„Und für die Kinder wird gar nichts getan?“ „Wir wollten ja die Netzzensur, aber es ging nicht.“ „Und die Urheber haben auch das Nachsehen?“ „ACTA ging einfach nicht. Aussichtslos.“ „Und vor diesen Neonazis müssen wir auch klein beigeben?“ „Aber nicht doch – dafür haben wir jetzt eine Warndatei.“
„Und das funktioniert?“ „Diesmal bestimmt.“ „Weil es vorher ja nie funktioniert hatte?“ „Die Tücke des Objekts. Der Wald vor lauter Bäumen.“ „Der Verfassungsschutz hat also ganze zwanzig Jahre gebraucht, um den organisierten Nazismus zu entdecken?“ „Neonazismus, bitte.“ „Egal – diese Verfassungsschützer haben seit Michael Kühnen im Tiefschlaf gelegen?“ „Man sollte historische Fakten nicht zu schnell bewerten wollen. Das braucht seine Zeit.“ „Hoyerswerda?“ „Das war der Volkszorn.“ „Die Münchener Synagoge?“ „Wissen Sie, diese moderne Architektur…“ „Wenn aber der Verfassungsschutz nicht mehr in der Lage ist, unseren freiheitlichen Rechtsstaat vor den Gefahren des Extremismus und des Terrorismus zu schützen?“ „Dann werden wir knallharte Konsequenzen ziehen müssen.“ „Beim Verfassungsschutz?“ „Wir fangen da bürgernah an, nach Möglichkeit bei Personen, die wegen ihrer Hautfarbe oder Religion nicht in den deutschen Volkskörper zu integrieren sind.“
„Ist der Inlandsgeheimdienst überhaupt noch reformierbar?“ „Bitte nicht dieses reißerische Wort, ich kann das schon nicht mehr hören.“ „Dass es ein Geheimdienst ist?“ „Dass Sie uns mit Reformen kommen. Genauso können Sie vom Auswärtigen Amt verlangen, Ribbentrops Dienstanweisungen außer Kraft zu setzen.“ „Sind Ihnen denn die Schlapphüte lieber, wenn sie ohne einen Ansatz zur Reform wie bisher weitermachen?“ „Ich würde sie eher nach dem Modell des Außenministeriums betreiben.“ „Als Brutstätte der Korruption?“ „Das mag ein angenehmer Nebeneffekt sein, vor allem sollten wir sie als extralegalen Abenteuerspielplatz betrachten und künftig in Ruhe lassen.“
„Was nützt es uns denn, eine Warndatei mit Neonazis einzurichten?“ „Wir sind gewarnt. Und was noch wichtiger ist, wir haben eine Datei.“ „Also Material, das zur erkennungsdienstlichen Behandlung mit anderen Datensätzen abgeglichen werden kann, legal oder nicht.“ „Wir sehen diese Datei vor allem als eine Datei, damit wir eine Datei haben. Sollte es nochmals zu einem oder mehreren Anschlägen kommen, bei denen ein eindeutig nazistischer Hintergrund trotz intensiver Tätigkeit der Ermittlungsbehörden nicht zu leugnen ist, werden wir spätestens nach der Verhaftung der Täter sofort sagen können, ob sie in der Datei erfasst worden waren.“ „Und wenn nicht?“ „Dann sind die deutschen Sicherheitsbehörden ihrem Ruf gerecht geworden und haben neben der Regierung dieses Landes noch einen Moment Zeit gefunden, einen so nicht vorhersehbaren Ermittlungserfolg zu erzielen, der für die Qualität der deutschen Polizei spricht und unter der Zuhilfenahme von Vorratsdatenspeicherung und Trojanern noch viel schneller gelungen wäre.“
„Die aktuellen Ermittlungspannen sind doch wohl nicht als taktische Fouls zu deuten?“ „Warum nicht? Moral schießt keine Tore.“ „Es handelt sich also um gezielte Straftaten, denen…“ „Wieder diese harten Worte – es waren absichtliche Verfehlungen, das muss man nicht auch noch gezielt falsch darstellen wollen.“ „… gezielte und vorsätzlich begangene Straftaten, um die Arbeit des Verfassungsschutzes zu torpedieren?“ „Ihnen ist sicher nicht fremd, dass auch wir den Gesetzen des Arbeitsmarktes unterworfen sind. Nur sind wir im Gegensatz zu Politikern nicht durch Ruhegehalt und Ehrensold angesichert, wir müssen für unsere Bezüge knallhart und konsequent Ergebnisse liefern. Da bleibt viel hängen. Nennen wir es ein Stockholm-Syndrom. Ohne die enge Kooperation mit den Feinden unserer Verfassung wüssten wir gar nicht mehr, was wir für unser Geld noch tun sollten.“ „Sie wissen es wirklich nicht?“ „Ja, was denn? Etwa die NPD auflösen?“
„Manchmal frage ich mich, warum wir uns nach den Erfahrungen unserer Geschichte einen solchen Polizeistaat überhaupt leisten.“ „Weil wir es können – die Investitionen sind jedenfalls sicherer als bei ein paar Oppositionellen, die uns mit Demokratie auf die Nerven gehen.“ „Da irren Sie sich. Wir sind gerade als Deutsche besonders verpflichtet, uns für die Einhaltung von demokratischen Standards einzusetzen, beispielsweise in China.“ „Sie sind es, der sich irrt. Wir sind dank unserer Regierung in der Lage, uns einen Dreck um Menschenrechte kümmern zu müssen. Beispielsweise in China.“
„Es führt kein Weg daran vorbei. Dies ist der letzte Versuch.“ „Für Sie vielleicht, bevor die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten endgültig im Abgrund verschwinden.“ „Dafür werden Sie und Ihre Behörde geradestehen.“ „Aus Erfahrung: nein. Wir haben erst alles über linken Terrorismus gesammelt, aber nichts über Neonazis. Jetzt haben wir den Islamismus als Ausrede, nichts gegen Rechts zu tun. Was hindert uns, genau so weiterzumachen wie bisher?“ „Die Öffentlichkeit wird sich für Ihre Nazidatei interessieren:“ „Die wird auch wieder nur ein Feigenblatt sein, um unseren Anspruch auf lückenlose Überwachung zu rechtfertigen. Gegen Nazis und die anderen Oppositionellen hilft nur eine umfassende Vorratsdatenspeicherung.“ „Damit müsste Ihre Behörde jedoch zugeben, dass es sich bei den Neonazis um Terror handelt. Sonst greifen am Ende die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht, um eine Überwachung zu installieren.“ „Ach was, das klappt schon.“ „Sie meinen, diesmal klappt das tatsächlich. Falls…“ „Was?“ „Falls wir nicht wieder aus Versehen alles löschen.“
Satzspiegel