Präsidentensuite

18 01 2012

„Ich soll – was!?“ Kroppelin blickte konzentriert auf seine Schuhspitzen. Mit einem Ruck schlug ich die Mappe zu und erhob mich vom Konferenztisch. „Sie haben da etwas missverstanden“, sagte ich scharf. „Ich werde dafür bezahlt, Unternehmen beliebter zu machen. Wenn Sie mit der Führung eines Familienbetriebes überfordert sind, dann liquidieren Sie einfach.“ Minnichkeit hielt mich zurück. „Bitte“, flehte er, „wir haben doch nur Sie! Helfen Sie uns, sonst passiert hier ein Unglück!“

Kroppelin schwitzte. „Sie müssen da etwas unternehmen, sonst bin ich geliefert.“ Mandy Schwidarski, Agenturleiterin von Trends & Friends, sah mich treuherzig an. „Wir haben doch nur noch Sie, und Sie sind schließlich der Spezialist. Helfen Sie uns, die Sache ist wirklich verzwickt.“ „Gut“, lenkte ich ein, „ich rekapituliere: Sie sind mit Ihrem Schwager gemeinsam Inhaber des Hotels Waldesruh im Buchenforst.“ Der Mann mit dem schütteren blonden Haar nickte deprimiert. „Seit zehn Jahren“, klagte er. „Zehn Jahre lang hat er mich nun ausgenommen wie eine Weihnachtsgans! Ich schufte mir die Finger wund, und er wirft mein sauer verdientes Geld mit beiden Händen zum Fenster raus.“ „Warum schmeißen Sie ihn dann nicht einfach raus?“ Minnichkeit tippte auf den Vertrag. „Otto ist der Kompagnon, den wird man nur durch einen äääh, ungünstigen Zufall los. Und so viel Geld ist nicht…“ „Verstehe“, fiel ich ihm ins Wort, „verstehe, verstehe. Aber dann kann man doch trotzdem liquidieren?“ „Eben nicht“, weinte Kroppelin. „Otto hat den Vertrag so aufgesetzt, dass ich im Falle einer Auflösung alle Schulden zu tragen hätte, während er sämtliche Einnahmen, das Haus, die Möbel und…“ Ich winkte ab. „Danke, ich verstehe schon, wie man Banken rettet.“

Mandy Schwidarski hatte die Prospekte vor mir auf dem Tisch ausgebreitet. Sieben Einzelzimmer, drei Doppelzimmer und mehrere Suiten mit Safe und Minibar, Zigarrenlounge und Whirlpool, Café und Gärtchen im Innenhof. „Die Bushaltestelle ist gleich vor der Tür“, sprudelte es aus ihr heraus. „Wir sind mit unserem Travel-Experten Maxim, you know, der checkt gerade Locations in Hanoi, und da ist…“ „Das interessiert mich weniger.“ Unwirsch schob ich den Papierkram von mir. „Was erwarten Sie denn eigentlich von mir?“ Kroppelin knetete seine Finger. „Eine gute Werbekampagne. Ich möchte das Hotel so schnell wie möglich schließen. Und Sie wissen doch bestimmt, wie man das macht, oder?“

„Sie werden einige Kleinigkeiten in Ihrem Haus ändern müssen“, informierte ich den Hotelier. „Kein Problem“, gab er zurück. „Wir haben im letzten Sommer schon einmal versuchsweise Handzettel ausgelegt, dass die Steuervergünstigung für das Frühstück nicht vom Preis abgezogen wird. Aber das hat die Gäste anscheinend nicht groß gestört.“ „Das hier wird sie stören“, lächelte ich. „Gehen Sie davon aus, dass das der Durchbruch ist. Wie liegen denn Ihre Zimmerpreise?“ „Das Doppelzimmer bekommen Sie ab 150 Euro, ein Einzelzimmer kostet 80 Euro pro Nacht, Frühstück und Kurtaxe inbegriffen. Plus Bearbeitungsgebühr und Trinkgeldern.“ „Sehr schön“, lobte ich. „Dann heben Sie doch ab jetzt alle Ihre Zimmer eine Kategorie nach oben – die untere ist ab jetzt nicht mehr verfügbar.“ „Aber das – “ „Außerdem“, fuhr ich ungerührt fort, „werden dann alle Gäste sofort nach ihrer Ankunft eine Kategorie höher gebucht. Kostenlos, versteht sich.“ Kroppelin sah mich hilflos an. Minnichkeit wusste nicht, was er sagen sollte. Freie Bahn für die Hotelrettung. „Zahlungen werden ab sofort nicht mehr bar vorgenommen, nur noch per Scheck.“ Der Mann fuhr sich mit den Fingern an der Innenseite seines Kragens entlang. „Wie soll ich denn das verstehen?“ „Nur noch anonyme Schecks, versteht sich. Sie wollen doch ein zahlungskräftiges Publikum, das unter sich bleibt, oder?“ Langsam begriff er.

„Wir könnten die Zimmermädchen mit einem Spezialservice ausstatten.“ Mandy verzog das Gesicht. „Das ist wieder eine Ihrer merkwürdigen Ideen, oder?“ „Wie man’s nimmt“, entgegnete ich. „Zunächst sollte Ihre Personal nur noch über die Mailbox erreichbar sein.“ Minnichkeits Miene blühte auf. „Oder die Gäste haben nur noch 60 Prozent Kredit!“ Kroppelin schaute ungläubig. „Und das wirkt?“ „Aber selbstverständlich“, juchzte Minnichkeit, „ein genialer Gedanke – dass wir nicht selbst darauf gekommen sind! Großartig, damit werden Sie Ihr Hotel innerhalb kürzester Zeit an die Wand fahren!“ „Ab sofort“, verkündete ich, „heißt dann alles vom Doppelzimmer aufwärts Präsidentensuite. Wie das mit dem Angebot geht, wissen Sie ja.“ Kroppelin riss die Augen auf. „Aber Sie haben doch eben gesagt, wir sollen die genauen Kosten gar nicht…“ „Eben“, wandte ich ein, „Sie bieten das ab sofort zum Freundschaftspreis an. Wäre doch gelacht, wenn wir Ihren Laden nicht aus dem Verkehr ziehen könnten.“

Sorgfältig hatte Kroppelin die Zahlenkolonnen durchgerechnet. „Nach dieser Kalkulation wäre mein Schwager spätestens in einem Jahr pleite und kein Mensch würde mehr über ihn reden. Das wäre an sich schon akzeptabel, aber kann man da gar nichts machen?“ Mandy hüstelte. „Sie wollten doch von Liquidation nichts wissen?“ Ich grinste. „Nennen Sie Ihr Hotel einfach Haus Bellevue. Dann haben Sie es gehabt.“