In fünf Zeilen um die Welt. Limericks (LXXXV)

31 03 2012

Gustavo, Frisör in Ovalle,
versprach, dass der Schnitt ihr gefalle.
Die Dame, die hatte
nichts mehr – nur noch Platte.
Da saß er ganz schön in der Falle.

Ángel in Tonacatepeque
erfand ständig neue Gebäcke,
doch keine Erfindung
war wie die Verbindung
aus Windbeutel, Hörnchen und Schnecke.

Die Hunde von Karl in Kapellen
begannen schon morgens zu bellen.
Man hörte die Hunde
bis zur Abendstunde,
sie rührten sich ja nur im Hellen.

Monpoint schritt schon in Marmelade
zum Zuber. Doch statt seinem Bade
musst er dreißig Treppen
das Wasser raufschleppen.
Die Feuerwehr kennt keine Gnade.

Said liest in Gonbad-e Qabus
bei Büchern als erstes den Schluss,
denn nur, was gut endet
und Frohsinn ihm spendet,
das liest er auch ohne Verdruss.

Als Heiki, ein Dieb in Kandile,
den Zoo bestahl, raubte er viele,
ja tausende Eichen.
Man sieht ihn erbleichen
vor Schreck – tausende Krokodile…

Die Schmieds luden ein, um in Ranten
zu feiern mit allen Verwandten.
Die kamen in Strömen
mit Basen und Öhmen,
von denen sie kaum einen kannten.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXLIV): Autozubehör

30 03 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das Leben in der Savanne ist öde geworden. Die gefährlichen Landraubtiere sind ausgestorben, drücken sich im Zoo herum oder haben sich dank Plattentektonik auf andere Kontinente verdrückt. Flächenbrand gibt’s nur noch, wenn der Russe Stress hat mit seinen Nachbarvölkern, die Sintflut sieht in den Breitengraden der Okertalsperre aus wie ein Wasserrohrbruch für zwei Erwachsene mit Kind und Hund. Nichts kickt, nichts gibt dem Hominiden das sichere Bewusstsein, dass jeder Tag der letzte sein könnte. Lustlos hockt er in seiner Werkstatt oder im ehelichen Gemach, jubelt sich Kräuterschnaps und Actionfilme rein und weiß genau: Lokomotivführer wird er in dieser Episode auf Terra sicher nicht mehr. Adios, schönes Leben. Minimal tröstet ihn die alte Mühle auf dem Hof, jene rostfarbene 69-PS-Schüssel mit Schrägheck und identifizierbarer Stoßstange, die Gefährtin der Stunden auf dem Weg zum Getränkefachhandel. Da fällt es ihm wie Schuppen von den Augen, als der Beknackte den Briefkasten öffnet und mit zitternder Hand die Erfüllung findet in einem Katalog, der seine tiefsten Gefühle anspricht. So fühlt er beim Autozubehör.

Es zerfällt in drei Kategorien: erstens der technisch überflüssige Schnickschnack, zweitens das ästhetisch Fragwürdige, drittens die pathologischen Zustände in materialisierter Form. Zu erster Kategorie lassen sich Dreh- und Flieh- und sonstige Kraftmesser zählen, Bordcomputer und Abstandswarner, die dem Cockpit der Karre in Sekundenschnelle die Unübersichtlichkeit eines Verkehrsflugzeugs verleihen. Im Gewitter einer auf Hochtouren blinkenden Armaturenlandschaft hockt der Lenker wie ein Affe im Versuchslabor und stellt sich tapfer der Herausforderung, durch die trübe Frontscheibe die Ampel zu erkennen und vom Photonengewirr der Fahrgastzelle trennscharf zu unterscheiden. Leichte Übergänge zur zweiten Form bietet jener suchtartig auf die Karosse gepappte Blech- und Plastemüll, der den Auftrieb der Kiste so minimal verhindert, dass die frontale Kollision mit einer Stubenfliege eine größere Ablenkung der Flugbahn bedeutete. Die tumorartig aus dem Kfz-Umriss ragende Beulenpest findet ihr Maximum in der monströsen Frontschürze, die bei mehr als millimetergroßer Bodenverwerfung hart aufsetzt und mit ihrem weltraumgetesteten Material jede betonierte Zufahrt bei lässiger Berührung in eine meterlange Risswunde verwandelt. Knapp in die dritte Stufe ragt schon das Innenraumdekor, das dem Automobil das Gepräge eines psychedelischen Traums verleiht, verschwiemelt in drogeninduzierte Blödheit. Alles feiert hier sein Dasein, was der Ästhetikbeauftragte einst auf den Scheiterhaufen hatte karren wollen.

Hier liegt das Kerngebiet des Zubehörhandels, die Attacke auf die Zielgruppe der automobilen Hirnkirmes, Vielfalt, die auf Vortäuschung zielt, ein Trompe-l’œil jenseits von Sitten und Geschmack. Jeder, der einmal eine Kleingartenanlage an einem Samstagnachmittag betreten hat, kennt mindestens einen völlig versaubeutelten Ford Fiesta mit einem Doppelzentner goldfarbigem Kunststoffimitat, Vollverspoilerung, die dem Objekt die Straßenlage eines Kampfpanzers verleiht, sowie visuellen Karzinogenen in Glitzerlack, Rallyestreifen für die Zone 30 und gestaltpsychologisch als Adaptionen des Röhrender-Hirsch-Phänotyps aufgepappte Fantasy-Miezen mit feuerspuckenden Echsen. Wer sich mit diesem Kruscht als schmerzfreier Vollhonk outet, der braucht sich nicht über die Distanz der Nachbarn mit Schulabschluss zu wundern. Die Fronten klären sich manchmal schnell.

