#Bombe

29 02 2012

„… dass die 37 Millionen gefilterten E-Mails nicht den gewünschten Erfolg gezeitigt hätten. Immerhin seien 213 abgefangene Nachrichten ein achtbares Ergebnis, wenn man die Arbeitsweise der deutschen Sicherheitsbehörden…“

„… da sich nicht eine einzige verschlüsselte Mail im Suchraster verfangen habe. So könne man davon ausgehen, dass Terrorverdächtige nicht in der Lage seien, kryptografische Verfahren…“

„… zu einem Kollateralschaden. Barbara Eligmann, die wegen des Suchworts ‚explosiv‘ vor laufender Kamera verhaftet wurde, befand sich ausgerechnet in einer Liveschaltung auf RTL, als das Spezialeinsatzkommando…“

„… die Ergebnisse der Suche längst in keinem Verhältnis mehr zum Aufwand. Kauder mahnte, man müsse wenigstens 500 Mails pro Jahr…“

„… erst ein Rechtsgutachten abwarten, ob sich die Begriffe ‚Bombe‘ und ‚Bimbes‘ nur zufällig…“

„… da in einem zweiten Schritt die Zahl der gesuchten Schlüsselworte auf 16.400 erhöht worden sei, was ungefähr einem Siebtel der im Duden verzeichneten Schlagworte entspreche. Dies sei laut Bundesnachrichtendienst lediglich geschehen, um einen juristisch bedauerlicherweise noch nicht durchsetzbaren Generalverdacht gegenüber allen Bundesbürgern mit linguistischen Mitteln zu…“

„… verstoße die Verwendung des Suchwortes ‚Sex‘ gegen die guten Sitten, da den Mitarbeitern seelisch verrohende Inhalte nicht zuzumuten…“

„… versehentlich die Einweisung von Familienministerin Schröder in eine geschlossene Abteilung angeordnet, da ihre dienstlichen Mails einen Suchwortanteil von 100%…“

„… forderte Uhl eine sofortige weltweite Klarnamenspflicht für Mailadressen, da die Zuordnung mit den intellektuellen Mitteln des BND auf keinen Fall zu bewerkstelligen…“

„… die Ausweitung der Suchbegriffe allerdings verteidigte. Friedrich erklärte angesichts mehrerer in den letzten Jahrzehnten in Bayern aktenkundig gewordener Straftaten, dass Gewaltverbrechen auch an Suchworten wie ‚Nudelholz‘ oder ‚Gummihammer‘…“

„… dürfe es keine Denkverbote geben. Zwar sei es noch ein logistisches Problem, täglich mehrere Millionen Faxe in der EU abzuholen und zentral zu digitalisieren, doch rechne man spätestens bis zum kommenden G8-Gipfel mit einer passenden…“

„… keine Totalüberwachung. Friedrich wiegelte sofort ab, es handele sich nur um eine reine Präventivmaßnahme gegen Terrorismus, die antisemitische Propaganda oder Holocaustleugnung ebenso wenig erfasse wie…“

„… dass unter den 16.400 Suchbegriffen rund 13.000 zum Bereich des Waffenhandels gehörten, beispielsweise ‚Schäuble‘, ‚de Maizière‘ und…“

„… ergriff nun auch Jim Rakete rechtliche Schritte, da er mehrmals als Terrorist…“

„… müsse man selbstverständlich alle Mails ausschließen, in denen die Waffengeschäfte zur Förderung der Stabilität demokratischer Staaten wie Saudi-Arabien oder…“

„… forderte der CDU-Abgeordnete Wanderwitz eine Sonderabgabe von Bundesbürgern, deren Mails nicht vom Suchraster erfasst würden. Sie seien Nutznießer der inneren Sicherheit, würden aber durch ihre Verweigerung, sich als kriminelle Elemente zur Verfügung zu stellen, einen…“

„… der Rechtsstaat damit an seine Grenzen stoße. Man könne die Kombination ‚Bombe‘ und ‚Attentat‘ verhältnismäßig einfach aufspüren, andere Wortverbindungen wie ‚Politiker‘ und ‚korrupt‘ seien jedoch aus technischen Gründen so gut wie nie in…“

„… verbiete sich ein Vergleich mit der Stasi. Merkel berichtete, bis einschließlich 1989 sei keine einzige E-Mail von ihr abgeschnorchelt oder…“

„… müsse man auch die kleinen Erfolge sehen wollen. So habe eine abgefangene E-Mail mit dem Schlüsselwort ‚eine‘ zur Aufdeckung einer Steuerhinterziehung um fast 200 Mark geführt. Die Straftat aus dem Jahr 1966 sei zwar verjährt, dennoch…“

„… habe das Aufkommen von Spammails alles nur verschlimmert. Der MAD gehe auf Nummer sicher und untersuche täglich zahllose nigerianische Nachrichten, um im Falle eines Millionengewinns eine korrekte fiskalische…“

„… für eine etwaige Überwachung von Briefen und Postkarten die schulische Ausbildung an die Erfordernisse einer vereinfachten Schreibschrift anzupassen und den Deutschunterricht so zu verbessern, dass die Rechtschreibkenntnisse nicht zu einer Überforderung der Schrifterkennung…“

„… sei nach Erkenntnissen der Sicherheitskräfte vollkommen ausgeschlossen. BKA-Chef Ziercke betonte, eine Untersuchung von Mails, die im Ausland versandt würden, komme für ihn nicht in Frage; es sei logisch, dass in Deutschland geplante Terroranschläge auch nur mit im Inland lesbaren…“

„… dass Mailprovider mit weniger als 10.000 Zugängen nicht kontrolliert würden. Bosbach erklärte, die Einrichtung einer eigenen Domain sei derart kompliziert, dass sie sicher kein Terrorist…“

„… es nur dem Integrationsfortschritt zu verdanken sei, dass seiner Meinung nach sämtliche Araber in Deutschland aus reiner Verfassungstreue längst zur Verwendung der lateinischen Schrift übergegangen seien, um den Inlandsgeheimdienst nicht unnötig mit fremdländischen…“

„… plädierte Arbeitsministerin von der Leyen für eine lückenlose Vollkontrolle des weltweiten Mail-, Telefon- und Briefverkehrs, um kurzfristig in Deutschland bis zu 34 Milliarden Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor…“





Schmale Kost

28 02 2012

„Entsetzlich!“ Siebels verdrehte die Augen. „In meinem ganzen Leben habe ich nicht so einen Deppen vor der Optik gehabt. Schauen Sie sich an, was der größenwahnsinnige Idiot für einen Lärm veranstaltet. Lächerlich!“ „Sie meinen diesen durchgeknallten Fernsehkoch?“ Der TV-Macher winkte ab. „Ich meine Steinmeier.“

