Sonnenbrille, Skimütze, zerknautschter Trenchcoat. Niemand hätte Kunstmann erkannt. „Passen Sie ein bisschen auf ihn auf“, hatte Siebels gesagt und mir den Serienstar unter den Arm geklemmt. „Wir werden die Probeaufnahmen auf den Nachmittag verschieben, also müssen Sie ihn nur ein paar Stunden unterhalten. Und dann sind Sie ihn auch schon wieder los. Hoffentlich.“ Was leichter gesagt war als getan. Harald Kunstmann, der große Schauspieler, bestand auf absolute Diskretion.
„Ich brauche unbedingt ein paar Handschuhe“, flüsterte er. Hastig blickte er um sich, zog die Mütze tiefer ins Gesicht und duckte sich, als wir den Fahrstuhl verließen. „Ich habe meine zu Hause vergessen, aber ich bekomme so schnell kalte Finger. Sie kennen sich doch in der Stadt aus?“ „Natürlich“, beruhigte ich ihn. „Sie können mir auch ihre Größe nennen, dann besorge ich Ihnen ein Paar.“ Er schüttelte den Kopf. „Ausgeschlossen, das muss ich persönlich machen. Sonst passen sie mir am Ende nicht.“ „Nur ein paar Schritte nach links“, teilte ich ihm mit. „Das Warenhaus ist gleich dort in der Marktgasse.“
Kunstmann verhielt sich wirklich mustergültig, wenngleich mustergültig für jemanden, der unter allen Umständen auffallen will. „Heben Sie die Schultern an“, zischte ich. „Und drücken Sie sich nicht wie ein Polizist an der Wand lang.“ „Das habe ich als Inspektor Clarke auch immer so gemacht.“ „Kunstmann“, wie ich ihn zurecht. „Sie sind hier aber nicht im Fernsehen. Verhalten Sie sich normal und hören Sie auf zu schleichen.“ Schon hatten wir das Portal erreicht und betraten das Geschäft. „Aber ich lasse die Brille auf“, verkündete er trotzig. „Ich möchte nämlich nicht, dass mich einer erkennt.“
„Strickwaren: erster Stock“, teilte der Portier uns mit. Kunstmann suchte nach der Rolltreppe. „Ich hoffe, dass hier nicht so ein Gedränge herrscht wie sonst.“ „Aber ich bitte Sie“, warf ich ein, „es ist werktags, kurz vor zehn, da werden Sie doch nicht mit einem vollen Geschäft rechnen.“ „Man kann nie wissen“, antwortet er ängstlich und drehte sich um. Da hatten wir das Geschoss erreicht. Eine ganze Stellage voller Handschuhe, Schals und Mützen lag vor uns. Kaum standen wir vor den Textilien, als der Verkäufer mich ansprach. „Wenn ich Ihnen vielleicht behilflich sein dürfte?“ „Handschuhe“, flüsterte Kunstmann. „Ein Paar Strickhandschuhe, nach Möglichkeit schwarz oder wenigstens sehr dunkel. Sie sollten zum Anzug passen, wenn ich mal wieder…“ „Größe 9“, unterbrach ihn der Angestellte. „Ich schaue mal, was ich da habe.“ „Vorsicht bitte.“ Kunstmann knetete seine Finger. „Ich sehe schon“, sagte der Verkäufer mit einem bedauernden Unterton, „Sie haben sich in den Finger geschnitten.“ „Am Papier“, verkündete der Bildschirmheld, „wenn man so viele Drehbücher liest wie ich, dann passiert das beim Umblättern immer mal wieder. Verstehen Sie, was ich meine?“ Der junge Mann nickte. „Ja, ich habe das auch schon gehabt, wenn ich die Kassenrolle wechsle.“
„Wie finden Sie die hier?“ Ich hielt ein paar blaue Wollhandschuhe mit Lederbesatz hoch. „Hm“, machte er. „Die werden gerne genommen“, informierte der Verkäufer uns, „leicht zu reinigen, perfekte Passform.“ „Als Graf Schnuppsdorff in Das Haus am Ende der Straße habe ich immer solche Handschuhe getragen.“ „Sie können die aber auch in Schwarz bekommen oder Mokka oder Grün. Dunkelgrün.“ Kunstmann ließ nicht locker. „Obwohl das eher zum typisch englischen Tweedanzug passen würde.“ Er beäugte die Finger und spielte am Strickbündchen. „So einer, wie ihn Inspektor Clarke trägt. Sie sind doch ein Kenner, junger Freund?“ Er griff nach einem Paar schwarzer Fäustlinge. „Die hätte doch ein brillanter Denker wie Inspektor Douglas Clarke nie getragen.“ „Ausgezeichnete Wahl“, bestätigte der Verkäufer, „passen immer wie angegossen und sind leicht zu reinigen.“
Da näherte sich eine junge Dame und bat Kunstmann um ein Autogramm. „Wie haben Sie mich bloß erkannt“, nuschelte er, „wussten Sie etwa, dass ich komme?“ „Ich weiß nicht mal, wer Sie sind.“ Sie steckte die Karte mit dem hastig hingeworfenen Schriftzug in ihre Handtasche. „Aber Sie sehen so komisch aus, Sie müssen wohl prominent sein.“
„Wenn Sie vielleicht diese mal anprobieren möchten“, brachte sich der Verkäufer in Erinnerung mit einem Paar nachtblauer Fingerhandschuhe. „Passend zur Mütze, sie sitzen wie angegossen, und sie sind wirklich pflegeleicht.“ „Haben Sie sie erkannt“, stieß Kunstmann hervor. „Haben Sie die Mütze erkannt aus dem letzten Teil von Die Toten kamen im Tiefschnee?“ „Bedaure“, stammelte der Junge, „ich weiß gar nicht, was Sie meinen.“ „Oder Letzte Liebe der Rosen im Sturm der Fackeln der Leidenschaft, haben Sie den nicht gesehen?“ Er klammerte sich an den Handschuhen fest. „Es tut mir Leid, aber ich habe keinen Fernseher.“ „Keinen Fernseher“, kreischte der Vorabendheld, „Sie sollten mich kennen – Sie müssen mich kennen! Jeder kennt mich! Ich bin Kunstmann! Harald Kunstmann, Hauptdarsteller in Serien wie Mordsache XY oder Inspektor Clarke ermittelt!“ „Inspektor Clarke“, echote er – da erhellte sich unversehens sein Gesicht. Rasch drehte er sich um und rief seinen Kollegen heran: „Hümpel, Sie glauben ja nicht, wer gerade hier ist – der Typ, wegen dem Sie immer die Glotze ausschalten!“
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