Schaltknauf im Patronendesign, Fensterkurbeln aus skelettiertem Alu und Sportfelgen im Formel-Eins-Look zeigen dem Gender-Mainstreaming einfach mal elegant den Mittelfinger. Der Mann als Spielkind, unvernünftig, das Subjektive mit dem Sinnvollen verwechselnd, hier lebt der maskuline Depp noch fröhlich seine chromosomal bedingte Doofheit aus. Während die Frau Zeugs sammelt, der den Hausstaub aus der Umgebungsluft filtert, Tiefgeschosse mit Schuhregalen füllt oder Kosmetika aus einer Handtasche in die andere schottert, frönt der Bekloppte seiner Spoilersucht, pimpt seine Nuckelpinne mit Pedalblenden, Wackeldackel und Innenspiegelgebamsel und hofft, dass die Vorsehung ihn und seinen Duftbaum synchron in die Grube fahren lässt. Gründe dafür gäbe es genug.

Das Motiv für die verspachtelten Kraftwagen ist die chronisch dicke Hose, das im Leerlauf balzende Männchen scheut keine Mühen – während der Bescheuerte seine schwere Impotenzneurose durch den Erwerb eines Ferrini, Lamborghati oder Maserari kompensieren muss, nimmt der im Quadrat beknackte Depp den Umweg und imitiert die gemächtsfixierte Störung durch Nachturnen der Hirnausfallsymptomatik. Die Knalltüte ist damit am Boden angekommen, wo es Frontzähne kostet. Und das alles nur auf der Suche nach ein bisschen Seelenheil, das die Individualität eines gefährlichen Lebensentwurfs verschaffen könnte. Wir können von Glück sagen, dass die Teilzeitfetischisten der Vierradsorte bekennende Weicheier sind, die nie im Leben ihre elend mit Flitter gefönten Flitzer dem Stress eines schmackigen Überholrennens aussetzen würden – die Ventilkappen mit EK-II-Deckel könnten dran glauben müssen. Und hätten sie den Schneid für eine Runde Burnout auf dem Standstreifen, sie müssten sich nicht den Pkw mit einem Festmeter Schnickschnack zuschütten. Denn der echte Bolidenpilot weiß besser als die Riege der Fußmattenföner: jedes Gramm zählt. Wozu also die beknackte Armaturenbrettvase? Wenn das Karibu sich missgelaunt auf die Motorhaube lehnt, kann man immer noch nach Grünpflanzen suchen. Bis dahin bleibt das aufgemotzte Gefährt nichts als ein bewegliches Hindernis. Wir wissen, was zu tun ist.





Für die Tonne

29 03 2012

„Ist das alternativlos oder kann das weg? Ich frage jetzt nicht explizit für Schäuble, aber das mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum für Politiker – meinen Sie nicht, der Alte hat seins locker überrollt?

Na, Sie wissen doch genau, wie solche Gesetze entstehen. Die Vorlage nicht ordentlich gelesen, der Referentenentwurf war falsch zusammengeheftet, es musste mit der Verordnung zum Aufblasen von roten Luftballons noch rechtzeitig vor dem Ende der Karnevalssaison durch den Bundestag gejagt werden – und dann stimmen alle dafür und keiner will’s gewesen sein. Das fällt dann erst auf, wenn im Ministerium die Durchführungsbestimmungen erlassen werden.

Ich meine, es wird viel zu viel weggeschmissen, was man eigentlich noch hätte brauchen können. Kraft zum Beispiel. Nicht das Ketchup. Die Kraft. Das hätte man ja noch nehmen können. Aber nein, vorzeitig weg. Was das kostet! Als ob wir nicht schon genug Schulden hätten! Meine Herren, das ist doch Verschwendung!

Oder Schäuble. Der ist ja wirklich nicht mehr zu gebrauchen. Das liegt aber nicht am Verschleiß, da hat Brüderle ja inzwischen mehr abgekriegt, und wenn Sie sich den Schmidt angucken – mein lieber Mann, der ist ja die Konservendose unter den Politikern! Unkaputtbar, den können Sie für die nächsten drei Generationen einlagern. Räucherware halt. Aber Schäuble? Gucken Sie sich den Mann doch mal genau an. Der eiert. Der franst auch schon aus. Und ob Sie für den noch Ersatzteile kriegen? Ich weiß ja nicht.

Es ist ja eigentlich nur für die Wirtschaft, dass wir das immer schon vorzeitig wegwerfen. Koch, Schröder, Fischer, und Sie können mich schlagen, bei Wulff werden wir uns noch umgucken, wie schnell das geht. Kaum haben wir den ganzen Kehricht aus dem politischen Betrieb aussortiert, wird das in der Wirtschaft wieder hochgespült. Ein biologischer Kreislauf, nicht wahr? Die ganze Scheiße wird aufs Feld gekippt, damit die Ernte besser wird.

Aber wie gesagt, die Obsoleszenz. Kennen Sie? Das ist das mit dem eingeplanten Verschleiß. Wenn Sie wissen: eigentlich funktioniert’s, aber kaum ist die Garantiezeit herum, ist das Ding im Eimer. Und reparieren können Sie’s nicht, oder es wird so teuer wie ein halbes Dutzend neue. Westerwelle, der ist ja jetzt durch die neue Produktgeneration ersetzt worden. Klar, Sie können den immer noch nehmen. Sie können sich auch ein Telefon mit Wählscheibe in den Flur hängen. Ist ja ein freies Land hier.

Nein, der Rösler ist davon nicht betroffen. Das ist Neuschrott. Da gilt das Produkthaftungsgesetz.

Aber dann die Parteipolitik. Sie, das ist aber ein Tanz! Die haben in der CSU gerade Ärger, weil sie den Seehofer nicht loswerden, und dann hat ausgerechnet der vorgeschlagen, dass sie zuerst mal den Stoiber aus dem Verkehr ziehen. Keiner wusste, was Sache ist, und wen fragen die? Richtig, die Aigner. Da es sich um Verbraucherschutz handelt, hat sie natürlich nicht die geringste Ahnung, und schlägt als Kompromiss vor, dass sie das tun, was im Gesetz drinsteht. Genial, oder? Finde ich auch. Jetzt kommt der Stoiber und sagt, das gilt nicht, sein Mindesthaltbarkeitsdatum sei freilich längst überschritten, der Beweis, er sitzt ja bei der EU, aber das heißt ja nichts, er sei auch hinterher noch ohne größere Gefahr zu verwenden. Ich meine, das gilt vielleicht für Bayern, aber für den Rest von Deutschland? Wir hatten doch gerade erst wieder so einen Gammelfleischskandal?

