Natürlich gesund

1 03 2012

Die Stimme kam mir doch bekannt vor? „Zwei Stück, das werde ich mir merken!“ Sekunden später prallte Herr Breschke auf mich, eine Schale mit gelblichen Pastillen in der Hand. Das allein hätte mich nicht gestört, wäre es nicht gerade in Doktor Klengels Praxis passiert.

Der Hausarzt druckste herum. „Dieses Fischöl ist an sich ja nicht schädlich“, ächzte er. „Man kann es also durchaus einsetzen, wenn der Patient es sich wünscht.“ „Irgendwer wird es sich wünschen“, gab ich zurück, „und irgendjemand wird auch dafür sorgen, dass es sich irgendwer wünscht.“ Klengel knetete seine Hände. „Sie wissen doch, was wir zu berücksichtigen haben. Nahrungsergänzungsmittel dürfen keinen therapeutischen Nutzen erfüllen. Wir müssen diese Testreihe durchführen, sonst müsste die Forschung ins Ausland abwandern. Wollen Sie das etwa?“ „Wenn die ihre Gelatinekapseln schluckten“, antwortete ich, „wäre ich nicht besonders traurig. Warum bieten Sie das Zeug überhaupt an? War ihr Ausflug in die Homöopathie Ihnen nicht schon eine Lehre genug?“ Er seufzte tief auf. „Sie hatten ja Recht – ich hätte es nicht einfach so machen sollen. Die Patienten haben sich bitter beklagt, ich hätte fast di Praxis zumachen müssen. Die meisten waren der Ansicht, Globuli seien einfach zu klein. Das wirkt nicht.“

„Geht es jetzt gleich los?“ Der pensionierte Finanzbeamte saß im Nebenzimmerchen und wartete auf die Befragung. „Klengel“, zischte ich, „wenn Sie wirklich ein vernünftiges Testergebnis wollen, dann lassen Sie mich das Interview machen.“ Seine Brille passte mir nicht, verwandelte mich aber im Handumdrehen in einen Uhu. Der weiße Kittel aus der Abstellkammer tat ein Übriges. „Wir werden den Probanden schon schaffen“, näselte ich, „und das auch noch im Dienste der Volksgesundheit.“

Steifbeinig betrat ich die Kabine; sonst hatten die Patienten immer nur durch eine kleine Klappe in der Wand Becher gereicht, jetzt aber saß ich selbst auf einem Drehschemel und kritzelte auf einem Klemmbrett vor mich hin. „Herr Breschke“, fistelte ich, „Sie haben sich dankenswerterweise für unsere Untersuchung zur Verfügung gestellt. Wenn Sie mir einmal berichten würden, welche Heilmittel Sie im Laufe der Woche so zu sich nehmen?“ „Wir schlucken ja als erstes diese Knoblauchpillen“, hub er an, „aber wir sind von den russischen Dragees abgekommen. Die waren von Sergej Zarewitschin, aber auf dem Etikett stand, dass der Hersteller in Bad Salzschlirf sitzt – das ist doch Schwindel!“ „Gut“, bemerkte ich und kritzelte ein paar Männerchen auf den Schreibblock, „das ist schon mal sehr hilfreich. Was haben Sie dann als Ersatz eingenommen?“ „Meine Frau und ich schlucken jetzt drei Kapseln von Juri Moskwitsch. Die Firma sitzt in Thüringen, das ist ja wenigstens im Osten.“

Klengel hatte wohl versehentlich einen Prospekt in die Schreibmappe eingeklemmt. „Sie nehmen auch Vitapolin 2000?“ „Nur Vitapolin 500“, korrigierte Breschke, „wegen der Dosierung. Es besteht aus hochreinen Blütenpollen zur Ergänzung der täglichen Nährstoffzufuhr, aber die Beutelchen der Großpackung waren für uns nicht so gut geeignet.“ Ich stutzte, aber er erklärte es mir sofort. „Meine Frau ist Pollenallergikerin.“ Das verwirrte mich. „Warum nehmen Sie dann noch zusätzlich Blütenpollen?“ „Da die in der täglichen Ernährung nun mal überhaupt nicht mehr vorkommen – wir Städter kommen doch kaum noch in Berührung mit einer richtigen Blumenwiese, nicht wahr?“ „Aber Ihre Frau ist doch allergisch, oder? Warum nimmt sie diesen Krempel zu sich?“ „Man kann sie pur oder im Müsli oder in Süßspeisen zu sich nehmen“, erklärte er. „Und auf der Verpackung stand nicht, dass Pollenallergiker sich damit nicht schützen können.“ „Schützen?“ Ich riss die Augen auf. „Wogegen denn schützen?“ „Gegen Pollen“, lächelte Breschke.

Der Rest lief einigermaßen schnell. Ich stellte fest, dass er täglich eine Obst- und Gemüseauslese an Vitaminen und Ballaststoffen zu sich nahm (drei Pillen), indische Flohsamenschale (reinste Qualität, anderthalb Esslöffel), Aloe vera (ein Viertelliter als Joghurt, Shampoo und Lutschpastillen) sowie Ginkgo-Extrakt (zwei Kautabletten) zur Stärkung der Gehirnzellen. „Bald werden wir uns die Omega-Säuren in Reinform besorgen“, berichtete er.

„Ich kann ihn doch nicht komplett ohne ein Heilmittel aus der Praxis schicken“, zischte Klengel mir aus dem Türrahmen zu. „Wenn Sie nicht ihm irgendetwas verordnen, habe ich ihn dreimal pro Woche hier sitzen.“ „Lassen Sie mich nur machen“, wisperte ich zurück. „Schicken Sie Ihre Helferin in den Supermarkt. Mit einem großen Korb.“ Damit wandte ich mich wieder dem Versuchskaninchen zu. „Wir müssen uns jetzt einmal sehr genau über den Vorgang der Einnahme unterhalten. Da ist jede Einzelheit von größter Bedeutung. Herr Breschke, wie lange brauchen Sie denn so im Schnitt, bis Sie eine Vitamintablette gelutscht haben?“

Doktor Klengel wusch sich gründlich die Hände. „Gut, dass wir noch ein paar Schraubgläser von der homöopathischen Werbeveranstaltung hier stehen hatten.“ Ich nickte. „Sie sollten die Aufkleber genau beschriften. Die Wirkstoffe sind zu beachten – man sollte damit nicht spaßen.“ Er kicherte. „Richtig, richtig. Und gut, dass sie den Kunsthonig gerade im Angebot hatten.“