Karl Korinth zerfledderte gerade einen Stapel Wahlprogramme. „Das ist ja gar nichts“, nörgelte der Gastrodarsteller, „das ist ja noch weniger – wer soll denn davon satt werden? Das ist doch wie aus der Dose aufgewärmt!“ Die Beleuchter hatten ihre Mühe, den wild gestikulierenden Mann vor der massigen Gestalt des ehemaligen Vizekanzlers noch im Bild zu halten. Der Tontechniker zischte den Mann am Mikrofongalgen an. „Nicht schwanken“, befahl er. „Und links bleiben, immer links!“ Siebels sah mich an. „Als ob ihn das jemals gekümmert hätte“, sagte er sarkastisch. Unterdessen hatte sich der Ex-Außenminister in Pose geworfen. Er ignorierte seinen Coach ganz offensichtlich. „Es hat sich bereits in der Vergangenheit vieles verändert“, schwafelte er. „Und wir gehen fest davon aus, dass die Zukunft nicht nur einfache Dinge mit sich bringt, sondern vielleicht auch Überraschungen, von denen wir heute noch nichts wissen.“ Dem Mann am Galgen wurden die Arme sichtlich schwer. „Aber ich sage mir, warten wir mal ab, was sich da tut.“ „Schön, dass er es sich selbst sagt“, höhnte Siebels, „er ist ja auch der einzige, der ihm zuhört.“

Der Küchenchef trommelte mit den Fingern auf die Stuhllehne. „Haben Sie die Sendung eigentlich mal gesehen?“ Siebels nippte an seinem Becher; angewidert stellte er ihn zu Boden. „Sie meinen Korinths Kaschemmen? Ich schaue mir das nicht mehr an. Es ist ja immer dasselbe.“ Ich roch an dem Inhalt. „Was ist denn das hier? Haben die Brühwürfel mit Limonade aufgegossen? Oder hat das eben gerade schon mal jemand getrunken?“ Siebels rümpfte die Nase. „Alkoholfreies Bier, körperwarm. Damit Sie nicht vergessen, dass wir hier bei der SPD sind.“

„Das sind doch alles Ausflüchte!“ Korinth zerpflückte die Argumente des Sozialdemokraten mit detailverliebter Gründlichkeit. „Sie haben ja gar nichts gegen Merkel auf der Speisekarte – so geht das doch gar nicht! So führt man doch heute keine erfolgreiche Partei!“ „Schnitt!“ Der Aufnahmeleiter winkte dazwischen, Siebels fuchtelte mit beiden Händen die Beleuchtung heran, und Steinmeier verschwand wortlos in der Maske. „Halbtotale mit Fahrt auf Karl, die Erste!“ „Ton!“ „Läuft!“ Der Koch hatte inzwischen die Krawatte zurechtgerückt und blickte plötzlich ganz entrüstet in die Kamera. Er sprach unmittelbar das Zuschauervolk an. „Wie wir sehen, ist der Kanzlerkandidat nicht bereit für einen Lagerwahlkampf – diese Strategie ist gar keine, sie wird nicht aufgehen, wir werden wieder eine Koalition von SPD und Union bekommen, auch wenn das jetzt noch von beiden heftig bestritten wird.“ „Was erzählt er da eigentlich“, sagte ich gelangweilt. „Jeder weiß es, weil es bisher um nichts anderes ging.“ Siebels nickte abwesend. „Richtig, aber es muss noch einmal wiederholt und zusammengefasst werden, und dann wird die Wiederholung zusammengefasst und dann die Zusammenfassung wiederholt. Die Zuschauer sind ja nicht nur dumm, sie müssen irgendwann auch mal an den Kühlschrank.“

In voller Größe hatte sich Frank-Walter mitsamt einer neuen Schicht Puder ins Scheinwerferlicht begeben. „So geht es täglich in diesem Kabinett zu“, schnarrte er in die Kamera, „und die Chefin dieses Kabinetts heißt Angela Merkel. Deshalb werden wir sie nicht verschonen können.“ Wie zufällig stand gerade in diesem Augenblick Karl Korinth hinter ihm, um ihm einen seiner weisen Ratschläge zu geben. „Machen Sie am besten das, was Sie für richtig halten.“ Er blähte im Brustton seiner Überzeugung die Nüstern auf. „Sie müssen jetzt auf sich selbst hören. Und natürlich ist das eine große Chance für Sie, wenn Sie erkennen, was sich mit diesen Veränderungen…“ Siebels stöhnte auf. „Ich hätte es mir denken können. Sie sehen sich zu ähnlich.“ Korinth monierte unterdessen die Szenenfolge. „Wir brauchen da noch eine richtige Katastrophe“, lamentierte er. „Die können wir dann ganz am Anfang reinschneiden, sehr gerne als Ausgangssituation – haben Sie die Nahles gerade nicht hier?“ Steinmeier schüttelte den Kopf. Der Aufnahmeleiter versuchte sich vorsichtig mit einem improvisierten Besuch bei Gabriel, doch der Topfgucker protestierte heftig. „Das können Sie vergessen, ab da wird’s unrealistisch. Immerhin kommen am Ende doch Szenen, in denen der Laden nach einer Stunde Arbeit wieder läuft.“

Der Beleuchter knipste die Lampen aus, der Tontechniker schraubte bereits die Mikrofone ab. Es war noch immer dieselbe SPD, von Steinmeier weit und breit keine Spur, während das Personal unmotiviert vor sich hinarbeitete. Mich überkamen doch leise Zweifel an dieser Kulisse. „Und das glauben die Zuschauer?“ „Die Zerlegung“, belehrte mich Siebels, „ist ja in Wahrheit gar nicht so sehr eine Frage der medialen Aufarbeitung. Die Politiker beschädigen sich viel effektiver selbst, wenn man nur die Kamera draufhält und abwartet, was sie von sich geben.“ Er schnüffelt noch einmal argwöhnisch an seinem Becher, bevor er ihn mit einem plötzlichen Schwung in den Papierkorb schleuderte. „Was übrigens auch auf andere zutrifft. Übrigens, haben Sie morgen schon etwas vor? Nachmittags erledigt Korinth die FDP.“





Heimseite

27 02 2012

Dingdong! „Guten Tag, wir möchten uns gerne mit Ihnen über das Internet unterhalten.“ „Ja äääh – Sie stehen doch aber hier vor meiner Tür, da können Sie doch nur direkt… Moment mal, wer sind Sie überhaupt?“ „Wenn wir das mal wüssten. Ist doch alles so anonym in diesem Internet da.“ „Stimmt auch wieder. Na, dann kommen Sie mal rein. Von wem sind Sie denn?“ „Wir sind von der Netzgemeinde.“

„Ich hatte Sie mir ganz anders vorgestellt.“ „Wie denn?“ „Anders halt. Nicht so, wie Sie jetzt sind.“ „Und wie sind wir jetzt?“ „Weiß ich nicht, ich kenne Sie ja gar nicht.“ „Aber wenn Sie uns nicht kennen, wie können Sie dann beurteilen, wie wir sind?“ „Ich weiß nicht.“ „Und wie können Sie dann beurteilen, wie wir nicht sind?“ „Weiß ich auch nicht. Aber immer, wenn ich etwas über Sie gelesen habe, dann wusste ich nicht, wer Sie sind.“ „Und wie wir sind.“ „Das auch. Aber ich hatte auch keine genaue Vorstellung davon, wer Sie sind und was Sie machen. Und warum. Und das alles eben. Wie sind Sie denn nun wirklich?“ „Na, anders halt.“

