Gernulf Olzheimer kommentiert (CXLI): Call-In-Shows

9 03 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Der Abend ist vorgerückt, die Dämchen auf dem Schmuddelsender haben sich bereits ausgezogen, da tönt das Signal zum Abschalten der Großhirnrinde wie Vuvuzelas durch Bellevue: willkommen in der Geschmacksverkalkung, wir haben schon mal auf Null gedreht. Deppen raten um die Wette, wer den Preis als Müllbeutelimitat des Jahres mitnehmen darf. Die Rache des Glücksrads schlägt zu: die Call-In-Show, die Bodenplatte des Privatfernsehens.

Die Geschäftsidee ist denkbar einfach: man finde ein bis sieben netzhautverträglich aussehende Marionetten, die sich nicht verstellen müssen, wenn sie vor der TV-Kamera den Existenzlegasthenikern ein authentisches Ideal vorturnen müssen. Sodann bewaffne man die Armada der Fußföner mit Tafel und Filzstift – andere Instrumente führen bei allen Beteiligten zum intellektuellen Hinterwandinfarkt – und lasse sie Kindergeburtstag unter erschwerten Bedingungen nachspielen. Raterunde für Tröten, Beschäftigungstherapie für Beknackte, es zeitigt seinen Erfolg. Wer einmal im Netz zappelt, hat so gut wie keine Chance mehr.

Die Handlung spottet dem geistigen Horizont von Silberfischchen. Geschäftsfähige Bürger popeln sich Vokale vom _rdb__rkuch_n und beweisen, dass ihre Telefonrechnungen noch Luft nach oben haben. Ein munterer Aufguss an Vorschülerübungen schwallt durch die Arena, die bestmögliche Bühne für den Honk, um sich generationenübergreifend zu blamieren. Ist es die Lust an der eigenen Demütigung, die das Ratepersonal an die Fernsprechendgeräte drängt, oder versteht der vor dem Fernseher verschwiemelte Rezipient nicht, dass sich auch in den Schimmelrändern der Unterhaltung jene Marktmaxime mitwürgen lässt, die die Kostenlos-Kultur der verarmenden Milliardäre aus Verlagen und Belustigungskonzernen vor der prädebilen Endablagerung herbeiflennt: Heuschrecken zeigen, wie sie die niederschwelligen Bereiche dieser Gesellschaft in ihrem Niveau feststampfen – wenn sie auch nicht klar werden lassen, was sie von denen da unten trennt.

Die Call-In-Show, bei dem der Anrufer mitunter für Stunden in der Leitung hängt, weil er in seinen neoliberal wahnhaften Klimmzügen um den Hauptgewinn sämtliche Warnlampen durchglühen lässt, wäre das perfekte Demaskierungselement, hätte man es nicht perfide genug auf die Zielgruppe der Teilzeittölpel angesetzt, jene linke Annäherung der Intelligenz an die Asymptote, die unerbittlich in den Orkus zeigt. Auch ohne die Möglichkeit des Gewinnens bilden dieses Kasino-Surrogat den barrierefreien Zugang zum Abgrund, in den jeder tapert, der sich nicht rechtzeitig die Beine bricht.

Zugleich haben die Call-In-Sendungen etwas Mitreißendes, das alle Besitzer und Benutzer der handelsüblichen Synapsenausstattung über den Abgrund der Doofheit erhebt; nicht die Suche nach der Lösung des grenzdebilen Rätsels macht den Reiz der Veranstaltung aus, sondern die lückenlose Dokumentation des Umstands, dass manche Zeitgenossen bereits aus Zeitgründen aufgehört haben, sich die Hose mit der Kneifzange hochzuziehen. Nicht die Trennung der Mitmacher von ihren kaum klügeren Zuguckern macht das Konzept aus; es ist die Funktionalisierung der Benutzerschichten, die die Sendung mehrschichtig benutzbar macht. Während sich das Prekariat im seichten Sums abhampelt, guckt die verrohende Mittelschicht beim Salzgebäck und Bier den Freiübungen zu. Die Call-In-Show ist die Fortsetzung des Lotto mit massenmedialen Mitteln. Selbst wenn man betriebswirtschaftlich konzediert, dass sich eine Gewinnauszahlung nach längerem Rechtsstreit nicht vollständig vermeiden lässt, schleicht sich der objektivistische Gedanke in die funktionsfähigen Hirnregionen: wer derart blöd war, sich auf diesem Weg ausnehmen zu lassen, hat es nicht anders verdient. War nicht das Glücksspiel immer schon ein Zuchtinstrument der herrschenden Klasse? Und warum lässt man es heute – Gewinn, Risiko, Waffe und Munition, Aufgabe, soziales Ansehen – nur fragmentiert auf die Bürger los?

Findet sich also die Mehrheitsgesellschaft ab mit der sozialen Spaltung durch Fernsehformate vom Billigheimer? Angesichts der Modelle „Dreck fressen im Dschungel“ und „Öffentliches Hungern von Kleiderständern“ scheint die Vorführung regionaler Erheiterungskomparsen recht real, denn es muss doch Programmbestandteile geben, in denen nicht die vermeintliche Führungselite dieses Landes herumstolpert, um sich gegenseitig die Kohle zuzuschaufeln; die Verlierer haben aus der Untersuchung mit der Einsicht zu kommen, die Dramaturgie sehe vor, dass sie sich nicht aus eigener Kraft hocharbeiten können. Und da betrügt sich der ideologische Schmalz, der von den Glotzenproduzenten in die Welt hinausgespien wird, es gibt keine unbegrenzten Möglichkeiten, es gibt nicht einmal begrenzte. Was letztlich die Objektivisten glücklich machen würde, sähen sie einmal nachts ihre Kinder in der Glotze strampeln.