
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Früher – als die Gummistiefel noch aus Holz waren und die Kinder zu Kaisers Geburtstag eine weniger auf die Nase kriegten – war grundsätzlich alles besser. Natürlicher. Gesünder. Die Kartoffeln waren dicker (und es gab noch Kartoffelkäfer), die Hühner konnten noch richtige Eier legen (und zehn Prozent der Bevölkerung konnten sie sich leisten) und die Welt war ganz einfach sauberer, vor allem der Dreck im Schweinestall und die Erde zwischen den Rüben. Damals. Jene ferne Zeit, die wir uns so verzweifelt nicht zurückwünschen, weil mit ihr Pocken, Zichorie und Zwickel wiederkämen. Und doch bräuchten wir sie eigentlich, weil es sonst die Nostalgie nicht gäbe und den unerfüllten Wunsch nach Reinheit, Unverdorbenheit, kurz: alles, was uns der kreative Umgang mit der Realität vorgaukelt. Man muss nicht fürs Wilhelm Zwo auf die Straße gehen, der Bio-Wahn tut’s auch.
Er grassiert, wo immer der Deutsche sich mit verdauungsfähigem Material aus dem Bereich des Organischen befasst. Bio-Ei, Bio-Möhre, Bio-Huhn und ähnliches Gepopel bietet der Handel feil, klar fasslich dank zweier untrüglicher Kennzeichen: einmal schreit das Schild biologisch-dynamisch und auch ansonsten quarkig in die Landschaft, und dann sieht man’s am Preis, der den Distinktionsgewinn der emissionsarmen Erbse eindrucksvoll ins Auge des Betrachters tackert. Wer zur ganzheitlich gedüngten Gurke greift, tut dies nicht zufällig, sondern für die Galerie. Bioware ist bewusstes Genießen. Wenn gleich auch meist nur den Neid der Betrachter an der Kasse.
Längst gerinnt das Biogezumpel zum sozialen Gegenbild, denn was sollte es auch sonst sein? Allein der Blick, was der Brauchtumsterrorismus dem Premium-Kunden in die Einkaufskörbe kippt, zeigt den intellektuell degenerierten Vollhonk in vollem Effekt. Brühwürfel und Boulette sind bio (unter Vernachlässigung anorganischer Komponenten wäre das nicht von der Hand zu weisen, aber woraus sollten sie auch sonst sein, wenn nicht aus Input für die Schleimhäute), Chips und Mineralwasser. Der Stammhirnverfall der Beknackten scheint an Fahrt aufgenommen zu haben, so die geistig nicht gesegneten Günstlinge ihre Barschaft für derlei Sülzwarenfabrikation hergeben. Ist nicht demnächst die Butter auch schon bio, weil sie auf natürlichem Wege ranzig wird?
Geschenkt, es geht ja um den Gesundheits-, um den Lebensaspekt, warum der Hobbyöko lieber die natürliche Milch mit babylonisch sprechendem Dreckrand als den ultrahocherhitzten Kuhsaft kauft. „Du bist“, greint uns die verdeppte Esoteriktrulla aus der Volkshochschule entgegen, „was Du isst!“ Sobald wir den Mitochondrien beigebracht haben, die Eiweiße aus Tütennudeln und Sojaklops zu unterscheiden, holen wir uns den Nobelpreis von der Käsetheke. Sicher haben bis dahin Kohlrabi und Koriander die Kunst- und Naturdüngersorten auf niedermolekularer Ebene am Geschmack erkannt. Denn welcher Schnittsalat würde sich schon von Bescheuerten pflanzen lassen. Beim Schlangestehen um eine Hirnspende geht die wissenschaftliche Grundausstattung gerne zu Blut und Boden, denn wer würde sich schon an Tatsachen halten, wenn er sich sein Weltbild aus Wunschvorstellungen leichter zurechtschwiemeln könnte.
Ob die handverkratzten Äpfel, das manuell eingekotete Freilandei tatsächlich besser sind? Klar, denn im Gegensatz zur Fließbandproduktion konventioneller Vollwertkekse ist die Biotomate natürlich im Beisein der Bezugsperson in feuchter Watte gezüchtet worden, keinesfalls in der Grünzeugmanufaktur, sondern ebenso in halb automatischer, maschinengestützter Fertigung, bis zum Grenzwert der Industrienorm mit Herbiziden eingenebelt, genmanipuliert, aber eben bio, da nur mit natürlichen Schadstoffen belastet. Als ob die Güllephosphatjauche besser für die keuchenden Fließgewässer wären, als ob der Monokultur mit Ökomais die Artenvielfalt an der Krume nicht genauso scheißegal wäre. Aber Hauptsache, der appetitlich verschrumpelte Mangold in frühlingshaftem Braun passt zum Stickoxid-Profil des grün-alternativlosen Geltungsfressers, der in seinem paternalistischen Besserwisserwahn gleich noch die andere Hälfte der Bescheuerten umerzöge, bekäme er Rabattmarken für nachhaltig gammelnde Hass-Avocados.
Der Bio-Wahn inszeniert, wie eine brüllend doofe Soziokaste sich im eigenen Geschwurbel aus Pseudobetroffenheit und elitärem Konsumismus verrennt, immer mit dem hehren Gefühl, die ganze Menschheit gegen ihren Willen durch runzeligen Rucola zu retten. Gäbe es Bundesverdienstkreuze für die stoische Penetranz, mit der sich Vorzeige-Körnerfresser Welkwirsing in die Gemüsekiste kippen, Wasserrüben aus mehr Wasser als Rübe und Reste undefinierter Knollen zum Endverkaufspreis von Feingold, sie würden sich das Zeug gegenseitig in die Schlichtvisage knoten. Keinem fällt auf, dass selbst die Discounter der mittleren Unterklasse längst ihr eigenes Bio-Sortiment haben (Fertigmüsli mit natürlichem Industriezucker, Sellerie mit unbehandelter Schale, Fleischwurst von glücklichen Mastsauen), marketingtechnisch auf Strom- und Fluchtlinienform gefönt, dabei so niederpreisig, dass nur die Nachhut auf Niedrighirnniveau die Provenienz des Brathuhns aus dem Geflügelgulag leugnen könnte. Erst wenn der letzte mit Felsquellwasser aus den Anden gezogene Spargel biologisch-dynamisch per Flieger nach Nordhessen verlastet wurde, werden sie feststellen, dass man so viel Müll gar nicht trennen kann, um den Hirnplüsch auszugleichen, den sie da verzapfen. Aber wir werden uns daran gewöhnen. Solange das Zeug noch nicht als chinesischen Produktpiraterie aufgekippt ist, das seine Bio-Bömmel in Beijing im Hinterhof angepappt kriegt. Oder wenn auch integrierter Blumenkohl nachts im Kühlschrank wieder anheimelnd brummt und leuchtet. Hoffentlich grün.
Satzspiegel