„Sind Sie denn jetzt so eine richtig eingetragene Organisation?“ „Sie meinen, ein Verein? Mit Mitgliedern, Satzung, Jahreshauptversammlung und Kassenwart?“ „So ähnlich.“ „Wenn ja, was würden Sie denn denken, was wir so tun?“ „Sie sind in diesem Internet.“ „Gut, das ließe sich notfalls an unserem Namen erkennen – aber was tun wir in diesem Internet? und ist es das Internet, in dem die anderen sind? oder haben wir möglicherweise ein eigenes aufgemacht und lassen die anderen nicht rein?“ „Sehen Sie, das frage ich mich auch schon die ganze Zeit.“ „Na, das ist doch schon mal ein Anhaltspunkt. Zu welchem Ergebnis sind Sie denn gekommen?“ „Ich weiß nicht. Wahrscheinlich sind Sie in einem Internet, in dem es gefährlich ist.“ „Weshalb man da eine Netzgemeinde braucht.“ „Sozusagen.“ „Als Selbstschutzorganisation gegen die Feinde.“ „Gewissermaßen.“ „Wir sind also eine digitale Selbsthilfegruppe, ja?“ „Was weiß denn ich, Sie sind doch hier der Gemeinderat, oder wie sich das nennt.“ „Woher sollen wir das wissen, Sie haben uns doch diese Bezeichnung gegeben.“

„Aber mal unter uns – haben Sie nicht auch manchmal ein bisschen Angst?“ „Dass unser Web gefährlich ist? Eigentlich nicht.“ „Aber da sind doch Mord und Totschlag. Und Raubkopien. Und manchmal wird man ausspioniert.“ „Das ist nicht so schlimm, das macht der Staat auch.“ „Da werden ja Kreditkarten gestohlen und Milliardenbeträge, die in keiner Statistik auftauchen.“ „Ach was, damit kommen wir zurecht.“ „Sie haben so eine digitale Schutztruppe, die die Gegner forthackt, richtig?“ „Nein, wir haben etwas entdeckt, das uns immer wieder vor Schaden bewahrt. Unser Internet steckt in kleinen Kisten, die man auch ausknipsen kann.“ „Echt?“ „Echt. Wir brauchen nicht einmal einen Notrufknopf, den haben Sie umsonst erfunden.“ „Und die Menschen?“ „Welche Menschen?“ „Das sind doch Menschen im Netz.“ „Tatsächlich? ist uns gar nicht aufgefallen. Es handelt sich wohl um ein anderes Internet.“

„Sie wollen doch jetzt, dass ich Ihnen beitrete.“ „Natürlich nur, wenn Sie das selbst wollen.“ „Ja klar.“ „So klar ist das nicht. Ob Sie beispielsweise Bundesbürger sein und in der Weihnachtsansprache des jeweiligen Bundespräsidenten gegrüßt werden wollen, entzieht sich auch Ihrer Entscheidung.“ „Solange ich nicht ständig von seiner Frau gegrüßt werde, ist mir das eigentlich völlig egal. Aber ich soll Ihrer Bewegung doch jetzt beitreten, sehe ich das richtig?“ „Wenn Sie möchten.“ „Gibt es da auch Ausschlusskriterien?“ „Fielen Ihnen denn welche ein?“ „Doppelmitgliedschaft? Also wenn man jetzt zu einer Sekte gehört, kann man doch schlecht einer anderen beitreten, oder?“ „Träfe das auf Sie zu?“ „Naja, ich bin in dieser Partei, die früher mal di SPD war.“ „Das sollte aber noch nicht generell ein Hinderungsgrund sein.“ „Dann bin ich ja beruhigt.“ „Auf der anderen Seite müssten Sie bedenken, dass Sie schon Mitglied in anderen Randgruppen sind.“ „Randgruppen?“ „Die Papierdruckgemeinde. Oder beispielsweise die Fernsehgemeinde.“ „Aber doch nur passiv!“ „Wenn Sie nicht Zeitung lesen würden, würde man auch keine drucken.“ „Dann bin ich am Ende für den Mist verantwortlich, der da drinsteht? Das wollte ich nicht!“

„Wir wollten Sie eigentlich bloß mal kennen lernen. Weil Sie ja zu uns gehören.“ „Das heißt, ich bin jetzt schon Teil der Netzgemeinde? Warum sagt einem das denn niemand?“ „Sie hätten sich wohl beschwert, wenn man es Ihnen mitgeteilt hätte?“ „Keine Ahnung – das kommt alles etwas plötzlich.“ „Dafür sind Sie jetzt Teil einer Mehrheit.“ „Auch, wenn ich weiterhin in der SPD bin?“ „Ja, sogar als Zeitungsabonnent.“ „Das hatte ich nicht bedacht.“ „Sie werden sich daran gewöhnen.“ „Gut, wenn der Innenminister gegen die Netzgemeinde hetzt, weil er nicht weiß, was das ist?“ „Dann dürfen Sie sich ab sofort auch angesprochen fühlen.“ „Das ist ja schön. Da weiß man dann sofort, dass man auch Teil dieser Gemeinschaft ist.“ „Na, wenn Sie das sagen – dann wissen wir jetzt schon mal, dass Sie zu uns gehören.“ „Habe ich Ihnen helfen können?“ „Ja, danke. Ein kleines bisschen. Aber jetzt müssen wir weiter. Selbstfindung, Sie wissen schon.“ „Natürlich. Auf Wiedersehen!“ „Auf Wiedersehen.“ „Und besuchen Sie mich gerne wieder – in diesem Internet!“





Der Erwählte

26 02 2012

Nun also kommt er endlich dran,
weil sie’s vorher nicht schafften,
ihn reinzudrücken. Deutschland kann
den Mann wohl auch verkraften.

Dass er die Macht hat, ist’s nicht bang,
doch alles steht und fällt,
dass er ab jetzt fünf Jahre lang
die Schnauze hält.





In fünf Zeilen um die Welt. Limericks (LXXX)

25 02 2012

Es wagt Fuad in Degeh Bur,
der jahrelang schon Taxi fuhr,
ein Ding ohne Lenkung
(es war eine Schenkung)
zu fahren. Geradeaus. Stur.

Da Jorge, ein Arzt in El Monte,
sich tagsüber ausgiebig sonnte,
so sagte er wendig,
er forsche beständig,
ob Sonne der Haut schaden konnte.

Wenn Enn, der als Träger in Hiie
sich fragt, ob sich lohnte die Mühe,
so spitzt er die Lippen:
kein Sack würde kippen,
wenn er höchstpersönlich ihn ziehe.

