„Entsetzlich!“ Siebels verdrehte die Augen. „In meinem ganzen Leben habe ich nicht so einen Deppen vor der Optik gehabt. Schauen Sie sich an, was der größenwahnsinnige Idiot für einen Lärm veranstaltet. Lächerlich!“ „Sie meinen diesen durchgeknallten Fernsehkoch?“ Der TV-Macher winkte ab. „Ich meine Steinmeier.“
Karl Korinth zerfledderte gerade einen Stapel Wahlprogramme. „Das ist ja gar nichts“, nörgelte der Gastrodarsteller, „das ist ja noch weniger – wer soll denn davon satt werden? Das ist doch wie aus der Dose aufgewärmt!“ Die Beleuchter hatten ihre Mühe, den wild gestikulierenden Mann vor der massigen Gestalt des ehemaligen Vizekanzlers noch im Bild zu halten. Der Tontechniker zischte den Mann am Mikrofongalgen an. „Nicht schwanken“, befahl er. „Und links bleiben, immer links!“ Siebels sah mich an. „Als ob ihn das jemals gekümmert hätte“, sagte er sarkastisch. Unterdessen hatte sich der Ex-Außenminister in Pose geworfen. Er ignorierte seinen Coach ganz offensichtlich. „Es hat sich bereits in der Vergangenheit vieles verändert“, schwafelte er. „Und wir gehen fest davon aus, dass die Zukunft nicht nur einfache Dinge mit sich bringt, sondern vielleicht auch Überraschungen, von denen wir heute noch nichts wissen.“ Dem Mann am Galgen wurden die Arme sichtlich schwer. „Aber ich sage mir, warten wir mal ab, was sich da tut.“ „Schön, dass er es sich selbst sagt“, höhnte Siebels, „er ist ja auch der einzige, der ihm zuhört.“
Der Küchenchef trommelte mit den Fingern auf die Stuhllehne. „Haben Sie die Sendung eigentlich mal gesehen?“ Siebels nippte an seinem Becher; angewidert stellte er ihn zu Boden. „Sie meinen Korinths Kaschemmen? Ich schaue mir das nicht mehr an. Es ist ja immer dasselbe.“ Ich roch an dem Inhalt. „Was ist denn das hier? Haben die Brühwürfel mit Limonade aufgegossen? Oder hat das eben gerade schon mal jemand getrunken?“ Siebels rümpfte die Nase. „Alkoholfreies Bier, körperwarm. Damit Sie nicht vergessen, dass wir hier bei der SPD sind.“
„Das sind doch alles Ausflüchte!“ Korinth zerpflückte die Argumente des Sozialdemokraten mit detailverliebter Gründlichkeit. „Sie haben ja gar nichts gegen Merkel auf der Speisekarte – so geht das doch gar nicht! So führt man doch heute keine erfolgreiche Partei!“ „Schnitt!“ Der Aufnahmeleiter winkte dazwischen, Siebels fuchtelte mit beiden Händen die Beleuchtung heran, und Steinmeier verschwand wortlos in der Maske. „Halbtotale mit Fahrt auf Karl, die Erste!“ „Ton!“ „Läuft!“ Der Koch hatte inzwischen die Krawatte zurechtgerückt und blickte plötzlich ganz entrüstet in die Kamera. Er sprach unmittelbar das Zuschauervolk an. „Wie wir sehen, ist der Kanzlerkandidat nicht bereit für einen Lagerwahlkampf – diese Strategie ist gar keine, sie wird nicht aufgehen, wir werden wieder eine Koalition von SPD und Union bekommen, auch wenn das jetzt noch von beiden heftig bestritten wird.“ „Was erzählt er da eigentlich“, sagte ich gelangweilt. „Jeder weiß es, weil es bisher um nichts anderes ging.“ Siebels nickte abwesend. „Richtig, aber es muss noch einmal wiederholt und zusammengefasst werden, und dann wird die Wiederholung zusammengefasst und dann die Zusammenfassung wiederholt. Die Zuschauer sind ja nicht nur dumm, sie müssen irgendwann auch mal an den Kühlschrank.“
In voller Größe hatte sich Frank-Walter mitsamt einer neuen Schicht Puder ins Scheinwerferlicht begeben. „So geht es täglich in diesem Kabinett zu“, schnarrte er in die Kamera, „und die Chefin dieses Kabinetts heißt Angela Merkel. Deshalb werden wir sie nicht verschonen können.“ Wie zufällig stand gerade in diesem Augenblick Karl Korinth hinter ihm, um ihm einen seiner weisen Ratschläge zu geben. „Machen Sie am besten das, was Sie für richtig halten.“ Er blähte im Brustton seiner Überzeugung die Nüstern auf. „Sie müssen jetzt auf sich selbst hören. Und natürlich ist das eine große Chance für Sie, wenn Sie erkennen, was sich mit diesen Veränderungen…“ Siebels stöhnte auf. „Ich hätte es mir denken können. Sie sehen sich zu ähnlich.“ Korinth monierte unterdessen die Szenenfolge. „Wir brauchen da noch eine richtige Katastrophe“, lamentierte er. „Die können wir dann ganz am Anfang reinschneiden, sehr gerne als Ausgangssituation – haben Sie die Nahles gerade nicht hier?“ Steinmeier schüttelte den Kopf. Der Aufnahmeleiter versuchte sich vorsichtig mit einem improvisierten Besuch bei Gabriel, doch der Topfgucker protestierte heftig. „Das können Sie vergessen, ab da wird’s unrealistisch. Immerhin kommen am Ende doch Szenen, in denen der Laden nach einer Stunde Arbeit wieder läuft.“
Der Beleuchter knipste die Lampen aus, der Tontechniker schraubte bereits die Mikrofone ab. Es war noch immer dieselbe SPD, von Steinmeier weit und breit keine Spur, während das Personal unmotiviert vor sich hinarbeitete. Mich überkamen doch leise Zweifel an dieser Kulisse. „Und das glauben die Zuschauer?“ „Die Zerlegung“, belehrte mich Siebels, „ist ja in Wahrheit gar nicht so sehr eine Frage der medialen Aufarbeitung. Die Politiker beschädigen sich viel effektiver selbst, wenn man nur die Kamera draufhält und abwartet, was sie von sich geben.“ Er schnüffelt noch einmal argwöhnisch an seinem Becher, bevor er ihn mit einem plötzlichen Schwung in den Papierkorb schleuderte. „Was übrigens auch auf andere zutrifft. Übrigens, haben Sie morgen schon etwas vor? Nachmittags erledigt Korinth die FDP.“
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