
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Dass die meisten Probleme auf diesem denkbar nebensächlichen Rotationsellipsoiden am Rande einer Balkengalaxie mit der Erkenntnis beginnen, wie unterschiedlich die Menschen sind, macht wenig Hoffnungen, noch weniger jedoch erhellt sich die ungewisse Zukunft, wenn so gut wie alles auch mit dieser Erkenntnis endet. Uns bleibt hienieden nicht viel mehr als die trübe Aussicht, in unserer Lebensspanne möglichst reibungsfrei aus der existenziellen Standardabweichung zu kommen und ein erfülltes, gutes Leben zu beschließen. Doch gerade der Teufel gibt sich nicht zufrieden – eines Tages, wir werden uns erinnern, reißt sich das verfluchte Biest die Eichhörnchenmaske ab und gellt heraus: „Ich bin’s, die verdammte Toleranz!“
Wir sind alle dieselben Spaltprodukte einer Einkreuzung von Homo neanderthalensis, doch wer würde schon daran glauben? Ein klarer Blick in die Fußgängerzone anlässlich der Sommerkollektion eines Freizeitmodenherstellers für Gummizugware enthüllt schonungslos, dass sich die unter dem Durchschnitt dümpelnde Hälfte nicht aus Zufall dort befindet. Mit einem rotgesichtigen Kahlkopf, dessen Synapsen gerade eben einen Hitlergruß aus dem Rückenmark leiern können, fühlt sich doch der Pauschalbürger weniger verwandt als mit dem Kapuzineräffchen, das phylogenetisch wenigstens zu den Primaten aufgeschlossen hat. Und hier zeigt sich die Crux: Toleranz ist nur absolut zu verstehen und nie relativ. Wir müssen alles, was von der Evolution schon genug gestraft ist, ohne jegliche Diskriminierung annehmen. Warum eigentlich?
Zunächst einmal erfordert es die pluralistische Gesellschaft, auch wenn die Idee der Toleranz viel älter ist. In einem sozialen Verbund aus Menschen unterschiedlicher Werte und Wertesysteme, ja sogar aus Menschen, die ein Wertesystem haben, nicht haben, ein solches ablehnen oder sich die Antwort noch einmal genau überlegen wollten, sind wir zur Toleranz verdammt wie der Existenzialist zur Freiheit. Die Hölle, das sind die anderen. Denn es ist eine Frage, ob sie tolerant sind, eine andere, ob sie in unserem Sinne tolerant sind – aber keine Frage, die das Problem auch nur ansatzweise lösen könnte. Sind militante Nichtraucher tolerant, sind es fanatische Fleischverzichter oder die Weltretter, die einem aus lauter Liebe mit ihrem philosophischen Wackelpudding die Gehörgänge vollschwiemeln, um uns zu einem besseren Menschengeschlecht zu dressieren? Sind wir wehrlos ausgeliefert und haben aus sittlicher Reife kein Recht mehr, uns zu wehren gegen den Hirnplüsch der Sabberpriester?
Die Kernfrage lauert hinter dem Paradiesbaum und scharrt bösartig mit dem Pferdefuß. Darf man Intoleranz tolerieren, ohne selbst intolerant zu werden? Oder wird man durch zu große, aber falsche Toleranz selbst wieder intolerant, weil man sich dann mit der Intoleranz gemein macht, statt sie pflichtgemäß anzuprangern und (tolerant oder intolerant), bis aufs Blut zu bekämpfen? Gibt es aus diesem Dilemma überhaupt einen Ausweg? Und wenn ja, warum nicht?
Toleranz heißt noch nicht Akzeptanz; man kann Ausländer und Andersgläubige auch weiterhin scheiße finden, wenn man ihre Anwesenheit auf diesem Planeten schon nicht zu bekämpfen vorhat. Man wähnt sich schon fast in der besten aller Welten, wenn man nur bedenkt, was die Zeit an Platzwunden des Geistes geheilt haben mag: ein agnostischer Teilchenphysiker, angegriffen von einem Scholastiker, der seine absurde Ideologie von jenem höheren Wesen, das wir verehren, vor einem altägyptischen Opferpriester verteidigen muss. Als Gebrauchsanweisung für die real existierende Toleranz müssen wir gezielt Eintrittsbereiche der Intoleranz definieren, um innerhalb eines relativen Rahmens Absolutheit spielen zu können. Es funktioniert wie eine Religion mit Ausnahmen: Götter mit eingeschränktem Geschäftsbereich. Schließlich ist der Begriff im technisch-mathematischen Sinne eindeutig genug bestimmt, um die letzten Hoffnungen fahren zu lassen: es ist der Spielraum, innerhalb dessen die Sache eiert, ohne gleich die ganze Kiste in die Grütze zu reißen.
Ernüchtert sieht der Bekloppte, dass Toleranz nur eine der moralischen Keulen ist, die sich die Weltverbesserer zurechtschnitzen, um sie den Andersdenkenden über die Rübe zu klöppeln. Man fühlt sich gleich besser mit dem Heiligenschein, auch wenn man genau weiß, dass die Überlegenheit höchstens auf ungeschicktem Selbstbetrug beruht. Schließlich und endlich ist Toleranz ja nur die aufdringliche Form der Unfähigkeit, Dinge zu ignorieren, die einen letztlich nichts angehen oder intellektuell überfordern. Früher oder später wird sie, wie jede Form der in Beton gegossenen Moral, zum Instrument der Repression, die das Messer in die rationale Kritik steckt und in der Wunde dreht: wer tolerant ist, ist intolerant, weil das Absolute in einer relativen Welt sowieso nichts ist als eine Idee.
Das hat Folgen. Wir sind als Gesellschaft kritisch, werfen aber als politisches Gebilde jede Intoleranz über Bord, wenn wir totalitäre Staaten anerkennen, mit ihnen handeln und sie hofieren, da wir um deren Toleranz bemüht sind. Sollte einem eines Tages ein an Toleranzraserei erkrankter Depp uns Intoleranz vorwerfen, hilft zuverlässig der internalisierte Mechanismus, ihn als intolerantes Arschloch zu beschimpfen. Selbst schuld. Was muss der Typ auch so sein, wie er ist.
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