Man klebte Jon in Kulusuk
zwei Rentiergeweihe als Schmuck
als große Belohnung
hinein in die Wohnung.
Es passte nicht wirklich zum Stuck.

Marcello, der sich in Preone
als Gastwirt fragt, ob’s sich noch lohne,
der rechnet behende
und spart sich am Ende
die Bohnen an der Minestrone.

Seit Wochen fand Mehdi in Faw
zur Nachtzeit nicht mehr in den Schlaf.
Ein Freund fand Erbarmen
und schickte dem Armen
zum Zählen (als Anfang) ein Schaf.

Es wollte Leon in Viacha
den Nebenjob als Regenmacher,
doch mit Regentänzen
nur als Referenzen,
da erntete er nichts als Lacher.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXL): Haushaltsschrott

24 02 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Ein sicheres Zeichen von Intelligenz ist der Gebrauch unbelebter Objekte. Der Elefant rüsselt sich mit Zweigen die Parasiten aus dem Dickfell, der Otter knackt seine Meeresfrüchte mit dem Stein auf dem Bauch. Der männliche Gelbnacken-Laubenvogel gar pinselt mit dem Blätterbusch seine Brutlaube in modischen Farben an – die Ergebnisse im Inneren des Plattenbaus sind selten besser. Vom Primaten, der in allem herumstochert, lernt der Mensch die ersten Waffen zu bauen, das, was ihn objektiv nicht zum wertvolleren Teil der Fauna macht, ihm aber das Überleben sichert samt Ansätzen der Zivilisation, zwanghafter Ausbreitung in lebensfeindlichen Breitengraden, Aufbau einer Kulturindustrie von zweifelhaftem Wert sowie Innenraumgestaltung seiner Wohnstatt mit Bett, Tisch, Auslegeware und, wie sollte es anders sein, Werkzeug, insbesondere das, was als gemeiner Haushaltsschrott seine Herkunft nur oberflächlich zu verleugnen in der Lage ist.

Nicht mit dem Stein knackt die Mehlmütze ihre Muscheln, der häuslich Eingerichtete nimmt das Messer, das zu diesem Behufe in vielerlei Form und Farbe greifbar ist: Austernmesser, Buttermesser, Obst-, Käse- und Buntmesser, Tisch-, Tranchier- und Ausbeinmesser, Taschen-, Klappmesser oder Tiefkühlkostsäge. Instinktiv vergreift er sich dabei in der vollgeschaufelten Schublade und bekommt nur das Lachsmesser mit rostrotem Kunststoffgriff in die Flossen, ein vorzügliches Instrument, um sich aus jedem beliebigen Winkel die Pulsadern der Länge nach zu öffnen, rutschig, angelaufen und immer kurz vor dem Durchbiegen der Klinge. Der Bekloppte hatte eigens zwei Dutzend Becher einer glitschigen Separatorenfleischzubereitung aus dem Kühlregal in seinen Verdauungstrakt gepfriemelt, um für die Treuepunkte auf dem Deckel einen aufblasbaren Kölner Dom zu erhalten; Dom war aus, Messer gab’s noch, und schon war der Schrank noch ein bisschen voller geworden. Wie die meisten Pfeffermühlen, Flaschenöffner, Ausgussstopfen und Dosierspender für Schnaps und Seife, so war auch dies Utensil der Ausfluss einer nie versiegenden Quelle für drittklassigen Industrieabfall, der als Werbegeschenk und Dreingabe unbescholtene Konsumenten in die Hirnembolie treibt.

Reinigungsbälle aus Weichplastik, die Wolle in der Waschtrommel vor dem Verfilzen retten soll, der Gummiringspender in Eichhörnchenform, ein japanischer Rasierklingenschärfer aus China, alles das bedarf ästhetischer Erklärung und Gewöhnung, verspricht viel und hält wenig. Die Taschenlampe mit dem Schwungrad, die batteriefreies Licht zu geben gelobt, ist in Wahrheit ein klobig in der Hand klebender Brocken, der nach mehrmaligem Herumschwiemeln an der wackeligen Mechanik trübselige Photonen in die Gegend hüstelt und der majestätischen Ruhe des Vergänglichen harrt. In der Sonne aufladbare Christbaumkugeln lichtern irr durch die Weihnachtsnacht, die ausziehbare Wäscheleine für den Urlaub frisiert mit wenigen Handgriffen ein Hotelzimmer zur täuschend echten Vergrößerung eines Spinnennetzes. Gemeinsam ist dem ganzen Plunder, dass der Erfolg kaum messbar ist oder anderweitig wieder aufgefressen wird: der mechanische Hacker mit der sensationellen Kurbel zerkleinert feste Nahrung im Handumdrehen und beschleunigt die Küchenarbeit enorm – vorausgesetzt, man hat einen Putzsklaven, der die stundenlange Reinigung des aus drei Dutzend Einzelteilen verschraubten Apparillos in Eigenregie fortführt. Weil das Zeug vordergründig als Arbeitserleichterung erscheint, kommt sich der Verwender maßlos clever vor, ist es aber nicht.

Während die Tischdeckenbürste hochfein die Krümel von der Tafel fegt, dafür aber bröselnde Borsten auf dem Damast hinterlässt, killt die im Lufterfrischer ausgebrachte Essenz in Zeitlupe den Kollegen Ficus. Der hinterhältige Krimskrams macht die Bude in nachvollziehbarer Zeit zu einem Feld des Grauens. Die trainierte Hausfrau ist in der Lage, mit Hilfe eines Wunderputzschwamms eine komplette Hochhaussiedlung dem Erdboden gleichzumachen. Die Tücke des Objekts tut ein Übriges, dass Schäden selbst durch sachgemäße Anwendung erfolgen können – splitterndes Plastik, rostende Metallteile, billiges Pressglas sorgen dafür, dass in jedem Centartikel eine Todesfalle lauert.

Denn der Haushaltsschrott ist hinterhältig; er hat sich auf vorrationaler Ebene mit dem Bewusstsein des Bescheuerten verzahnt. Die Ausläufer des Stammhirns in Richtung Impulsknoten signalisieren dem Querkämmer eine Frühform von Intellekt, so er mit Tütenverschlussklammer und Tubenquetsche seine kärgliche Existenz aufzumotzen sucht: der Widerstand nähert sich ε, der Krempel assimiliert den Bekloppten schneller, als Fruchtfliegen aus einem Pfund Pflaumen hinter der Küchenbank das Heim übernehmen könnten. Der Dummgnom tut in Verachtung seiner selbst weiterhin tapfer, als sparte er Strom, Wasser oder Zeit, stopft den Quark in die Schublade zurück und zückt ihn höchstens noch ein zweites Mal, wenn die wirkliche Gefahr lauert – verbissen redet er sich ein, das Ding müsse doch wie von Bedienungsanleitung und platonischer Idee vorgesehen funktionieren, und also legt er nochmals Hand an. Manchmal geht das gut, die Kunst der Neurochirurgie hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht, wenn jedoch nicht, so bleibt ein Erdenrest, Trost zu spenden. Es bleibt ein Erbe von hohem ideellem Wert. Denn auch die nächste Generation will ihre Herausforderungen.





