Gen-Gemüse, kapieren Sie das!?“ „Aber ist das denn überhaupt so schlecht? oder ist das am Ende echt schädlicher als…“ „Mann, begreifen Sie doch – wir haben keine Patente für dieses Scheißgemüse! Die packen da einfach Sachen rein, die wir nicht kontrollieren können. Das ist die Konkurrenz!“ „Und jetzt gibt es ein Problem mit den resistenten Keimen, weil die nicht mehr anschlagen?“ „Meine Güte, sind Sie so blöd oder tun Sie nur so? Die Leute kaufen nicht mehr genug Fleisch, klar!?“

„Welche Unternehmensperspektiven können Sie heute ins Auge fassen?“ „Wir sind nicht vom Markt wegzukriegen.“ „Wegen Ihrer Größe?“ „Auch. Aber das ist nicht unser Alleinstellungsmerkmal.“ „Es ist Ihre Produktpalette vom Fertigschnitzel bis zur Grillwurst?“ „Nein, nicht einmal das. Es ist unsere Unternehmenstradition.“ „Tradition? Ich dachte, Sie seien erst mit der industriellen Tiermast… also in den letzten Jahren… also…“ „Kennen Sie das gute alte Hausmittel? Hühnerbrühe bei Erkältung? Dann raten Sie mal, woher das kommt.“