Unbekannt verzogen

9 07 2012

„So hören Sie doch, wir brauchen Ihre Kataloge nicht! Die Kanzlerin hat genug Hosenanzüge. Wir schmeißen das sowieso in den Papiercontainer, Sie können das lassen. Und bitte hören Sie endlich auf, Ihre Werbepost an die Kanzlerin hier ins Amt zu schicken! So war das neue Meldegesetz nämlich nicht gedacht!

Gestern zwei Säcke, vorgestern zwei Säcke, alles voller alter Säcke. Gut, ist im Kanzleramt jetzt nicht so ungewöhnlich, aber auf die Dauer stört es doch. Die schicken Briefdrucksachen und Infopost und Prospekte und Preislisten. Seitdem sie die Privatanschrift der Kanzlerin rausbekommen haben. Wird jetzt natürlich alles nachgeschickt. Und dabei waren wir uns so sicher, dass das nur diese – wie heißt das da noch gleich? Nee, diese Leute, die da immer so… also dieses Zeugs halt – Volk! Volk, ich kam nicht drauf, Volk natürlich. Dass das Volk davon betroffen ist. Leider auch die Kanzlerin.

Diese Musterbücher sind zwar ganz hübsch, aber könnten Sie die vielleicht trotzdem vom Tisch nehmen? Einerseits brauchen wir gerade keine neuen Tapeten, und andererseits haben wir die doppelt. Und hier ist bloß ein einziger Schreibtisch. Vermutlich haben die das zweite Exemplar aus lauter Dankbarkeit den Jungen Liberalen schicken wollen und hatten die Adresse nicht. Unbekannt und verzogen, das soll auf die ja beides zutreffen.

Am Anfang dachten wir ja, die Aigner hätte sich einen Scherz erlaubt, von wegen: wenn Ihr meine schöne Symbolpolitik gegen Facebook kaputt macht, dann räche ich mich eben auf die Art. War dann aber gar nicht von ihr. Weil, dann hätte sie ja vorher Facebook verstehen müssen.

Was haben Sie denn da, Kundenzeitschriften? Das Häkelkränzchen? Nationale Blätter? Du und Dein Gebiss? Wer liest denn so einen Dreck? Ach, als Hinweis der deutschen Presseverleger? Wenn sie nicht ihr Leistungsschutzrecht bekommen, liefern sie den ganzen Schmadder weiterhin frei Haus? Das nenne ich mal Service.

Vor allem diese Zusatzgeschäfte – Querverkäufe und der ganze Kram. Kauft sie sich einen neuen Hosenanzug, schon kommt ein Prospekt mit Pumps, legt sie sich eine Matratze zu, liefern sie den Bettwäsche-Katalog, bucht sie ein Hotelzimmer für den Euro-Krisengipfel, hat sie ein Angebot über eine Risikolebensversicherung – Rotwein? Braucht sie nicht. In diesem Laden wird nur noch Schnaps gesoffen, das merken Sie doch.

Man munkelt ja, dass das ein paar Aktivisten waren. Weil die Kanzlerin nicht alleine damit dasteht. Schäuble kriegt pro Tag einen Zentner Post, Seehofer auch. Wir haben allerdings noch nicht in Erfahrung bringen können, wer sich die Adressen vom Einwohnermeldeamt besorgt hat. Datenschutz, Sie verstehen schon.

Produktproben? Stellen Sie’s zu den anderen da auf den Tisch. Da ist noch Platz neben den Keksen und der Pflege für die vollreife Haut. Unsichtbar? Stellen Sie’s halt unter den Tisch, wenn Ihnen das peinlich ist. Wobei, das muss ja Ihnen nicht peinlich sein, schließlich hat die Kanzlerin selbst diesen ganzen – kein neutraler Karton? Viagra? Haben die schon wieder Viagra geschickt? Was fällt denen ein, wir haben doch dreimal gesagt, dass wir keinen Bedarf haben. Eine Großpackung? Schicken Sie’s zu Pofalla rüber, der hat’s nötig.

Schon probiert. Ummelden bringt nichts. Das wäre auch außenpolitisch etwas kompliziert. Wir müssten dann sagen: die Kanzlerin hat zwei Standpunkte, kann sich aber für keinen entscheiden. Zwei Standpunkte. Dabei hat sie doch sonst nicht mal einen.

Immerhin verdienen dabei die Kommunen. Sie müssen als Bürger bezahlen, dass Sie Ihre Daten ins Melderegister reinbekommen, und dafür kassiert die Gemeinde dann Geld, wenn sie es verkauft – finanzieller Lastenausgleich, sozusagen. Diese schwarz-gelbe Koalition ist gar nicht so ungerecht, wie viele denken. Und, wie gesagt, die Kommunen verdienen noch daran. Das ist doch wirklich echt ungewöhnlich: Die Kanzlerin beschließt etwas, aber es wird trotzdem nicht teurer als geplant.

Das größte Problem hatten wir ja mit Friedrich. Der hat vielleicht geschäumt – gut, der schäumt immer, das ist nicht der Rede wert, aber diesmal hat er gedacht, er hätte ausnahmsweise einmal etwas richtig gemacht. Der ist hier eine Woche lang durch den Bundestag stolziert und hat behauptet, er hätte endlich eine eigene Vorratsdatenspeicherung. Da hat er sich selbst mit der Wirtschaft verwechselt. Komisch, das passiert doch sonst nur der FDP?

Schuld ist doch letztlich Jogi Löw und die DFB-Mannschaft. Wer rechnet denn damit? Finale, dann eine Woche Freudentaumel, alle Schlagzeilen in Schwarz-Rot-Gold, hätten Sie denn gedacht, dass sich da jemand für Politik interessiert? Das ist doch Vaterlandsverrat! Perfide! Also von den Fußballern.

Dass wir der Datenweitergabe nicht mehr widersprechen konnten, hatte regierungsamtliche Gründe. Doch, diesmal wirklich. Die Regierung wollte einmal in vier Jahren ein widerspruchsfreies Gesetz hinkriegen. Außerdem ist das ein enormer justizpolitischer Fortschritt – diese Chaotenpartei will Downloaden und Kiffen entkriminalisieren, wir legalisieren den verbotenen Adresshandel. Das nenne ich mal gelebte Demokratie!

Und jetzt nehmen Sie bitte diese verdammte Dauerwurst hier weg. Ich kann das Zeug nicht mehr riechen!“