Oder hier, die SPD – der Gabriel und der Steinbrück wollen den Steinmeier weghaben, weil der schon benutzt ist. Der Steinbrück und der Steinmeier wollen den Gabriel loskriegen, der muss ja langsam ranzig werden bei dem Fettgehalt in der Trockenmasse. Der Gabriel und der Steinmeier wollen den Steinbrück am liebsten in die Tonne treten. Weil der schon zu riechen anfängt. Und alle zusammen hätten sie die Nahles gerne im Müll. Kann man den Laden nicht einfach komplett auf die Deponie karren? Und jetzt sagen Sie nicht, dass die einer aus dem Abfall rausziehen wird!

Denn das ist ja das nächste Problem. Also nicht wegen Ökologie und so. Oder weil diese Aktivisten da alles wieder aus dem Dreck rausklauben wollen, weil sie das noch verwenden können. Containern, wissen Sie? Die kommen bei Nacht und Nebel und schmeißen Ihnen die Tonnen um, und überall liegt der Mist herum, und dann ist es ja auch strafbar, und den ganzen Kram will doch auch keiner mehr haben, und ich frage Sie, ist das nicht furchtbar unappetitlich, dieses verfaulte Zeug? Kann man nicht einfach den Deckel über der FDP schließen?

Sicher, da gibt es auch jede Menge Kriminalität. Schlupflöcher, groß wie Scheunentore. Da wurde das Mindesthaltbarkeitsdatum mal vergessen, mal wurde es bloß so halb aufgedruckt, mal war’s auch verschwommen, aber nichts Genaues weiß man nicht. Oder warum haben wir diesen Friedrich immer noch im Innenministerium sitzen?

Es ist ja auch zu dumm, da bieten die Läden teilweise die abgelaufenen Sachen zum halben Preis an – also was denn nun? Ist die von der Leyen schon überm Verfallsdatum, oder ist das wieder nur Etikettenschwindel? Und wenn ich bei der das große Kotzen kriege, bin ich selbst schuld, weil sie sich zur Vorsicht ein Stoppschild angenagelt hat? Man weiß es nicht, man steckt nicht drin! Aber die größte Schwierigkeit – und das wissen Sie so gut wie ich, wir müssen das doch am Ende bezahlen – eine Frage bleibt: wie werden die alle entsorgt!?“





Im Panikraum

28 03 2012

„Wir werden alle sterben!“ Der Mann raufte sich die Haare. Verzweifelt kletterte er über die Stühle, hämmerte gegen die Tür und brüllte dabei aus Leibeskräften. „Wir werden alle sterben!“ „Gut“, nickte Grüttner. „Sehr gut. Ganz hervorragend. Noch zwei bis drei Tage, dann haben wir ihn auf die Grundstudienstufe vorbereitet.“ Er setzte ein Häkchen auf das Formular. „Wir machen wirklich Fortschritte. Dieser Panikraum ist eine ungemeine Bereicherung für die Gesellschaft.“

Grüttners Lernzentrum lag erwartungsgemäß in einem Untergeschoss; kein Tageslicht drang in die langen Flure, von denen die Seminar- und Schlafräume abzweigten. „Kommen Sie“, lockte er, „gerade hat der Grundkurs in politischer Bildung begonnen. Wir bedienen uns nur der innovativsten Unterrichtsmethoden.“ Doktor Schlehdorn stand mit dem Zeigestock im abgedunkelten Raum und zeigte auf die Lichtbilder. „Der Neger“, zischte er. Zwanzig Schüler schluchzten. „Der Neger, das ist ein Neger!“ Zwanzig Schüler wimmerten und schlugen sich die Hände vors Gesicht, um einen durchaus bekannten Landsmann aus dem Fernsehen nicht sehen zu müssen. „Sehen Sie“, informierte mich Grüttner, „wir wecken eine Verhaltensweise, indem wir den Eleven ein Objekt der Furcht zeigen. Damit haben wir ihnen auch schon genug an die Hand gegeben – zusammen mit unserer Erziehung zur Vorsicht werden sie schon wissen, wie man sich richtig benimmt.“ Zwanzig Schüler blickten kleinmütig auf das Bild des Fußballspielers. „Und Sie haben sich genau überlegt, was Sie damit anstellen? Sie sind sich im Klaren darüber, dass Sie eine ganze Generation zum Rassismus erziehen?“ Er wiegelte ab. „Das Verwaltungsgericht Koblenz hat gerade festgestellt, dass man Menschen mit einer anderen Hautfarbe gezielt durchsuchen oder in der Öffentlichkeit verächtlich machen darf, weil sie eine andere Hautfarbe haben. Man darf sie nur nicht als ‚ausländisch‘ bezeichnen. Es könnten ja auch echte Deutsche sein.“

Der Prospekt hatte das Schulungszentrum noch als eine Insel der Seligkeit gepriesen. „Natürlich sind auch wir ein Kind des Zeitgeistes“, bekannte Grüttner. „Aber sehen Sie es so: wir sorgen dafür, dass Ihre Abendnachrichten einigermaßen Kontur haben. Keine verwaschenen Mutmaßungen, wir haben eine klare Kante.“ Ich wusste nicht genau, worauf er hinaus wollte. „Der verängstigte Bürger dient Ihnen als Basis der Durchsetzungsfähigkeit?“ Grüttner schob mich zu Tür 34B.