Das kleine Glück

23 02 2012

Anne errötete heftig. „Mit Dir hatte ich jetzt ja gar nicht gerechnet“, säuselte sie. „Ich wohne zufällig hier“, antwortete ich und warf den Müllbeutel in die Tonne. „Du hättest anrufen können, weil ich heute noch ein Meeting mit Minnichkeit habe. Aber ich kann Dir auch eine Tasse Tee anbieten, wenn Du möchtest.“ „Nicht nötig“, wehrte sie ab. „Ich bin ja nur versehentlich hier, also fast.“ Verlegen strich sie sich durchs Haar. „Du brauchst Dich überhaupt nicht um mich zu kümmern. Tu einfach so, als wäre ich gar nicht da.“

Kaum hatte ich die Treppe ins Obergeschoss erklommen, hörte ich eine Klingel unter mir. Es läutete. Vorsichtig, als wollte sie nicht gesehen werden, schlich Anne die Treppe empor. Ich rührte mich nicht. Da öffnete sich eine Tür. Sigune.

Sigune ist eine Frau, die irgendwann mal Mitte Dreißig gewesen sein muss, biologisch abbaubare Oberbekleidung trägt, ihre Topfpflanzen nur mit linksgerührtem Mondwasser gießt und im Einklang mit dem Kosmos den Boden fegt. Walgesang wallt aus ihren Hallen, während sie nach neuestem Feng Shui die Möbel durch die Bude rückt. Mit einem Wort, sie ist eine professionelle Baumkuschlerin.

„Jeder hat so eine Dose“, schmollte Anne und rührte in ihrer Tasse. „Absolut jeder! Die Damen in der Kanzlei schwören darauf. Sogar Staatsanwalt Husenkirchen.“ Ich hob die Brauen. „Der? Eine magische Wunschdose?“ „Keine Wunschdose“, belehrte sie mich, „sondern ein Glücksbringer. Es funktioniert mit diesem Erdmagnetfeld, das alle negativ gepolten Energien nur an einer Seite – also irgendwie so, aber alles ganz wissenschaftlich.“ „Husenkirchen läuft mit einer Blechdose durch die Gegend?“ Anne ließ den Löffel auf die Tischplatte fallen. „Doch nicht er! Seine Tochter hat eine.“ Ich blieb skeptisch. „Wenn jeder eine hat, warum ist dann das Glück in meiner Umgebung noch nicht messbar angestiegen?“ Anne rümpfte die Nase. „Meine Güte, sei doch nicht so unerleuchtet – sie ist doch nur für das persönliche Glück zuständig.“ „Aber ist nicht geteiltes Glück doppeltes Glück?“

Herr Breschke zeigte mir stolz das kleine, leicht eingedellte Blechding, das er in der Jackentasche mit sich herumtrug. „Individuell angefertigt“, hob er hervor. „Keine sieht wie die andere aus. Und sie haben eine individuelle Strahlenmagnetisierung, oder wie das heißt. Diese Elektronenspiralwirkung, die aus dem Südpol kommt.“ Ich wog das Döschen in der hohlen Hand. „Leer“, befand ich. „Aber auf keine Fall“, entrüstete sich der pensionierte Beamte. „Das ist doch dieses Gamma-Dingsda, und damit wird die Resonanz aus dem Strahlengitter wieder neutral.“ Anne blickte hilflos. „Ich weiß es nicht, ich habe meine Dose ja erst heute bestellt. Sie soll morgen ankommen.“ „Und was kann dieses Ding?“ Breschke zuckte die Achseln. „Es sorgt eben für mehr Glück. Wissenschaftlich erwiesen. Dann muss es doch wohl stimmen, oder?“

Nachdem mich Anne ihrer Kosmetikerin, ihrer neuen Kollegin sowie einem ihr auch nicht näher bekannten Taxifahrer vorgestellt hatte, wusste ich wenigstens, dass ich einer der wenigen Menschen in dieser Stadt war, der bis jetzt ohne Dose zu leben versuchte. „Und sie kann spürbar mehr Glück erzeugen“, versicherte mir Anne. „Kann“, gab ich entnervt zurück, „kann: muss aber nicht. Typisch, dass sie das in ihr Werbefaltblättchen schreibt. Und Du glaubst es auch noch.“ Unvermittelt stießen wir auf Doktor Klengel. „Sie sehen ja wieder ganz munter aus“, sagte der Hausarzt, „haben Sie sich an meinen Rat gehalten?“ „Dreimal täglich Gurgeln“, antwortete Anne. „Und ich habe mir heute auch eine Dose bestellt.“ Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Klengel“, flehte ich, „sagen Sie mir, dass das nicht wahr ist!“ Er druckste herum. „Sie wissen ja, wie das mit labilen Patienten ist. Man gibt ihnen ein Placebo, und alles ist wieder gut.“ „Und statt Zuckerpillen verschreiben Sie jetzt Blechdöschen?“ Doktor Klengel lächelte. „Die sind wenigstens frei von Nebenwirkungen. Und die seelische Ausgeglichenheit der Patienten ist auch ein Faktor, der zu einer raschen Genesung beiträgt.“ Er zog eine Dose aus der Manteltasche. „Ich kann nicht klagen, sie bringt mir bisher kein Unglück.“

„Sei nicht ungehalten“, beruhigte mich Anne. „Ich zwinge Dich ja gar nicht. Wenn Du auf ein dauerhaft gesteigertes Wohlbefinden keinen Wert legst, bitte – Du musst Dir ja keine Dose holen. Obwohl Du es nicht weit hättest, schließlich wohnt Sigune gleich…“ „Lass mich in Ruhe“, knurrte ich. „Ich will von diesem ganzen Firlefanz nichts mehr hören. Dort ist meine Haustür, ich werde jetzt wieder in mein Arbeitszimmer zurückkehren, und ich will für den Rest des Tages nichts mehr von irgendwelchen Glücksblechdosen hören, klar?“ Anne nickte. „Meine kommt ja auch erst morgen.“

„Ach Verzeihung, bin ich hier richtig?“ Der Paketfahrer zog einen voluminösen Sack hinter sich her. Durch die transparente Kunststofffolie konnte man einen Blick auf das Innere des Beutels werfen. Neben dem Schriftzug Made in China klebte Sigunes Anschrift. „Das darf doch nicht wahr sein“, murmelte Anne entgeistert. Gut tausend Blechbüchsen befanden sich darin, eine verbeulter als die andere. „Individuell geformt“, spottete ich. „Du möchtest jetzt bestimmt Dein Glücksdöschen schon abholen, habe ich Recht?“ Annes Augen verengten sich zu zwei gefährlichen Schlitzen. „Ich denke nicht“, sagte sie grimmig. „Diese Schlange wird sie alle selbst brauchen – jede einzelne.“





