Gesprächstherapie

7 02 2012

„Was machen denn Sie hier?“ Angesichts der Tatsache, dass ich unter einem Frisierumgang in der Maske saß und abgepudert wurde, schien mir die Frage gar nicht einmal so unlogisch. „Ich warte auf den Sechs-Uhr-Zug“, teilte ich Kröllhuber mit, „das ist doch hier der Westbahnhof?“

Allerdings hatte ich wirklich nicht die leiseste Ahnung, wie ich hier hineingeraten war. „Kommen Sie Dienstag gegen drei, wir zeichnen die Sendung nämlich live auf.“ „Wer spricht“, fragte ich in den Hörer, „wo komme ich hin?“ „Sie stehen bei uns in der Kartei“, ließ mich die Dame am anderen Ende wissen. „Sie führen Sie als Experten in unserer Datenbank. Für Regionalküche, Wasserwirtschaft und Beethovens späte Streichquartette. Seien Sie pünktlich, es geht um die Zukunft der Demokratie.“

Mit Hannes Weißbrod, dem pointierten Kritiker von Windkraftanlagen im öffentlichen Raum, stand ich auf dem unbeheizten Flur zwischen Garderobe und Studio B. „Die wollten schon am Vormittag drehen, aber das kommt mir gar nicht in die Tüte!“ Der Atomlobbyist stopfte seine Fäuste tiefer in die Hosentaschen, um sein Zittern zu verbergen. „Und für eine Sendung über österreichische Lyrik – also bitte, da haben sie doch sonst genug Schauspieler und die FDP auf Lager! Wer guckt sich denn diesen Mist an?“ „Lyrik“, fragte ich entgeistert, „mir haben sie etwas von Politik erzählt!“ „Ist doch dasselbe“, winkte Weisbrod ab, „die nehmen sich irgendwas für die Programmzeitschriften – ‚Werden wir alle sterben?‘ – und dann geht’s doch wieder nur um die aktuelle Wahlprognose. Glauben Sie nicht, Sie könnten mir noch was vormachen, ich bin lange genug dabei!“ Eberhard Nölle, der nicht ganz so begabte Sportmoderator, dessen Fußballberichte regelmäßig für ansehnliche Abschaltquoten sorgten, stolperte den Gang entlang und trat umständlich eine Kippe aus. „’tschuldigung, wo ist hier die Zukunft der Demokratie?“ „Wenn Sie sie nicht haben“, knurrte ich, „ich habe sie auch nicht.“

Kröllhuber fand die Tatsache, mit dem Sprecher eines Energiekonzerns und einem verbeamteten Sportjournalisten zusammen Chancen und Risiken moderner Rapmusik zu diskutieren (wer auch immer ihn eingeladen haben musste, hatte einen gut funktionierenden Humor), wenigstens so gefährlich wie den Umstand, mit mir in einem Raum zu sitzen. „Sie arbeiten für Geld“, zischte er mir zu. Ich gab ihm mein Bedauern zum Ausdruck. „Zahlen Sie meine Steuern“, schlug ich ihm vor, „dann wollen wir gerne noch einmal darüber reden.“

„Das Publikum ist upgewarmet“, verkündete die Moderatorin. „Sie brauchen bloß ihrem Briefing zu folgen, aber Sie wissen das ja schon.“ „Action!“ Der Regisseur schnickste mit den Fingern und setzte die ganze Maschinerie in Gang. Auf dem Monitor vor uns sahen wir, wie unsere Gesichter eingeblendet wurden – erst jetzt wurde mir bewusst, dass dieses Foto von mir auf der Weihnachtsfeier nach dem Genuss etlicher Tassen Punsch gemacht worden sein musste – und hörten den Applaus der Studiogäste. „Herr Nölle“, wandte sich die Ankerfrau entschieden an den Sportkollegen, „steile Thesen – kann man das denn so sagen?“ „Ich denke“, dozierte der Angesprochene, „dass wir es hier mit einem Problem zu tun haben, das wir ohne eine wissenschaftliche Perspektive gar nicht werden lösen können. Überhaupt sollten wir uns einmal darüber im Klaren sein, dass wir diese Lage ganz anders sehen müssen als noch vor beispielsweise dreißig, vierzig oder hundert Jahren – allgemein ist der gesellschaftliche Fortschritt…“ „Keinesfalls“, unterbrach ihn Weißbrod. „Sie haben, ich verstehe das natürlich gut, die Perspektive eingenommen, die Ihnen als einem – lassen Sie mich das durchaus einmal so formulieren – spätbürgerlichen…“ „Ganz recht, krähte Kröllhuber. Doch die Moderatorin würgte ihn mit einer knappen Handbewegung ab. „Also, Herr Nölle: wie war noch mal die Frage?“ „Ich äääh…“ Der Produzent guckte gelangweilt aus der Kulisse. „Dasselbe gleich noch mal“, sagte er. „Das schneiden wir dann rein.“ „Wir sollten“, führte Weißbrod aus, „auf verfassungsrechtliche Implikationen achten – dieses unser Land ist doch erheblich mehr als eine…“ „Genau das wollte ich ja immer schon sagen!“ Kröllhuber stemmte sich im Sitz empor. Die Moderatorin guckte zur Seite. „Schneiden wir dann raus“, murmelte der Producer.

„Und Sie denken, man müsste die aktuelle Lage noch viel kritischer sehen?“ Ich fühlte die Augen wie Nadelstiche auf mir; das Blut schoss in meinen Kopf, aber ich bewahrte die Ruhe. „Es wäre ja ein Wunder, wenn irgendjemand zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch etwas Kritik formulieren würde“, schnappte ich zurück. „Offensichtlich ist es längst nicht mehr erwünscht, die aktuelle Lage als eine für Europa durchaus schwierige Entwicklung – und das sage ich hier auch explizit vor dem Hintergrund, dass es dieser Bundesregierung einfach an Fachkompetenz mangelt, das Problem nur halbwegs realistisch einzuschätzen!“ Applaus brandete auf. Weißbrod atmete tief ein, um mir ins Wort zu fallen, doch Kröllhuber war schneller. Zornesrot zappelte er in seinem Sesselchen herum und keifte los, als das Klatschen sich noch nicht ganz gelegt hatte. „Und natürlich haben wir es nicht nötig, dass diese Neger hier alles dürfen, wo sie noch nicht einmal anständig singen können!“ Das Lächeln der Moderatorin wurde unmerklich schmaler. „Wir besprechen die Rolle Afrikas als Rohstofflieferant der EU“, informierte sie den Innenpolitiker. „Aber auch an Sie die Frage: was sollte unsere Diskussion in den nächsten Jahren bestimmen?“ Kröllhuber giftete zu mir herüber. „Es gibt da eine Frage, die im Raume schwebt“, orakelte ich. „Wir sollten viel mehr über die Zukunft der Demokratie sprechen.“


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