Im Freigangzimmer saß eine nervöse junge Dame im grauen Kostüm. „Seien Sie vorsichtig“, warnte mich Grüttner, „sie hat ein Aufbaustudium absolviert und ist überreizt wie ein Rennpferd. Ein falsches Wort, und…“ Ich räusperte mich und wollte ihr schon die Hand entgegenstrecken, doch sie sprang mit einem markerschütternden Schrei auf. „Er hat eine Infektion“, kreischte sie, „wir sind alle in Lebensgefahr! Es gibt kein Heilmittel, weil wir nicht wissen, was er hat! Es ist alles so schrecklich, es ist eine Katastrophe! Tun Sie doch etwas!“ Grüttner schmunzelte, während ich sie entgeistert ansah. „Was sollen wir denn tun? Wenn Sie schon nicht wissen, worum es sich handelt, dann wissen Sie wenigstens, dass Sie sich gegen ein bisschen trockene Raumluft nicht schützen können? Und dann wissen Sie auch, dass es dagegen keine Abhilfe gibt?“ Sie zögerte keine Sekunde. „Aber Sie wissen doch gar nicht ganz genau, ob Sie nicht nicht nicht eine lebensgefährliche Infektion haben – dann können wir doch auch gar nicht sagen, ob Sie nicht…“ Ich winkte ab. Grüttner war zufrieden. „Prägen Sie sich das Gesicht ein“, riet er mir. „Sie hat die besten Voraussetzungen, um Staatssekretärin im Bundesinnenministerium zu werden.“

In einem kleinen Seitenverschlag stand eine Köchin und rührte Dosengemüse in eine wässrige Suppe. „Unsere Kantine“, erklärte Grüttner missmutig. „Aber wir könnten uns den Aufwand eigentlich auch sparen.“ „Warum“, fragte ich, „ist die Verpflegung bei Ihnen denn so schlecht?“ Er zog die Stirn in Falten. „Das nun gerade nicht, es ist eben wie im Finanzamt oder im Justizvollzug. Aber keiner will es.“ „Zu wenig Gewürze?“ Grüttner seufzte. „Angst vor Vergiftungen.“

Der Prüfungsvorbereitungskurs ließ gerade die Welt untergehen; der ominöse Maya-Kalender war auch hier anwesend. „Sie haben das Ding natürlich übernommen“, argwöhnte ich, „oder sollte da mehr dahinterstecken?“ Er lächelte maliziös. „Was wären wir ohne die Öffentlichkeit – und was wäre sie ohne uns?“ „Sie sehen es ja gerade“, wandte ich ein, „diese Leute sind doch nur noch geschaffen, ihre Informationen im Boulevard zu lesen.“ Grüttner grinste. „Sie werden dazu geschaffen, genau diese Informationen in den Boulevard zu schreiben. Ohne eine gewisse Neigung geht es nicht. Stellen Sie sich einmal vor, diese Leute müssten als Regierungs- oder Verlagsangestellte in einer Krisensituation plötzlich selbsttätig an zu denken fangen – furchtbar! Könnten Sie das etwa verantworten? Diese Leute müssen in ein paar Sekunden ein richtig gutes Schreckensszenario aus dem Ärmel schütteln können. Sonst würde ihnen keiner glauben. Skepsis ist kein guter Ratgeber. Angst – das könnte es sein.“

Um uns herum dröhnte gedämpftes Geschrei, die Nebenwirkungen des Unterrichts. Es war erdrückend. Schließlich zog ich einen Kurszettel aus der Tasche. „Wann“, fragte ich Grüttner herausfordernd, „hatte ich Ihnen den letzten Goldpreis gezeigt?“





Das Weg ist das Ziel

27 03 2012

„… wolle sich die FDP nach dem 1,2-Prozent-Ergebnis nun sehr viel deutlicher absetzen. Merkel sagte, eine Absatzbewegung des Koalitionspartners sei ihr vollkommen…“

„… dementierte Rösler, dass die FDP bereits ihre Auflösung beschlossen habe. Vielmehr werde man nach den zu erwartenden Erdrutschsiegen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gründlich überlegen, ob man die Union überhaupt an der Regierung beteiligen…“

„… informierte Döring die Presse, dies trete nach seiner Kenntnis sofort, unverzüglich…“

„… wurde nicht bestätigt. Maschmeyer habe kein Interesse bekundet, er wolle die Konkursmasse weder geschenkt noch…“

„… reagierte der DAX sofort empfindlich auf die Pleite der FDP. Der Ausbau der Gewinne sei eine Folge einer Euphorie über die anhaltende…“

„… nicht nur wegen der Gage beworben. Jürgen Fliege berate die FDP vor allem, um deren Nahtod-Erlebnisse aufarbeiten zu helfen. Geplant seien eine Fliege-Essenz mit hochverdünnten Freidemokraten-Wirkstoffen sowie die…“

„… die kommenden Landtagswahlkämpfe durch Mitwirkung in dem Animationsfilm Liebling, ich habe die Partei geschrumpft zu…“

„… wiegelte Brüderle ab und hob hervor, dass es sich bei der jetzigen Schrumpfung um eine lange geplante Konzentration auf die Kernzielgruppe handele. Nicht diskutiert wurde, ob es überhaupt derart viele Hotelbesitzer…“

„… dass das Weiterbildungsangebot in der Volkshochschule Berlin Mitte für die Liberalen zur Pflicht würde. Die Kurse Hartz-IV-Antrag ausfüllen und Erwerbsarbeit für Dummies seien besonders beliebt bei den…“

„… aus dem Kanzleramt verlautete, Merkel habe selbstverständlich weiterhin großen Respekt vor den Überresten der Koalitionspartner. Sie sei den Freidemokraten natürlich gewogen und werde eine Einladung zur Feier ihrer Abwicklung mit dem größten Vergnügen…“

„… beklagte Westerwelle, dass auf seine Vorschläge, es mit den Themen Steuersenkung, Wachstum oder Mittelschicht nochmals in die Nähe der absoluten Mehrheit zu schaffen, nicht mehr…“

„… rief Rösler zur Gelassenheit auf. Ob eine Zuwiderhandlung bereits als Störung der Totenruhe gewertet würde, entzieht sich der…“

„… wolle Niebel einen erbitterten Kampf gegen die demokratische CDU und ihre sozialistischen Terroranschläge auf die Freiheit führen. Er wolle die gemeinsame Strategie zur Schlacht gegen den Endgegner vertrauensvoll mit der Kanzlerin…“

„… hieß es aus dem Thomas-Dehler-Haus, die FDP befinde sich in demselben Zustand wie die Bundesregierung. Sie sei zwar klinisch tot, könne aber durch festen Glauben an das irgendwann einsetzende Wachstum ein großes…“

