Gernulf Olzheimer kommentiert (CXXXVII): Geschenkgutscheine

3 02 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wie lieblich ist die Vorstellung, zu Wiegenfest, fristloser Kündigung und ähnlichen Anlässen, die Vergänglichkeit dieser Existenz zu betrachten, mit einer kleinen Aufmunterung bedacht zu werden. Was dem einen selbst gestricktes Gewirr in markerschütternder Farbstellung, sind dem anderen Bildbände über Hessen, Echsenzucht und Adenauer. Der eine mag es mögen, der andere überlebt es. Und ist nicht die Tatsache, dass etwas als Präsent taugen soll, erst wirklich dessen ideellen Wert? Übersteigt nicht die jedes Aufmerksamkeitsdefizit eliminierende Glitzerverpackung die bröselnde Bruchschokolade darin? Ist nicht allein die Geschenkhaftigkeit des Objekts die ihm innewohnende Befindlichkeit als Gabe, die immer schon in der Welt war und als das innerweltlich sich Schenkende nun sich ins Dasein wirft, oder anders ausgedrückt: warum nerven einen die Grützbirnen immer noch mit Geschenkgutscheinen?

Dabei gibt es doch nichts Schöneres als ein mit Liebe am guten Geschmack vorbeigeschmuggeltes Mitbringsel. Generationenweise haben Groß- und Schwiegermütter die Auswahl und Instandsetzung des Krawattenbedarfs perfektioniert und geben ihre Geheimnisse nur raunend vom Munde zum Ohr weiter, meist erst auf dem Totenbett. Doch keine hätte einen Gedanken daran verschwendet, den Bekloppten mit einem Shopping-Wochenende beim Herrenausstatter für seine miserable Lebensführung zu strafen. Sie erledigen das selbst, solange sie noch satisfaktionsfähig sind.

Halbwegs kreativ dagegen sind ja immer noch Geldgeschenke. Nur Bares ist Wahres, Scheinchen trügen weniger als der Schein, und solange immer noch jeder selbst verantwortlich ist, wie er den Mammon investiert, verjuxt oder für kargere Zeiten aufbewahrt, wird keiner sich wirklich beschweren beim Anblick raschelnder Noten. Die Gefilde des Prekären erst berühren vorgedruckte, schwiemelig ausgemalte und formularartig ausgefüllte Bons für 1 Paar Socken, Baumwolle, schwarz, Herrengröße, weil die aufsteigend verwandte Schenkerin sich den Mühen des Winterschlussverkaufs nicht selbst unterziehen wollte. Man schenkt doch immer auch ein Stück von sich selbst mit seiner Gabe; wo dies aus naheliegenden Gründen nicht zu den attraktiven Bestandteilen des Angebindes gehören sollte, kann man schon mal die Finger davon lassen.

Und so war es auch nur eine Frage der Zeit, dass sich die geistige Armut zu einer eigenen Branche aufstapelte: Geschenkgutscheine aus dem Katalog. Wer bisher nur in vollkommener Unkenntnis den Brauchtumsterrorismus des Schenkens absolvierte als eine Konkurrenz der originellsten Missgriffe vor peinlich berührtem Publikum, der ist nun endlich in der Lage, sich im High-End-Bereich zu blamieren. Warum nicht mal den Kollegen mit der chronischen Höhenangst mit einem Fallschirmsprung in den Wahnsinn treiben? Den gerade trockenen Nachbarn zur Weinprobe schicken? Oder für die adipöse Nichte mit der grobmotorisch tastbaren Cellulite ein professionelles Fotoshooting in Leder auf nackter Haut? Nie war es einfacher, sinnlose Individualität von der Stange unters Volk zu jubeln, Klischees in Hochpotenz: Männer dürfen mit dem Sportwagen unterm Sitzmuskel über den Asphalt hobeln, während Frauen zu Lautenklang und Spitzentanz in ayurvedischem Koksöl baden.

Überhaupt, Erlebnisgeschenke. Es scheint, als sei eine Stunde Zerdeppern von Zivilisationsresten mit Hilfe des Monsterbaggers ein adäquater Ersatz für die Freuden eines anständigen Kneipenabends – ob der Beknackte im Muldenkipper nicht unsäglich stümpert, sei dahingestellt, die Druckbetankung mit Hilfe der gewohnten Kumpanei jedoch verspricht absehbare Freude, hinterlässt keine Zweifel und nur minimale Reue, wenn sie nicht explizit als Spende von Herzen angenommen wird. Und schließlich ist das Material, Handtasche, Akkuschrauber, heizbare Webpelzimitatohrenschützer, immer noch klar im Vorteil, denn es bleibt, sei es liebenden Gedenkens, sei es als Mahnung, nie wieder so einen Plunder in die Finger zu nehmen.

Werden nicht bald die echten Nervenkitzel angeboten? Es gäbe jedenfalls Bedarf. Einmal einem Stempelschwinger vom Bauamt seinen gesamten Vorgang zur Errichtung einer Anbauhütte mit nicht feststehender Trennwand (Holz, keine Brandschutzmauer) samt Durchschlag und Anlagen in die Einlassöffnung pfropfen. Einmal einen Fachverkäufer im Heimwerkermarkt mit dem Großkaliberinstrument im Anschlag dazu bringen, sich einen ganzen Tag nicht bei den leisesten Anzeichen von Kundenpräsenz wegzuducken. Einmal, ein einziges Mal einem Kommunalpolitiker ins Gesicht sagen, dass er ein brechreizerregend dummes, korruptes Arschloch ist, von dem man schon seit der Grundschule wusste, dass er nicht alle Rillen auf der Erbse hat. Alternativ, man muss ja auch an den schmalen Geldbeutel denken, an die kleineren Träume, die nichtsdestoweniger schon ein Leben lang auf ihre Verwirklichung gewartet haben könnten: einmal dem Frisör sagen, er solle doch bitte schneiden, wie er wolle, und dazu einfach mal die Fresse halten. Es kann doch alles so schön sein.