Gernulf Olzheimer kommentiert (CXXXIX): Der Jargon der Ökonomie

17 02 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

In grauer Vorzeit, das Hominidengeschlecht kannte weder Kartoffeln noch Keilschrift, da war das ganze Dasein bestimmt von Nggrr, dem großen Gott des Sonnenaufgangs. Vor dem Gang ins Grüne rief man ihn an, um Kräutlein zu finden; beim Zupfen und Verzehr derselben pries man das höhere Wesen teils aus Bitt-, teils aus Dankesgründen, um ihn zu besänftigen und ihm Lobpreis zu singen. Zur Nacht tanzte man ihm vor der Biozentralheizung noch ein Schlaflied, und während die Älteren die Glut für den nächsten Tag hüteten, murmelte der Schamane dem Nggrr ein inniges Stoßgebet, dass er am kommenden Morgen wieder über den Horizont käme. Der Kollege aus dem Pleistozän war nicht etwa intellektuell verplüscht, denn er handelte im Rahmen seiner Erkenntnisfähigkeit. Er wusste von Raumkrümmung und Risikolebensversicherung gar nichts, besaß nur eine rudimentäre Sprache und so gut wie keinen Mannschaftssport, doch ihr Weltbild war ihnen nicht feindlich, weil sie es sich nicht zum Feind machten. Nggrr zürnte und verzieh, und er erhielt das Leben. Der Kapitalismus macht lieber kaputt, in seinem Gefolge kommt der Jargon der Ökonomie.

Zu Kaiser Wilhelms Zeiten hielt das Militär den Bekloppten in seiner rückenmarkgesteuerten Pose, die nicht mehr erforderte als kontraktionsfähige Muskeln und ein funktionsfähiges Kleinhirn, das Einatmen, Wegducken und Ausatmen koordiniert. In den dunklen Phasen der Geschichte kroch der Gnom gerne schnauzbärtigen Flusenlutschern wie dem Bettnässer von Braunau hinterher, um der nutzlosen Existenz irgendeinen höheren Sinn zu verleihen, doch waren sie eben dies: Phasen. Der Ostblock ist geblockt, der Kalte Krieg aufgetaut, die Zivilisation spielenden Restgesellschaften sind wieder auf der Suche, sich das Fiepen aus dem Bedeutungsnirwana mit einem neuen Paradigma zu versauen. Da bietet sich die Wirtschaft an.

Die Ökonomisierung schafft in Jahrzehnten, was Chauvinismus und religiöses Volksbrauchtum in Jahrhunderten aufzubauen vermochten, die in Beton geschnitzte Hausordnung für eine degenerierte Gesellschaft, die hysterisch den eigenen Untergang herbeifeiert. Die Bescheuerten beugen sich dem Diktat einer weltfremden Kaste aus Marketing und Marionetten, die ihnen Sprache und Denken auf Sozialentzug setzen und ihnen Begriffe wie Markt und Märkte, Leistung und Liefern in den Schädel schwiemeln wollen. Nicht, um die geistig nicht gesegneten Bevölkerungsteile auf ihre Seite zu ziehen – sich mit dem gemeinen Steuerzahler zu verbrüdern schiene ihnen abwegig – sondern um ihren Gruppennarzissmus sorgenfreier auszuleben in einer Welt, die von Sichtschutzelementen und Scheuklappen beherrscht wird.

Früher nannte man es die Dritte Welt, wenn ein paar Kuffnucken für Hungerlöhne in Sklavenarbeit Diamanten schürften und Baumwolle zupften. Heute erledigt die Rolle das Inlandsprekariat, Parias aus dem Plattenbau, die an der Lohnuntergrenze vegetieren dürfen, weil der Rechtsstaat Arbeitslager leider auch dann nicht erlaubt, wenn sich die Führungsriege der Fehlinkarnationen dafür stark machte. Kindergartendurchlaufzeit, Abiturjahre und Bologna pro Stunde, Bildung passiert nur noch auf Speed. Der Bescheuerte züchtet Sozialkompott mit den Verkehrseigenschaften eines Elbkahns: viel Ladung, wenig Tiefgang. Wen wundert’s, wenn er selbst daran zweifelt, dass man die Globalisierung unbedingt auch im eigenen Land nachturnen müsse. Der Untertan beugt sich dem Diktat und lernt ökonomisch, also falsch, flach und wie angestochen auf der Jagd nach einer Rendite, die in zwei Generationen bereits im Eimer ist. Der Untertan vermehrt sich ökonomisch, indem er Kind 1 bis 3 sozialversicherungspfleglich aufpäppelt. Der Untertan arbeitet, spart und konsumiert ökonomisch und verhält sich ganz nach Wunsch der politisch verkleideten Kaste: er spart mehr, als er konsumiert (weil die Banken das Kapital brauchen), und er konsumiert mehr, als zu sparen (weil er damit die Binnenkonjunktur ankurbelt). Irgendwann beißt der Untertan in die dafür vorgesehene Vegetation, und wenn es köstlich war, so war es sozialversicherungspflichtige Arbeit bis exakt zum Renteneintrittsalter.

Der Bescheuerte knobelt noch, ob er überhaupt systemrelevant ist. Er müsste es sein, schließlich verdient er die Steuern, die von Talentdetonationen im Ministersessel fröhlich wieder rausgeschmissen werden, ist es aber nicht, er ist kein Leistungsträger, denn: er arbeitet noch und schafft Wachstum. Leisten tun nur die, die es verpulvern. So wird das kapitalistische System mit Hilfe eines Jargons, der diesmal unter dem Deckmantel mangelnder Würde und Anmut sich in die falsche Sinngebung drückt, zur Staatsräson erhoben. Die Autorität ihrer inneren Logik, und sei sie auch nur mäßig vorgehampelt von Marionetten, wird mit Begriffsfehlgeburten von der neoliberalen Schnitzbank mehr als dürftig verteidigt. Der Markt ist Gott, seine Gebote versteht nur, wer den Code ihrer Verbreitung lesen kann. Hatte Nggrr keine besonders stabile Legitimation, seit dem Moustérien hat sich die Gesellschaft mit Erfolg zurückentwickelt. Denn der Beknackte der Jetztzeit besäße die geistigen Gaben, seine Lage zu begreifen. Theoretisch, wohlbemerkt.