„… da Merkel beschied, es gebe aus ihrer Sicht keinerlei Vergleich zwischen der Situation im Saarland und der in Berlin. CDU-Generalsekretär Gröhe fügte an, es bestehe trotzdem Hoffnung, die Liberalen in der Hauptstadt genauso schnell loszuwerden wie im kleinsten Bundesland der…“

„… ausdrücklich vor einem vorschnellen Bruch der Koalition warnte. Vorrang habe jetzt vor allem die Klärung der Ansprüche auf Übergangsgelder, Ruhegehälter und die…“

„… das Verschwinden der Liberalen auch vom Einzelhandel begrüßt wurde. Man schätze jedes Zeichen, dass die Bundesrepublik nach den Jahren der Krise wieder zur Normalität…“

„… sich Bahr weigerte, eine Debatte über die Neuregelung der Organspende zu führen. Die FDP sei weder hirntot noch…“

„… wolle Lindner, der zuvor aus dem Amt des Generalsekretärs geflohen war, jetzt verlässlich als Kandidat für die NRW-Wahl aushalten, bis er danach wieder in…“

„… dass auch der Zeitarbeitsvertrag nicht mehr zustande komme, den Döring geschlossen habe. Der FDP fehle es an der Einstellungsvoraussetzung als Mehrheitsbeschaffer, so dass die Finanzierung des kommenden Wahlkampfs alles andere als…“

„… sich ein FDP-Verbotsverfahren wegen geistiger Beschränktheit erübrige, da die…“

„… kein Problem, dass die Parteizentrale gekündigt worden sei. Westerwelle besitze aus seiner Zeit als Flugbegleiter noch zahlreiche Kontakte zu ausländischen Briefkastenfirmen, wodurch eine Zustellung der…“

„… die Entwicklung der Rahmenbedingungen einer erfolgreichen Volkswirtschaft nicht planmäßig gelaufen. Trotz des weniger Kündigungsschutz, weniger Arbeitnehmerrechten und einer höheren Besteuerung der Geringverdiener habe sich die Wirklichkeit nur an die sozialistische Realität gehalten, wodurch der Markt vollkommen…“

„… wolle Roland Emmerich die Geschichte der FDP nur dann verfilmen, wenn sich die Partei im Gegenzug verpflichte, in der Schlusssequenz am Originalschauplatz in die Luft zu gehen. Abgesehen von einer minimalen Implosion habe die Partei jedoch nichts zu…“





Von Rechts wegen

26 03 2012

„Moment mal – hatte ich das richtig verstanden? Sie sind für die NPD?“ „Keinesfalls. Ich halte Nazis für geistig zurückgebliebene Arschlöcher und würde sie liebend gerne zum Mond schießen.“ „Aber Sie sind doch für die NPD?“ „Ich bin nicht für die NPD. Ich bin nur dagegen, sie zu verbieten.“

„Sie leugnen also, dass die NPD gefährlich ist?“ „Das war also der Grund, warum Verfassungsschutz und Ermittlungsbehörden zwanzig Jahre lang bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Gefahr heruntergespielt haben?“ „Das konnten wir doch ohne Vorratsdatenspeicherung überhaupt nicht wissen.“ „Und in der zentralen Neonazi-Datei standen die V-Leute auch noch nicht drin.“ „Das ist ja gar keine Partei, das ist bloß eine kriminelle Vereinigung!“ „Dann sollte sich ein Verbot mit den Mitteln des Strafrechts bewerkstelligen lassen.“ „Sie verkennen die Gefahr – diese Partei ist so gefährlich, weil sie eine Partei ist.“ „Weil sich diese Braunalgen in einem weltanschaulichen Verein nie so gut organisieren könnten?“ „Zum Beispiel.“ „Dann würde ich zur Vorsicht gleich mal den ADAC mit verbieten. Sicher ist sicher.“

„Wir müssen doch etwas gegen Nazis tun!“ „Welchen Vorteil sollte ein NPD-Verbot haben? Glauben Sie, wir hätten schlagartig weniger Nazis im Land?“ „Aber wir hätten keine mehr in den Parlamenten sitzen.“ „Das klingt gut. Sicher werden die Wähler das auch bei der NDP, PDN und der DNP so sehen.“ „Die müsste sich erstmal gründen, so schnell geht das nicht.“ „Dann tritt das Pack halt in Scharen in irgendeine andere Spinnerpartei ein. Oder sie kratzen die Reste der DVU aus dem Grab. Was meinen Sie, wie schnell das geht.“ „Es sind immerhin fast 6000 Mitglieder – die muss man doch unter einen Hut kriegen.“ „Unsinn! Es sind ein paar Funktionäre, die sich den Bettnässer aus Braunau ins Klo pinnen, der Rest sind Mitläufer.“ „Um so besser, was meinen Sie, was die Gründung einer neuen Partei für ein Chaos verursachen würde.“ „Gar keins. Der Parteiapparat wäre innerhalb einiger Wochen wieder handlungsfähig, der Bodensatz käme zum Parteitag gequollen, und bei der nächsten Wahl hätte die Nachfolgegruppe einen wunderbaren Märtyrerbonus.“ „Die würde doch keiner mehr wählen.“ „Warum nicht?“ „Wenn die NPD bisher in den Landesparlamenten nichts gebracht hat, was sollte dann eine Nachfolgepartei vermögen?“ „Wenn die NPD bisher eine politisch zu vernachlässigende Größe war, warum soll man sie dann verbieten wollen?“

„Ich verstehe Sie nicht. Man darf doch den Nazis nicht einfach das Feld überlassen.“ „Was genau stört Sie an den braunen Wirrköpfen?“ „Sie wollen die Demokratie abschaffen.“ „Wenn es danach ginge, könnte man eine ganze Reihe von Unionspolitikern locker in Isolationshaft nehmen.“ „Die wollen das Dritte Reich wieder!“ „Das wäre dann schon das vierte, das dritte hat keine tausend Jahre geschafft.“ „Sehen Sie es nicht als Gefahr, dass in manchen deutschen Landstrichen fast ein Fünftel der Wähler diesen Rattenfänger auf den Leim gehen?“ „Dann sollten wir von Rechts wegen vielleicht besser Wahlen verbieten?“

