Bis(s) zum bitteren Ende

6 02 2012

„Dass das in einem Rechtsstaat überhaupt möglich ist – ich finde das skandalös!“ „Ich finde noch ganz andere Dinge skandalös, und zwar, wie man sich offensichtlich um diesen Rechtsstaat herumdrücken kann.“ „Dieses Urteil hätte es so nie geben dürfen. Wir sind ja sonst für Gerechtigkeit, aber in diesem Fall – “ „Wenn es um Ihren Bundespräsidenten geht, dann machen Sie gerne mal eine Ausnahme, oder?“ „Man hätte ihm das Vertrauen öffentlich entziehen können seitens der Regierung, ja. Man hätte ihn eventuell sogar zum Rücktritt auffordern können. Sogar ich hätte das nicht ganz verkehrt gefunden.“ „Deshalb haben Sie ja auch ständig ein Ende der Debatte gefordert.“ „Man hätte ihn sicher auch anders entfernen können. Aber ihn gleich zum Verbleib im Amt zu verurteilen? und das auch noch lebenslänglich?“

„Warum soll diese Präsidialmarionette nicht bis zur Demenzgrenze im Amt bleiben?“ „Das wäre der Untergang. Keiner nähme uns mehr ernst.“ „Warum sollte es denn Deutschland besser gehen als seinem Staatsoberhaupt?“ „Sie können doch jemanden, der alle drei Tage die Öffentlichkeit belügt, nicht so ohne Weiteres als völkerrechtlichen Vertreter auf die Welt loslassen. Und dann noch lebenslänglich! Welcher Teufel hat denn das Gericht geritten?“ „Wenn Wulff die geringste Aussicht darauf hätte, seine Apanage weiter zu erhalten, wäre er in einer Viertelstunde zurückgetreten.“ „Also Schutzhaft?“ „Wir lassen ihn im Amt verschimmeln.“

„Im Ernst, Sie zerstören die Würde des Amtes.“ „Weil Wulff als einziger aus diesem Klüngel seiner gerechten Strafe zugeführt wird?“ „Weil er mit einer Strafe vorgeführt wird.“ „War denn Wulff je etwas anderes als ein Statist, den man an der Verfassung vorbei ins Amt gedrückt hat?“ „Aber man kann doch den Mann jetzt nicht auf Lebenszeit zum Kasperle machen.“ „Was war er denn bisher?“ „Der Präsident spielt doch aber international eine wichtige Rolle.“ „Sie waren doch die ersten, die ihn als Nebenrolle besetzen wollten. Und Sie kommen jetzt mit Sittlichkeit, wo Sie vorher Ihr Theater als unmoralische Lehranstalt missbraucht haben?“

„Sie unterschlagen dabei aber einfach mal die Kosten.“ „Weil sich das Volk keinen Präsidenten leisten will, der sich seine Frühstücksbrötchen aus Hannover kommen und ganze Nordseeinseln als Kulisse ins Bild schieben lässt?“ „Man kann doch einen Präsidenten, den man als ungeeignet sieht, nicht einfach so vor sich hinwursteln lassen. Sie schmeißen doch die Steuern zum Fenster raus!“ „Es wäre Ihnen also lieber, er bezöge seinen Sold – Ehre ist in dem Fall geschenkt – und man würde alle fünf bis zehn Jahre einen neuen Kandidaten nach Bellevue einschleusen?“ „Das wäre ja noch teurer.“ „Richtig, aber so ist eben Ihre konservative Argumentation: wenn man sparen kann, dann lieber nur kurzfristig, kurzsichtig und ohne Rücksicht auf die Folgen.“ „Es ist doch gar nicht, dass er im Amt belassen wird. Es ist die Tatsache, dass man ihn zu lebenslanger Amtsführung verurteilt hat. Was das kostet!“ „Sonst sind Sie und Ihre Parteifreunde doch auch nie um eine Forderung verlegen, wenn es um Strafverschärfungen geht?“ „Was hat denn das nun mit dem Bundespräsidenten zu tun?“ „Aus Kostengründen wollen Sie diese Figur möglichst schnell von der Bühne verschwinden lassen, aber für jeden anderen Straftäter, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu Unrecht in Haft sieht, fordern Sie nachträglich Sicherungsverwahrung.“ „Natürlich. Dem gesunden Volksempfinden muss doch Rechnung getragen werden.“ „Richtig, besonders im Wahlkampf.“ „Auf jeden Fall steht fest, dass wir unsere Gesellschaft vor gewissen Subjekten schützen müssen.“ „Haben Sie sich einmal überlegt, was eine lebenslängliche Haftstrafe den Steuerzahler kostet?“ „Das muss uns die Moral in diesem Land einfach wert sein.“

„Übrigens sehe ich Ihre Argumentation gar nicht einmal unkritisch.“ „Dass wir mehr Moral brauchen in Deutschland.“ „Ja, auch. Vor allem, dass gewisse Subjekte in dieser Gesellschaft nicht erwünscht sind.“ „Sie wollen den Mann von der politischen Bildfläche verschwinden lassen? Aber er ist doch schon Präsident – das ist bereits das Ende seiner Karriere, danach kann doch nichts mehr kommen.“ „Am Ende überlegt er sich doch noch und steigt wieder in die Wirtschaft ein. Maschmeyer nimmt für seine Drückerkolonnen ja gerne mal kleine Gauner.“ „Weil man die besser im Griff hat?“ „Eher wegen des Stallgeruchs.“ „Und wenn Wulff jetzt bis zum bitteren Ende in Bellevue säße – “ „Wozu? Die Jahre, die er’s noch macht, können wir ihm mit seinem Blondchen auch in seine Klinkerbutze nach Großburgwedel umtopfen. Aus Schloss Bellevue kann man alles Mögliche machen, Tagungszentrum, Hotel oder Museum. Das muss kein Präsident durch seine Anwesenheit abwerten.“ „Und er selbst darf dann als Privatier weitermachen?“ „Wo denken Sie hin? Als Konservativer sollten sie doch wissen, dass es kein Recht auf Faulheit gibt. Er wird seinen Amtsgeschäften weiterhin nachkommen.“ „Das wird eine Qual für alle Beteiligten.“ „So war das auch gedacht. Alle, die jemals ein politisches Amt anstreben, werden sich ab jetzt mit diesem Clown vor Augen an Recht, Gesetz und Anstand halten, um nicht selbst vorgeführt zu werden. Und alle, die bisher den Moralapostel gegeben haben, werden ebenfalls daran erinnert, was einem passieren kann, wenn man seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird.“ „Warum soll das helfen?“ „Haben Sie das nicht immer gewollt als Konservativer? Einen Pranger, um die moralischen Verfehlungen anderer öffentlich anzuklagen?“ „Das haben wir doch nicht so gemeint.“ „Weil es nicht um die eigenen Leute ging? Diesmal glauben wir Ihnen. Auch wenn es wenig Erfolg verspricht, wir setzen auf die abschreckende Wirkung.“