Das Missverständnis

22 02 2012

„Jetzt wollen sie ihn doch?“ „Wenigstens wundert sich keiner, dass er noch will.“ „Warum auch nicht. Er fand ja schon immer, dass er etwas Besseres ist.“ „Daher diese selbstbewusst zur Schau gestellte Demut.“ „Und das vorher?“ „Das kann bloß ein Missverständnis gewesen sein.“

„Das Merkwürdige an dem Mann ist doch, dass er wegen seiner Vergangenheit Präsident werden soll.“ „Sie meinen, weil er keine hatte?“ „Haben hatte er die schon, aber eben anders, als man jetzt sieht.“ „Dann müsste Merkel ihn doch eigentlich schätzen.“ „Weil sie auch so fortschrittlich ist, dass ihre liberale Haltung schon fast wieder konservativ wird?“ „Nein, aber auch sie ist eine Frau der ersten Stunde.“ „Verstehe, sie hat 1989 entdeckt, dass sie eigentlich schon immer Bürgerrechtlerin gewesen sein musste.“ „Es handelt sich sicherlich nur um einen Fehlschluss.“

„À propos – Geschichte!“ „Gab es da auch Falschinterpretationen?“ „Wie man’s nimmt. Er will partout, dass eine Kundgebung gegen den Abbau von Bürgerrechten nicht als Montagsdemonstration bezeichnet wird.“ „So viel historische Bildung! Das passt ja dazu, dass die SED das Unrecht der Vertreibung mit der Ostgrenze zementiert hat.“ „Ich sehe es förmlich vor mir, wie Walter Ulbricht Väterchen Stalin mit dem Küchenmesser bedroht, dass er ja nicht an der Grenze herummontiert.“ „Er kennt sich aus mit historisch bedingter Hybris, seine Selbsteinschätzung beruht ja zu einem nicht ganz geringen Teil darauf.“ „Aber das ist ja aus dem Zusammenhang gerissen.“ „Weil er das nicht direkt den Polen ins Gesicht sagt?“ „Dafür ist Steinbach zuständig. Nein, im Zweifel hatte die SED einen guten Grund dafür.“ „Der Verfassungsschutz hat ja auch immer einen Grund, wenn er Parlamentarier beschnüffelt.“ „Das ist das mühevoll gelernte Rechtsstaatsprinzip: wenn ein Rechtsstaat etwas tut, muss es richtig sein, denn sonst wäre es ja kein Rechtsstaat.“ „Deshalb hat er auch die anlasslose Vorratsdatenspeicherung für legitim erklärt, wenn sie nur tatsächliche Erfolge bringt.“ „Meinen Sie, dass das Bundesverfassungsgericht demnächst die Folter damit für legal erklärt?“ „Das muss sicher wieder nur ein Missverständnis sein.“

„Dabei muss man dem Mann doch Respekt zollen.“ „Weil er eine so hochpolitische Person gewesen ist, die aber so perfekt integriert war, dass sie quasi schon wieder völlig unpolitisch ist.“ „Er hat doch auch gesagt, dass er keine politischen Erlösungsfantasien mag.“ „Für einen Theologen kein Wunder, die sind ja immer schon unpolitisch gewesen.“ „Was war dann die Wiedervereinigung?“ „Die muss er missverstanden haben.“ „Vermutlich als Erweckungserlebnis.“ „Immerhin wäre das ein Grund, warum er danach seine Vergangenheit hinter sich gelassen hat.“ „Kann er das nicht?“ „Warum noch mal wollten die Leute Wulff loswerden?“

„Immerhin wird man von ihm nicht mehr hören, dass der Islam zu Deutschland gehört.“ „Dass das Judentum zu Deutschland gehört, wird er sich auch verkneifen.“ „Er beklagt ja nur, dass der Holocaust immer so wichtig genommen wird.“ „Vor allem von den Opfern.“ „Das ist wohl wieder so ein Versehen wie die Prager Deklaration.“ „Sie müssen gerecht bleiben, wenn man sich mit Holocaustleugnern an einen Tisch setzt, dann kann man doch nicht ahnen, dass sich unter denen auch Antisemiten befinden.“ „Das hat er wohl auch gemeint mit seinem Lob für Sarrazin.“ „Dass er ihm Mut attestiert?“ „Es gehört jede Menge Mut dazu, sich vor geistig gesunde Menschen zu stellen und Müll zu verbreiten.“ „Aber er hat Sarrazins Biologismus kritisiert.“ „Dass der nur das Vehikel war, ohne dass Sarrazin keine Aufmerksamkeit für sein Gerede über mehr oder weniger dumme Völker bekommen hätte, bemerkt er nicht.“ „Er beschwert sich über den Lärm, lobt aber den Fahrer, dass er so schön hupen kann.“ „Sie dürfen von ihm keine kommunikativen Fähigkeiten erwarten, der Mann ist nur Theologe.“ „Eben, da redet man meist vor Tiefschläfern.“

„Abgesehen davon, er findet Christen zuverlässiger.“ „Das ist sicher seiner Lebenserfahrung geschuldet.“ „Als Pastor?“ „Eher im Zusammenhang mit der Staatssicherheit. Aber das werden wir sicherlich wieder falsch verstanden haben.“ „Deshalb will er ja auch den Nationalstolz nicht nur den Bekloppten überlassen.“ „Ein Berufschrist, der Stolz reklamiert – das ist doch eine Todsünde?“ „Sie müssen es metaphorisch verstehen. Er will, dass jeder von außen normal aussehende Bürger Brandsätze schmeißen kann.“ „Das verstehe ich. Er moniert ja immerzu, dass die deutsche Opferrolle nicht ausreichend gewürdigt wird.“ „Deshalb jammert er ja ständig darüber, dass die Deutschen ständig über irgendetwas jammern.“ „Das ist doch auch ein Missverständnis, dass er lieber Altdeutsche mag?“ „Sie meinen, weil er ein Neudeutscher ist?“ „Ich verstehe, das scheint eine Mentalitätsfrage zu sein. Ein ost-westlicher Divan.“ „In diesen Landstrichen kann man nachvollziehen, dass er keine Trauerfeier für getötete Ausländer mag.“ „Macht nichts. Mit der Einstellung haben wir bestimmt bald einen Anlass für eine Festrede.“ „Vermutlich ein Synagogenbrand.“

„Immerhin, er kennt nur Deutsche. Keine Parteien mehr.“ „Das hat ja auch etwas Erhebendes, wenn man begreift, dass es nicht nur im Parteienspektrum keine Opposition mehr gibt.“ „Sie meinen: keine legale Opposition.“ „Und wir haben endlich einen Präsidenten, den man auch aus dem Zusammenhang gerissen falsch verstehen kann.“





