Buck musterte mich von oben bis unten. Er lächelte mitleidig. „Natürlich ist das hier“, sagte er. „Wenn Sie sich die Mühe machen könnten, auf die Schilder zu achten?“ Ich war also richtig. Hier fand der Kurs in angewandter Arroganz statt.
„Arroganz“, dozierte Buck vor der Klasse, „Arroganz ist eine kommunikative Wunderwaffe. Sie werden aus jeder Situation, in der Sie unterlegen sind, einen Sieg machen. Gullmann!“ Der Junge im schlabberigen Anzug sprang auf; Buck blähte die Nasenflügel. „Nicht so servil.“ Er breitete die Schultern aus und pumpte seinen Brustkorb auf. „Wer kauft Ihnen eigentlich diese Krawatten? Ihre Mutter?“ Der Junge setzte schon zu einer Antwort an, da schlug Buck mit der flachen Hand auf die Tischplatte. „Was habe ich Ihnen beigebracht?“ Gullmann schluckte. Seine Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. „Das geht Sie überhaupt nichts an“, presste er hervor. Buck lächelte gnädig. „Doch, ja. Für den Anfang schon nicht ganz schlecht. Machen Sie so weiter.“ Er sprach mich an, ohne auch nur den Kopf zu wenden. „Und Sie werden mir jetzt natürlich damit kommen, dass Sie das alles viel besser können. Habe ich Recht?“ „Nun“, gab ich zurück, „nicht besser. Anders. Mit Arroganz hatte das nicht viel zu tun, und kommunikativ war es ein Reinfall. Sie bringen Ihren Schülern bei, die Kommunikation zu verweigern und keine sinnvollen Antworten zu geben. Warum?“ Buck biss sich auf die Unterlippe.
Die Schüler spielten. Sie runzelten die Stirn, stießen verächtlich Luft durch die Nasenlöcher und lächelten Bucks hochmütiges, etwas verkniffenes Lächeln. „Halten Sie immer Abstand“, verkündete der Lehrer. „Sie wissen, dass die Distanz das beste Mittel ist, um sich nicht mit einem anderen auf eine Stufe zu stellen. Wenn Sie Distanz halten, werden Sie sich eine unangreifbare Identität schaffen.“ Ich meldete mich. „Woher soll ich wissen, auf welcher Stufe ich mich im Gegensatz zu meinem Gegenüber befinde?“ „Sie befinden sich sowieso immer unten“, schoss er zurück. Ich ließ nicht locker. „Sie verschaffen sich also eine soziale Distanz, indem Sie sich eingebildet verhalten. Gut. Aber warum?“ „Weil ich mich mit Ihnen gar nicht erst abgebe.“ Buck war irritiert. „Dann sind Sie also auf einer höheren Stufe als ich, wenn Sie mit mir nicht kommunizieren wollen?“ „Sie kapieren langsam, aber diesmal sind Sie wenigstens dicht dran.“ Er grinste gnädig, wenn auch ein bisschen entnervt, „Gut, wenn Sie sowieso schon auf einer höheren Stufe sind als ich, warum brauchen Sie dann ein Mittel, um sich nochmals zu distanzieren?“ Buck schwitzte. „Und wenn Sie es für unnötig halten, mit mir zu kommunizieren, warum geben Sie sich dann so große Mühe, es mir auch unmissverständlich zu vermitteln?“
Er knibbelte ein Pfefferminzbonbon aus der Stanniolpapierrolle. „Betrachten Sie es als eine Art Notwehr. Die Welt ist voll von aufgeblasenen Idioten, die einem den Rang streitig machen wollen. Ein stetiger Kampf, der ohne Blessuren nicht möglich ist.“ Ich nahm ein Bonbon. „Es mag auf den ersten Blick helfen, aber es wird nicht viel weiterführen. Es verändert nichts.“ Buck hatte aus Gewohnheit noch immer sein schräges Lächeln im Gesicht. „Sie werden mit Ihrer moralischen Ansicht nicht weiterkommen, so sieht es aus. Leben heißt Kampf, und ohne eine geschickte Strategie werden Sie immer zu den Verlierern gehören.“ Ich verschränkte die Arme. „Eben war es noch Notwehr, jetzt sprechen Sie schon von Kampf – Ihre Überheblichkeit weiß gar nicht so richtig, ob sie Schild oder Schwert sein will?“ „Beides“, gab er zurück, ein wenig verunsichert ob der Lücke in seiner Argumentation, die ihm erst jetzt bewusst wurde. „Man kann sich mit einer aggressiven Distanz sehr wohl gut verteidigen und geht im richtigen Augenblick eben zum Angriff über.“ Nun war es an mir zu lächeln. „Eine aggressive Distanz. Und sie dient zur Verteidigung. Wobei Sie mir jetzt verraten müssen, wie Sie angreifen, ohne damit den Abstand zu Ihrem Gegner zu verkleinern.“
Gullmann hatte noch einige Übungen absolviert, zwei Mitschüler in einem Rollenspiel angeschnauzt und war von ihnen mit etwas hilfloser, da unsauber einstudierter Ironie blamiert worden. „Ich lasse es Sie wissen, so bald mich das interessiert.“ Buck legte mit dünkelhafter Miene ein Buch zurück auf Gullmanns Tisch. Andere nickten befriedigt, weil nicht sie heute vor der Klasse vorgeführt worden waren. Ich musterte Buck. „Vermutlich leiden Sie gar nicht an Selbstüberschätzung“, sagte ich. „Sie sind sicher nur ein ziemlich unsicherer Mensch, der sein Leben lang versucht hat, Sozialkompetenz zu erlangen.“ „Weiter“, höhnte er, „ich bin ganz Ohr.“ Ich ließ mich nicht bitten. „Sie halten Arroganz für ein Mittel, um mit der Hochnäsigkeit Ihrer Umwelt zurechtzukommen. Gäbe es Ihre Arroganz nicht, es gäbe weniger Dünkelmänner um Sie herum. Das, was Sie zu bekämpfen vorgeben, züchten Sie durch Ihr eigenes Vorbild.“ Buck schluckte. Doch dann fing er sich rasch wieder. „Ah, fast hätten Sie mich gehabt! Fast! Sie demonstrieren mir gerade meine eigene Methode, damit ich sehe, wie Sie sich damit von mir distanzieren können, richtig? Sehr gut, mein Lieber, sehr gelungen! Hervorragend!“
Es klingelte. Die Schüler rafften ihre Bücher zusammen. „Wirklich überzeugend“, sagte ich gönnerhaft zu Buck, der mich selig anstrahlte. „Sie werden sich ganz sicher durchsetzen mit Ihrer Methode. Ich wünsche Ihnen viel Glück.“ Sein honigmilder Blick ruhte auf mir, während ich die Stirn missfällig in Falten legte. „Sie werden es brauchen.“ Und während ich mich abrupt umdrehte und pfeifend zur Treppe ging, merkte ich in meinem Rücken, wie er in sich zusammensank, Buck, ein kleines Häuflein Elend mit weichen Knien, der jetzt gerne jemanden bei sich gehabt hätte, der ihn in den Arm nimmt.
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