Schrecklich entzückend

24 05 2012

Doktor Dülfer war begeistert. „Wie schön, dass Sie zu uns gestoßen sind! Sie werden sich wohlfühlen in unserer Mitte – machen Sie es sich bequem, es geht auch jeden Augenblick los.“ Ich legte meinen Mantel über einen der ramponierten Stühle und machte es mir so bequem, wie es in einem muffigen Unterrichtsraum einer Volkshochschule eben möglich war. Aber was tut man nicht alles, um seine Mitmenschen glücklich zu machen. Notfalls durch Heuchelei.

„Wir wollen noch einmal die Lektion aus der vorigen Unterrichtsstunde wiederholen“, eröffnete Dülfer das Gespräch. Gut zwanzig Damen und Herren mittleren Alters hatten sich versammelt, sie alle schauten konzentriert auf den Pädagogen, wie er ein in graues Papier gehülltes Kästchen aus seiner Aktentasche zog. „Frau Grillenburger, bitte.“ Eine Dame im lindgrünen Kostüm erhob sich und nahm das Paket in die Hand. Sofort erschien ein begeistertes Lächeln auf ihren Lippen. „Wie schön verpackt das ist“, jubilierte sie, „und so ein dezentes Grau – wirklich, ich habe aber lange kein so nettes Grau gesehen, meinen Sie nicht auch?“ Beifall heischend sah sie mich an und hielt mir den Pappquader wie eine Monstranz entgegen. „Hmja“, murmelte ich unwillig, aber Frau Grillenburger ließ nicht locker. „Was ist das aber auch handlich“, gellte sie und schüttelte sich vor lauter Verzückung, „so ein schönes Päckchen, das ist ja wirklich ganz reizend!“ Ich musste mich in einer Ansammlung von Geistesgestörten befinden.

„Das Lob“, dozierte Doktor Dülfer, „das Lob öffnet uns Tür und Tor. Wer ein freundliches Wort hat für alles und jeden, dem sind die Menschen wohlgesonnen. Kein Schatten fällt auf den Scheitel dessen, der des Lobes voll ist, und kein Misston stört die zwischenmenschlichen Beziehungen, wenn Sie zu jeder Zeit Anerkennung zollen.“ Beifälliges Murmeln schlich durch den Raum. „Und wenn Sie uns vielleicht einmal eine Kostprobe Ihres Könnens zeigen möchten?“ Er stellte das graue Kästchen auf meinen Tisch. Ich blickte mich unsicher um. Dülfer hob ermunternd seine Augenbrauen. „Nur Mut! Stellen Sie sich vor, Ihnen schenkte jemand etwas – Sie legten aber gar keinen Wert auf dies Geschenk, es ist auch gar nicht so besonders hübsch, aber Sie wollen seine Gefühle keinesfalls verletzen. Na?“ Ich drehte das Ding zwischen den Fingern. „Es ist so angenehm leicht“, versuchte ich, „das muss ja etwas sehr Wertvolles sein, wenn schon das Paket –“ „Das war schon sehr hübsch“, schnitt mir Dülfer das Wort ab, immerhin mit einem leicht gereizten Unterton. „Aber Sie bekommen das doch bestimmt noch wesentlich besser hin. Oder!?“

Möglicherweise stellte ich mich gerade ein wenig ungeschickt an. Die Teilnehmer lobten einander und den Rest an verfügbarer Materie mühelos über den grünen Klee. Zwei junge Männer überboten sich gegenseitig darin, Doktor Dülfers Krawatte (ein leicht verfärbtes, dunkelblaues Stück aus stumpfem Stoff) zu rühmen. Ansatzlos schwenkten sie zu Frau Grillenburgers Frisur über, einer verzweifelten Talentprobe des Haarkünstlers. Ein Stimmengewirr umschwirrte mich. Das war also diese soziale Kommunikation. Wer sprach denn da? Irrte ich mich?

Rosenkötter. Horst Rosenkötter, Abteilungsleiter im Rundfunk. Ein Kulturenthusiast, der auf jeder Vernissage zu finden war, zu jeder Premiere erschien und für jeden Schmonzes rührendes Lob absonderte. Mein Feature über die peruanische Nasenflötenmusik des 19. Jahrhunderts hatte er in den höchsten Tönen gepriesen. Leider wurde es nie gesendet. So erging es auch der Serie „Nordhessen in Geschichte und Gegenwart“, einem zweiteiligen Hörspiel über Goethe in Teplitz und einem kritischen Magazinbeitrag über kritische Magazinbeiträge. Er hatte es ganz schrecklich entzückend gefunden und wortlos in der Schublade versenkt. Na warte.

„Rosenkötter“, jodelte ich und stürmte ihm entgegen. Er erhob sich irritiert. „Rosenkötter, alte Hütte – einer meiner ältesten Freunde und Förderer, richtig?“ Ich ergriff seine Hand und zerquetschte ihm herzhaft die Finger. „Sie haben sich doch immer für meine Arbeiten eingesetzt, richtig? Ja, Sie brauchen das gar nicht so zu betonen, Sie sind ja schließlich die Bescheidenheit in Person.“ Die Umsitzenden rückten schon ein wenig ab; ein untrügliches Zeichen, dass ich mich auf dem rechten Weg befand. „Sie müssen wissen“, teilte ich einem dicklichen Mann im braugrauen Sakko mit, „er ist ein ganz hervorragender Redakteur – die angenehmste Verbindung an Geschmack und Tatkraft, nicht wahr, Rosenkötter? Was Sie sagen, das hat Gewicht! Kein noch so geringes Talent bliebe Ihrem wachsamen Auge verborgen, keine Perle des zeitgenössischen Medienschaffens glitte Ihnen durch die stets zupackenden Hände, wenn die Gelegenheit für eine spektakuläre Sendung in Aussicht stünde, nicht wahr? So einen wie Sie muss man mit der Lupe suchen!“ „Was habe ich Ihnen denn getan“, stammelte der Funkmensch, „ich habe Ihnen doch nichts getan?“ Argwöhnische Blicke lasteten auf ihm, kalt und kälter, und die Teilnehmer hatten es längst verstanden. „So ein Schlawiner“, raunte es neben mir, und: „Er soll ja ein ganz hinterhältiger Kerl sein“, und: „Dem haben wir mal vertraut?“ Rosenkötter brach ächzend zusammen. Doktor Dülfer musste ihm ein Glas Wasser reichen. Offenbar hatte ich alles richtig gemacht, Frau Grillenburger nickte mir aufmunternd zu.

Übrigens was Rosenkötter nach dieser Stunde nie wieder gekommen. Was für eine Enttäuschung – schließlich hatte ich doch nur Gutes über ihn gesagt.


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