„Sie können doch gar nicht vorhersagen, was diese Partei noch alles an Straftaten plant.“ „Das können Sie bei anderen Bürgern auch nicht. Nicht mal mit Vorratsdatenspeicherung.“ „Aber uns droht doch der Kontrollverlust!“ „Wenn Sie bei der jetzigen Dichte der V-Leute noch keine Steuerung der Partei erreicht haben, wann denn dann?“ „Soll der Verfassungsschutz die Partei etwa komplett unterwandern?“ „Im Gegenteil. Schalten Sie die V-Leute ab. Danach sinkt der durchschnittliche IQ auf Raumtemperatur.“ „Und was passiert dann mit den ganzen V-Leuten?“ „Das fällt Ihnen früh ein. Wir werden in den sauren Apfel beißen müssen. Das bedeutet Arbeitsplatzverluste.“ „Wir können die Leute doch nicht einfach aus der Partei abziehen – damit würden wir sie alle enttarnen.“ „Abgesehen davon, dass es sicher eine Menge freiwilliger Doppelagenten gibt, wäre es Ihnen lieber, wenn das Bundesverfassungsgericht die Offenlegung aller Klarnamen verlangen würde?“ „Das muss doch zu umgehen sein.“ „Das wird bei den Feinden der freiheitlich demokratischen Grundordnung sicher auf Verständnis stoßen.“

„Was sollen wir denn Ihrer Ansicht nach tun?“ „Gar nichts.“ „Gar nichts?“ „Der Partei den Hahn zudrehen und sie finanziell austrocknen. Sie für die geringste Kleinigkeit vor Gericht zerren und in den Mühlen der Justiz zermürben. Sie gesellschaftlich bekämpfen. Jeden, der sich in die Nähe begibt, zum Knalldeppen erklären wie diese Pausenclowns aus der Parteispitze.“ „Das wird nicht gehen.“ „Weil wir mit 20.000 Dumpfbacken nicht fertig werden? Mit jedem Verbotsantrag und mit jeder Diskussion, dass dieser braune Brei das Land in Angst und Schrecken versetzt, werten wir sie auf. Und es gäbe einen erheblichen Nachteil, wenn man sie verböte.“ „Nämlich?“ „Ihr ganzes Politikmodell wäre zu hinterfragen. Sie könnten nicht mehr ständig nach Strafverschärfung und Überwachung schreien. Sie hätten keine Dämonen mehr im Wandschrank, weil Ihre lebensgefährlichen Linken partout keine Morde begehen wollen.“ „Dazu haben wir aber doch die Terroristen.“ „Wann war der letzte Terroranschlag in Deutschland?“ „Aber…“ „Und die Zwickauer Nazis hätten Sie nicht einmal bekommen, wenn man ihnen Peilsender in den Hintern geschoben hätte.“ „Also können wir so weitermachen wie bisher?“ „Klar.“ „Und es gibt dann keine neue Partei, die Rechtspopulismus besser kann als wir?“ „Nein.“ „Wir müssten nur die NPD tolerieren?“ „Allerdings.“ „Das machen wir so. Perfekt!“ „Dann ist Deutschland das, was es für Sie sein sollte. Ein rechtsfreier Raum.“





Im März

25 03 2012

Es spiegeln Farben sich am übersonnten
und heiterlichten Brunnengrund: Türkis
und Blau und Grün, die sich noch scheiden konnten,
wo leiser Wind das Wasser tanzen ließ.

Inmitten der Fontäne stehn Figuren;
ein Triton trägt die Nymphe, stolz und bloß.
Ihr Schattenwurf verlässt sie ohne Spuren,
beginnt im Flug und sagt sich gänzlich los.

Uns ist die Form, die sich verwandelt, heilig,
da sie unfassbar bleibt im reinen Erz.
In Licht und Jahreslauf vergehen eilig
die Bilder. Jeder Schlag rührt einen Schmerz.





In fünf Zeilen um die Welt. Limericks (LXXXIV)

24 03 2012

Seriche, der sucht in Ncue
zum Anzug die passenden Schuhe
in der ganzen Wohnung.
Sein Weib tat, zur Schonung,
sie einfach in die Tiefkühltruhe.

Als Rubén sich jüngst in El Puente
vom Kompagnon schlussendlich trennte,
hat er’s nur verschlimmert.
Der Laden verkümmert,
weil Rubén jetzt ausschließlich pennte.

Marie füllt in Zwettl an der Rodl
fein Butter hinein in das Model,
so wie sich’s gehörte.
Was doch dabei störte,
war ihr dröhnend lautes Gejodel.

Ferruccio sitzt in Marcianise
samt Tee unter seiner Markise.
Wenn’s hell auch nicht leuchtet,
er wird stark durchfeuchtet:
es weht eine kräftige Brise.

Es spielte Tvrtko in Sesvete
von morgens bis abends Trompete.
Dann war sie verschwunden.
Man fand erst nach Stunden
im Garten den Rest von der Tröte.

Da stand Raúl in Sangolquí
am See. Dort fuhr man Wasserski.
Er wollte seit Tagen
die Schlittschuhe tragen –
vergebens, es schneite dort nie.

Herr Plettacher, der sich in Unken
beim Kirchweihfest kräftig betrunken,
schlief aus in der Scheuer.
Das hat ungeheuer
dem Heuknecht beim Gabeln gestunken.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXLIII): Bio-Wahn

23 03 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Früher – als die Gummistiefel noch aus Holz waren und die Kinder zu Kaisers Geburtstag eine weniger auf die Nase kriegten – war grundsätzlich alles besser. Natürlicher. Gesünder. Die Kartoffeln waren dicker (und es gab noch Kartoffelkäfer), die Hühner konnten noch richtige Eier legen (und zehn Prozent der Bevölkerung konnten sie sich leisten) und die Welt war ganz einfach sauberer, vor allem der Dreck im Schweinestall und die Erde zwischen den Rüben. Damals. Jene ferne Zeit, die wir uns so verzweifelt nicht zurückwünschen, weil mit ihr Pocken, Zichorie und Zwickel wiederkämen. Und doch bräuchten wir sie eigentlich, weil es sonst die Nostalgie nicht gäbe und den unerfüllten Wunsch nach Reinheit, Unverdorbenheit, kurz: alles, was uns der kreative Umgang mit der Realität vorgaukelt. Man muss nicht fürs Wilhelm Zwo auf die Straße gehen, der Bio-Wahn tut’s auch.