Karnevalium

21 02 2012

„Dä-däää! Dä-däää!“ Der Mann torkelte, hielt sich an der Stuhllehne fest und brach plötzlich in irres Gelächter aus. „Helau! Kölle Ahoi! Ruff-dadda-daa!“ Er schwenkte seinen Papierhut und pustete in den Luftrüssel hinein. Weggle drückte die Stoppuhr und setzte ein Häkchen auf die Liste. „Exakt so“, summte er befriedigt. „Läuft wie am Schnürchen. Sie sehen, die Dosierung ist wirklich kinderleicht.“

Die Käfige waren sternförmig angeordnet; der Raum in der Mitte hatte Platz für ein Schaltbrett und diverse Schränkchen. Panzerglas trennte die Probanden in ihren kleinen Zellen von den drei Männern im Kittel. Eine kleine Klappe gab Gegenstände frei, über einen Lautsprecher konnten Weggle und die Assistenten in die abgesperrten Zimmerchen sprechen. „Nummer 4 ist ein schönes Beispiel“, sagte er und kreuzte eine Reihe von Kästchen auf seinem Klemmbrett an. „Fast keine Aggression. Ganz leicht agitiert, aber so gut wie keine Anzeichen von Hysterie. Er würde sich in dem Zustand niemals panisch verhalten. Man kriegt ihn hervorragend unter Kontrolle.“ „Aber sein Verhalten könnte jeden Augenblick umschlagen“, bemerkte ich, „der Alkohol vermindert deutlich die Konzentration, und der Mann ist ja auch schon ziemlich enthemmt.“ Weggle grinste breit. „Es ist Apfelsaft“, antwortete er, „und wir arbeiten hier an einer ganz anderen Problematik.“

Gegenüber tastete sich ein Proband bereits mit beiden Händen an der Trennscheibe entlang. „Wenn das Wasser im Rhein goldner Wein wär“, johlte der Berauschte, „ja, dann hupp! ich so hupp! ein hupp!“ „Die subjektive Wirkung ist natürlich ähnlich“, befand der Wissenschaftler. „Sie haben insofern Recht, als dass Sie die Intoxikation mit der eines Alkoholismus vergleichen. Sie erleben es wie eine zugesoffene Birne, wenn Sie mir diesen Vergleich erlauben.“ Derweil kicherte die Testperson auf einmal unmotiviert. „Es ist ja alles so lustig“, fiepte das Männchen im glitzernden Umhang; offenbar hatte ihn jemand als Insekt mit Flügeln und Brille verkleidet, dass er selbst diesen Mummenschanz angelegt haben könnte, war ausgeschlossen, falls er nicht schon vorher vollkommen betrunken gewesen sein sollte. Er tanzte in seiner kleinen Kabause im Kreis. „Das ist ja alles so… ich müsste… aber ich kann ja nicht…“ „Schneider“, rief Weggle über die Achsel, „Dosis steigern, wir gehen jetzt zu Stufe 3 über.“ Die Klappe unterhalb des Fensters öffnete sich. Ein Becher mit einer gelblichen Flüssigkeit stand darin. „Das sind jetzt zwei Milligramm“, konstatierte Weggle. „Zwei Milligramm wovon“, fragte ich. Er tippte mit dem Zeigefinger auf den Überwachungsbogen. „Karnevalium.“

Nummer 4 hatte ich inzwischen auf den Stuhl gesetzt und nestelte an seiner Krawatte. „Gleich wieder da“, ächzte er. „Gleich weiter.“ Weggle drehte sich nach rechts und nahm einen anderes Versuchskaninchen ins Auge. „Schneider“, befahl er, „die konzentrierte Lösung.“ Der Gehilfe tropfte mittels einer Pipette eine wasserklare Flüssigkeit in einen Pappbecher. Ich sah aufmerksam hin. „Und jetzt passen Sie gut auf“, riet mir Weggle. Ich sah dem Mann zu, wie er den Saft hinunterschüttete. Inzwischen hielt er sich bereits an der Tischkante fest. „Met ner Pappnas gebore“, lallte er, „dr Dom en dr Täsch…“ Langsam wurde es doch etwas unheimlich. „Was macht Ihr Elixier nur“, fragte ich, „die Leute sind ja völlig weggetreten.“ Der Versuchsleiter nickte. „Das ist auch der Sinn der Sache. Aber schauen Sie sich das mal an.“ Er drückte auf einen Knopf vor der Scheibe. „Herr Höbelsprächer“, quäkte es aus dem Lautsprecher in der Kabine, „Ihr Haus ist ausgeraubt worden.“ „Viva Colonia“, tönte es zurück. „Man hat Ihre Familie bei einer Verkehrskontrolle erschossen.“ „Deutschland, Deutschland, über alles!“ „Der Benzinpreis steigt.“ „Olé, olé-olé-olé!“ „Sie sehen“, replizierte Weggle kühl, „die Testpersonen sind nicht aus der Ruhe zu bringen. Was auch immer wir mit ihnen anstellen, sie haben eine einigermaßen adäquate Reaktion auf Lager. Und sie sind nach wie vor in bester Feierlaune.“ „Daher Karnenvalium“, mutmaßte ich. Weggle nickte. „Haben Sie sich je gefragt, warum die Leute im Fernsehen bei den Karnevalsumzügen und zu Silvester so penetrant fröhlich erscheinen?“

Ich sah, wie der Mann sich keuchend auf dem Stuhl krümmte; gleichwohl lächelte er und nuckelte noch immer an seinem Becher. Weggle sah zu Boden. „Die Zeiten werden nicht einfacher. Die Regierung hat uns beauftragt, einen Stoff zu entwickeln, der die Eigenschaften eines Beruhigungsmittels mit denen des Alkohols verbindet.“ Er wiegte die Ampulle mit der wässrigen Flüssigkeit in der Hand. „Was ist denn das Neue an Ihren Forschungen?“ Er blickte angestrengt an mir vorbei. „Es lässt sich gut dosieren. Die Tabletten waren auf Dauer nicht so zuverlässig.“ „Gut“, sagte ich. „Dann wird es ja sicher in diesen Zeiten nicht lange dauern, bis das Präparat auf den freien Markt kommt.“ Weggle winkte ab. „Sicher nicht.“ Verzweifelt kontrollierte er die Häkchen auf seinem Bogen. „Das wäre eine Katastrophe. Und es wäre auch gar nicht erlaubt.“ Er senkte die Stimme. „Bei dem, was uns alles noch bevorsteht? Vollkommen unmöglich.“

Nummer 4 krabbelte glucksend am Boden; die anderen krakeelten in ihren Räumen und schmissen Konfetti. „Herzlichen Dank“, sagte ich. Weggle nickte stumm, bevor er auf den Türsummer drückte. Doch dann hielt er mich plötzlich am Arm zurück. „Ich kann Ihnen nicht mehr verraten“, flüsterte er, „aber Sie sollten heute kein Leitungswasser…“





Das letzte Würstchen

20 02 2012

„Kalle, ick nehm noch ’ne Körri. Un denn machste ooch noch ’ne Molle. Wejen den Körri, wa. Wat is? Wejen des Kör-ris? Sahrense ma, hamse keen ze Hause? Ach so. Nu seh ick det. Hatta ja ooch nich. Pardong, Herr Bunspräsent. Hack jar nich jesehn, det Sie det sinn. Kommense ma untern Schürm. Is kalt, wenn man so die janze Nacht uff die Beene is.