Er grassiert, wo immer der Deutsche sich mit verdauungsfähigem Material aus dem Bereich des Organischen befasst. Bio-Ei, Bio-Möhre, Bio-Huhn und ähnliches Gepopel bietet der Handel feil, klar fasslich dank zweier untrüglicher Kennzeichen: einmal schreit das Schild biologisch-dynamisch und auch ansonsten quarkig in die Landschaft, und dann sieht man’s am Preis, der den Distinktionsgewinn der emissionsarmen Erbse eindrucksvoll ins Auge des Betrachters tackert. Wer zur ganzheitlich gedüngten Gurke greift, tut dies nicht zufällig, sondern für die Galerie. Bioware ist bewusstes Genießen. Wenn gleich auch meist nur den Neid der Betrachter an der Kasse.

Längst gerinnt das Biogezumpel zum sozialen Gegenbild, denn was sollte es auch sonst sein? Allein der Blick, was der Brauchtumsterrorismus dem Premium-Kunden in die Einkaufskörbe kippt, zeigt den intellektuell degenerierten Vollhonk in vollem Effekt. Brühwürfel und Boulette sind bio (unter Vernachlässigung anorganischer Komponenten wäre das nicht von der Hand zu weisen, aber woraus sollten sie auch sonst sein, wenn nicht aus Input für die Schleimhäute), Chips und Mineralwasser. Der Stammhirnverfall der Beknackten scheint an Fahrt aufgenommen zu haben, so die geistig nicht gesegneten Günstlinge ihre Barschaft für derlei Sülzwarenfabrikation hergeben. Ist nicht demnächst die Butter auch schon bio, weil sie auf natürlichem Wege ranzig wird?

Geschenkt, es geht ja um den Gesundheits-, um den Lebensaspekt, warum der Hobbyöko lieber die natürliche Milch mit babylonisch sprechendem Dreckrand als den ultrahocherhitzten Kuhsaft kauft. „Du bist“, greint uns die verdeppte Esoteriktrulla aus der Volkshochschule entgegen, „was Du isst!“ Sobald wir den Mitochondrien beigebracht haben, die Eiweiße aus Tütennudeln und Sojaklops zu unterscheiden, holen wir uns den Nobelpreis von der Käsetheke. Sicher haben bis dahin Kohlrabi und Koriander die Kunst- und Naturdüngersorten auf niedermolekularer Ebene am Geschmack erkannt. Denn welcher Schnittsalat würde sich schon von Bescheuerten pflanzen lassen. Beim Schlangestehen um eine Hirnspende geht die wissenschaftliche Grundausstattung gerne zu Blut und Boden, denn wer würde sich schon an Tatsachen halten, wenn er sich sein Weltbild aus Wunschvorstellungen leichter zurechtschwiemeln könnte.

Ob die handverkratzten Äpfel, das manuell eingekotete Freilandei tatsächlich besser sind? Klar, denn im Gegensatz zur Fließbandproduktion konventioneller Vollwertkekse ist die Biotomate natürlich im Beisein der Bezugsperson in feuchter Watte gezüchtet worden, keinesfalls in der Grünzeugmanufaktur, sondern ebenso in halb automatischer, maschinengestützter Fertigung, bis zum Grenzwert der Industrienorm mit Herbiziden eingenebelt, genmanipuliert, aber eben bio, da nur mit natürlichen Schadstoffen belastet. Als ob die Güllephosphatjauche besser für die keuchenden Fließgewässer wären, als ob der Monokultur mit Ökomais die Artenvielfalt an der Krume nicht genauso scheißegal wäre. Aber Hauptsache, der appetitlich verschrumpelte Mangold in frühlingshaftem Braun passt zum Stickoxid-Profil des grün-alternativlosen Geltungsfressers, der in seinem paternalistischen Besserwisserwahn gleich noch die andere Hälfte der Bescheuerten umerzöge, bekäme er Rabattmarken für nachhaltig gammelnde Hass-Avocados.

Der Bio-Wahn inszeniert, wie eine brüllend doofe Soziokaste sich im eigenen Geschwurbel aus Pseudobetroffenheit und elitärem Konsumismus verrennt, immer mit dem hehren Gefühl, die ganze Menschheit gegen ihren Willen durch runzeligen Rucola zu retten. Gäbe es Bundesverdienstkreuze für die stoische Penetranz, mit der sich Vorzeige-Körnerfresser Welkwirsing in die Gemüsekiste kippen, Wasserrüben aus mehr Wasser als Rübe und Reste undefinierter Knollen zum Endverkaufspreis von Feingold, sie würden sich das Zeug gegenseitig in die Schlichtvisage knoten. Keinem fällt auf, dass selbst die Discounter der mittleren Unterklasse längst ihr eigenes Bio-Sortiment haben (Fertigmüsli mit natürlichem Industriezucker, Sellerie mit unbehandelter Schale, Fleischwurst von glücklichen Mastsauen), marketingtechnisch auf Strom- und Fluchtlinienform gefönt, dabei so niederpreisig, dass nur die Nachhut auf Niedrighirnniveau die Provenienz des Brathuhns aus dem Geflügelgulag leugnen könnte. Erst wenn der letzte mit Felsquellwasser aus den Anden gezogene Spargel biologisch-dynamisch per Flieger nach Nordhessen verlastet wurde, werden sie feststellen, dass man so viel Müll gar nicht trennen kann, um den Hirnplüsch auszugleichen, den sie da verzapfen. Aber wir werden uns daran gewöhnen. Solange das Zeug noch nicht als chinesischen Produktpiraterie aufgekippt ist, das seine Bio-Bömmel in Beijing im Hinterhof angepappt kriegt. Oder wenn auch integrierter Blumenkohl nachts im Kühlschrank wieder anheimelnd brummt und leuchtet. Hoffentlich grün.