’türlich is det unschön, a damit war zu rechnen. Ihre Olle is nu ma so’n charakterlich andersartich bejabtet Stick, so heißt det ja wohl polletikkorrekt. Det is ehmt so, wenn Madame nich mehr kricht, wat se sich in’n Kopp jesotzen hat, denn macht se die Dhüre zu, un denn pennste in’n Jarten. Is ja nu ooch keen Ssustand. Ick wer Ihnen ma wat sahren, Herr Bunspräsent, lassense die ma janz ruhig in Bellwüh hockn. Imma lass die olle Zippe da hockn, det merkt die jar nich. Also jroß jenuch wär det Jebäude. Die wird da übasehn, neechsten Tach jeht det Jeseire wieda los, a denn wird die Olle keena mehr vamissn.

Det is scheen, Herr Präsent. Is kleidsam, so’n Schlips. Wie heeßt a? Herpes? Kenn ick nich. Wat meene Olle is, die hat mir een fürs Lichtspielhaus in’n Schrank jehangen, a ick wer den nich umdhun. So’n Kultuastrick hack nich nötich. Det is für inne Polletik oda wenn eena dhot is, oda andersum, a ick brauch det nich. Kalle, ick nehm nochn Kümmaling ßu, det is wejen die Molle nu. Na jib ma jleich ßwee, det die Körri ooch jut rutschen dhut. Mit Verlaub, Herr Präsent, det war ja nu nich so jedacht – wennse ’n Kümmaling trinken wolln, denn jeb ick Ihnen ma ’n juten Tipp: koofense sich een. Selba trinken macht duhn. Ick bin ja keen Unmensch, a mir jehmse ooch nischt ab. Ick muss ooch inne Wüchtschaft jehn, a nich so wie Sie. Meine Jüte, Sie ham a ooch keen Dunst von det würkliche Lehm, wa? Wat ick Ihnen empfehln kann? Nehmense ’n Brühpuller mit Schrippe.

Wat kramense da in die Taschen rum, wollense auspackn? Denn packense ma, imma packense ma aus – könnense jleich wieda einpackn. Det is Ihr Auto? Denn schiehmse det Ding ma aussen Parkvabot. Hamse Tomaten uff die Oogen? Da hat die Vawaltung ’n Schildawald anjepflanzt un kommt alle paar Tahre zum Jießen herjeradelt. Denn wachsen da die Sparjel aus’m Jrün. Un der Wowi pinselt höchstpasönlich ‚Parken vaboten‘ druff, wa? Könnense ma kieken. Det heißt nich Parkvabot, weil se da keen Tierjarten jebrauchen können. Denkense ma vaschärft nach, Herr Präsent. Na, fängt det an zu klüngeln? Füa det Auto von’n Bunspräsenten is det nich vaboten? Det wüsst ick a, Herr Staatsobahaupt. Det wüsst ick.

A morjen – morjen wer det allet wieda jold, wa? Morjen. Un det solln wa nu jloohm. Det hamse ja vorje Woche ooch schon jesacht jehabt. Un davor. Denn parkt a det Auto jarantiert nich falsch. Un denn ßahlt a den Strafßettel ooch. Janz sicha. Morjen, Haupsache: morjen.

Sahrense ma, Männeken – die Fotojrafiererei könnense sich sparen. Nee, da hack keen jesteijertes Intaresse an’n Abzuch. Sonne Fotojrafie von Herrn Bunspräsent mit meene Wenichkeit – nee, det hat ma ja jrade noch jefehlt. Det is nich nötich, lassense det ma sinn. Hallo? Det könnense ohne Ihrn Anwalt rejeln, oda? Mein Jott, Herr Bunspräsent – imma jleich mit die Anwaltskanßlei drohn, det is ooch ’ne Art Heldentum. Könnense det nich rejeln wie jeda andere Bürjer? Muss det imma jleich mit Ihre juristische Flüstatüte sinn? Un hörense ma uff, mir ze duzen. Det kann ick ma so jar nich vaknusen, wenn eener imma wat Besseret sein will, un denn wanzt a sich an un dhut plötzlich wie so’n Sandkastenkumpel. Det kann ick so jar nich ab.

Nehmense sich doch noch ’ne Bock, ick weeß ja nich, wann Se wieda wat zwischen de Kiemen kriejen. Det war die letzte? Denn is dit persönlichet Pech Ihraseits, Herr Bunspräsent. Kommense klar. A wieso soll ick nu ’ne Molle uff den Schreck ausjehm? Abjebrannt? Hamse den Ehrensold unta de Fußmatte liejen lassen? Oda hat die Olle wieda allet füa die Kleedage ausjejehm?

Menschenskind, passense doch uff mit den Mostrich! Dit is meene jute Jacke, da hack lange für jespart! So, Sie sinn nich schuld? Vastehe, det war der Mostrich, Herr Präsent. Det hamse sich so jedacht – wenn det ma in die Botanik jeht, denn sinn die andern schuld, a man bloß nich der Herr Bunspräsent, wa? Dit hamse sich so jedacht. Imma uff die Kleenen. Da wär ick an Ihre Stelle ma ’ne Ecke vorsichtija mit die Marmelade. Det jibt Flecke uff de weiße Weste, Herr Präsent. Richtich Flecke. Un die kriejense nich ma ehmt so rausjeriehm. Jott, nu stehnse doch ma jrade! Is ja nich zum Anlieken, ’ne Flitzpiepe uff Heimaturlaub! Hat Ihre Olle den Stöpsel jezohren? Nu weenta ooch noch. Kalle, jib ma’n Herrn Bunspräsent ’ne Serviette.

Meene Jüte, nu machense sich nich wieda jleich in’t Hemde. ’türlich sinnse ’n Teil von det Land. A ick wer mir frahren, welcha. Det hamse ooch noch nich so janz bejriffen, wa? Sie sinn so’n Mietkaspa wie die Merkelsche. Die Olle kricht ’n paar Jahre, un denn isse wech von’t Fensta. Und Sie sinn bloß Jrüßklops von Bellwüh. Jott, nu winselnse mir nich voll, ßällavieh. Von Ihrn Jeweimer wer det ooch nich bessa sinn.

Wat, ick soll nu füa Ihnen ßahln? Sons jehts a noch danke, wa? Füa Ihnen!? Kalle, haste det jeheert? Ick wer doch füa den Schlawiner nich… Kalle, kiek ma – Kalle, mach hin! Die olle Pottsau wer noch die Sseche prelln! Kalle!

Nehmsen ma gleich mit, Herr Wachtmeesta. Det Aas hat vasehentlich de Tüschkante aufs Maul jekricht. Sswölfmal.“