Schattenspender

22 03 2012

„Murkel, guten Tag, womit kann ich Ihnen – dreißig Millionen? Das tut mir Leid, aber ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Steuerhinterziehung ist nicht mein Gebiet, ich bin nur für Korruption zuständig. Danke, Ihnen auch! Und schöne Grüße an Herrn Doktor Westerwelle!

Das muss aus dem Verbraucherschutzdings von der Aigner kommen, diese Beratungshotline. Die kümmern sich sonst um nichts, aber wenn ein Fernsehmagazin einen kritischen Bericht macht, dass in Deutschland ein Robbenbaby Pickel hat, gründen sie sofort ein Infotelefon für Flossentiere. Und dann gibt es drei Tage lang Interviews, weil die Schattenwirtschaft in Deutschland alles zerstört – so ein Arbeitsloser kann ja ganze Wirtschaftskrisen auslösen, das ahnen Sie gar nicht – und dann schreiben sie wieder etwas über Bayern München.

Murkel, guten Tag, womit darf ich Ihnen helfen? Ja, wir sind die Beratungshotline zur Korruption. Sie haben die Nummer aus der CSU-Broschüre? Hatte ich mir gedacht. Die Landtagswahlen rücken näher, und die FDP hat NRW eh aufgegeben. Doch, Sie sind hier schon richtig. Dies hier ist eine Beratungshotline. Wir geben Ihnen zwar keine legalen Tipps, aber wir wissen, dass die Justiz immer ein Auge zudrückt, wenn Sie nicht zufällig in der falschen Partei sein sollten oder, Gott behüte, in gar keiner. Also als Bürger müssen Sie ja die bürgerlichen Tugenden einhalten können. Treu und Redlichkeit und den ganzen Schrott. Aber als Parteimitglied sind Sie ja nur der Verfassung verpflichtet. Da spielt der Bürger zum Glück keine Rolle mehr. Sie sind vorbestraft? Das hört man gern. Mit einem qualifizierten Abschluss werden Sie in diesem Land nicht so schnell arbeitslos.

Wir brauchen Menschen mit Vorbildfunktion. Sagt die Regierung. Guttenberg und Wulff waren ein Schritt in die richtige Richtung, aber es ist nicht mehr wie früher. Die meisten Menschen sehen nur noch, dass sie abgehängt sind, und entwickeln keine kriminelle Energie mehr. Das Land schafft sich ab. Es ist traurig.

250 Milliarden Euro Schaden für die deutsche Wirtschaft. 250 Milliarden, das ist doch wirklich eine Leistung, die sich wieder lohnen – nein, falsch, die hat sich ja bereits gelohnt. Wenn man bedenkt, was das legal als Steuersenkung bedeuten würde, dann hätte die FDP längst die absolute Mehrheit. Hätte man sich vielleicht früher überlegen müssen. Murkel, womit – nein, wir sind kein Reisebüro. Sie müssen Ihre Hotelbuchungen immer noch selbst vornehmen. Ja, auch in Italien.

Die wirtschaftliche Lage ist ja allgemein an der Misere schuld, ich frage mich nur: warum erzählt uns die Regierung sonst immer vom Aufschwung? Haben wir hier zwei Deutschlands? Deutschländer? Oder wollen die zwanzig Jahre nach der Einheit wieder eine Zwangstrennung? Man fragt ja nur mal.

Es ist eine europäische Katastrophe. Wenn Sie sich mal ansehen, was Siemens in Griechenland für Bestechungsgelder angenommen hat – kein Wunder, dass die sich nicht mehr halten können. Also die Griechen. Am schlimmsten sind ja noch diese ganzen Schattenspender. Die mit den Briefumschlagen und den Aktenkoffern. Das ist doch nicht mehr zeitgemäß. Oder stellen Sie sich mal vor, wir würden für die Abgeordnetem tatsächlich die Nebentätigkeiten verbieten. Oder anrechnen. Wie für Rentner und Arbeitslose. Und dann das Bundeskartellamt dem Wirtschaftsminister aus den schwitzigen Fingern rausziehen und eine Korruptionsbehörde einrichten und dann endlich die Abgeordnetenbestechung strafbar machen. Dann bekämen Sie innerhalb von drei Tagen einen Gutschein auf ein Staatsbegräbnis. Leider sofort einzulösen.

Murkel, guten Tag, womit – das ist nicht meine Baustelle. Für Bundespräsidenten sind wir nicht zuständig, und der ist ja auch gar nicht mehr im Amt. Wenn Sie sich bitte an die Parteien wenden würden, die hatten die Güte, sich über das Bundespräsidialamt hinwegzusetzen.

Man muss das doch auch völlig neu bewerten. Ich meine, wenn man diese freundschaftlichen Verbindungen zwischen Industrie und Politik nicht als Korruption bezeichnet, sondern als Netzwerk – den freundlichen Unterton von Karriereförderung übernehmen ja sicher die Kollegen aus den Interessengruppen – dann muss man doch mit den Schuldzuweisungen nicht immer so vorschnell sein. Und wenn’s wirklich mal schief geht, dann kann man immer noch die Medien dafür verantwortlich machen.

Strengere Strafen? Das klappt nur bei Sachen, die sich nicht wirksam bekämpfen lassen. Sonst würde das doch kein Konservativer vorschlagen. Aber das wird sich irgendwann einpendeln. Es ist ein Mentalitätsproblem. Korruption wird in einer Demokratie als störend empfunden, außerhalb demokratischer Verhältnisse jedoch als normal, höchstens noch als Notfall. Und jetzt wissen Sie auch, was die Bundesregierung so –

Murkel, guten – ja, schlimm. Aber wir können das nicht ändern. Der Sozialstaat ist grundgesetzlich verankert. Das müssen Sie schon anders beseitigen. Wann hätten Sie denn gerne Neuwahlen?“