Gernulf Olzheimer kommentiert (CLIX): Kellner

20 07 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das Glück, es geht gerne die einfachen Wege. Zwei Spiegeleier in der Pfanne, ein Kasten Bier im Kühlschrank, mehr bedarf es ja selten, um Leib und Seele zusammenzuhalten. Selbst Lebensentwürfe, die auf gedünstetem Fisch an Fenchelgemüse und Apfel-Rhabarber-Schorle beruhen, sind innerhalb des Erträglichen und lassen sich ohne Zuhilfenahme unbefugter Dritter verwirklichen. Das Dilemma beginnt erst, wo das Dasein komplexere Strukturen ausbildet, auf Reisen, in der Auseinandersetzung mit der sozialen Gruppe oder da, wo die schlechte Angewohnheit obsiegt. Das Wesen, das uns von der natürlichen Schlichtheit des richtigen Lebens trennt, ist der Kellner.

Er ist entweder gar nicht erst vorhanden, steht wie angenagelt in der hintersten Ecke des Raumes oder bewegt sich in der vierten Dimension, aus der er erst dann schemenhaft auftaucht, wenn er schon zur Hälfte den Speisesaal wieder verlassen hat. Anatomisch besteht er zu 152% aus Rücken, hat keine Sinnesorgane, antwortet reflexartig auf grobe Reize – beliebt sind etwa „Weiß ich nicht“, „Ist aus“ oder „Nicht mein Tisch“ – und scheint die ihm Schutzbefohlenen disziplinieren zu wollen. Wer ungefragt nach weniger als einer halben Stunde sein noch nicht ausgeliefertes Pils reklamiert, findet sich ansatzlos in einem längeren Sermon über die starke Arbeitsüberlastung des Bedienpersonals wieder. Nicht eins, drei Biere hat der Mundschenk zu beaufsichtigen, und wer ihm vorschreiben wolle, wie man angesichts dieser intellektuellen Schwerlast noch Herr der Lage zu bleiben habe, der solle gefälligst selbst seine Plempe durch die Kaschemme schleppen, für das andere Pack gleich mit, dann könne er, der Aufwärter, sich wenigstens sinnvolleren Dingen zuwenden und weiter die Maserung der Theke studieren, statt sich mit dem Gelump zu befassen, das am Ende nicht einmal mit dem Trinkgeld herüberkommt. Man hätte sie alle als V-Männer im Untergrund entsorgen können.

Dämonologen wollen herausgefunden haben, dass diese Spezies sich aus dem Stand in Luft verwandelt. Wie eine Fata Morgana gaukelt die kongenital an Bandscheibenverschwiemelung leidende Watschelwurst phasenweise An- oder Abwesenheit vor, was Teilchenphysiker zu der Annahme verleitet, es handelt sich bei der Bedienung lediglich um eine subatomare Störung der ansonsten funktionierenden Symmetrie. Mehr wäre von einem Bembelschwenker auch nicht zu erwarten gewesen als die Inkarnation von Phlegma.

Andererseits braucht es nur den Gang in ein höherklassiges Etablissement, um zwischen Damast und Porzellan zu konstatieren: es gibt zu viele Kellner. Der Vorteil ist, dass auch hier der Gast kein Aerobic zu vollführen braucht, um ein Glas Wasser zu ordern, denn das Gehampel übernimmt die Servierbrigade. Die allerdings bauscht den Tausch eines Fischmessers mit choreografischer Hysterie zu einer konzertierten Aktion aus, gegen die das Spanische Hofzeremoniell vergleichsweise schlicht erscheint.

Damit wäre die Gemeinsamkeit mit dem Gartenlokalisten erledigt, abgesehen vom längst flächendeckenden Einsatz un- bis maximal angelernte Kräfte, die selten auch nur das Grundvokabular des Berufs beherrschten: zwei Teller gleichzeitig tragen, sich drei Weine merken und Gläser mit ungefetteten Fingern anfassen; so trägt der Domestik am einen Ende des Tisches den Braten auf, während am an deren Ende das Gemüse sich mählich der Umgebungstemperatur nähert. Der Rest der weiß beschürzten Armee steht steif mit gezogener Flappe in der Botanik und ist sich viel zu fein, dem Kunden das Salz zu reichen. Die Patzigkeit des Tellermimen mag aus der Kränkung resultieren, dass er nach zwanzig Semestern Politologie Schnitzel durch die Innenarchitektur hebelt, doch der unangenehmste Phänotyp schuppt sich aus der Pelle, wo der Gast per definitionem nur Staffage für das Hochamt am Saucenpfännchen ist: in den öligen Tempeln der Sterneküche.

Hier kredenzt der Ober-Macker im Bewusstsein des eigenen Dünkels Pommes de Tüdelü, raunzt den Konsumenten an und spielt sich als Lokal-Matador an den Bühnenrand – dumm, wenn auch er nur kompensiert, dass er nur billige Tellerdeko ist, dessen Gesicht Fresspäpste schnell abfrühstücken, ein austauschbarer Jobber auf der großen Schnitzeljagd, den man aus Liebe zur gehobenen Pinte mit Weinkeller in Kauf nimmt, solange er die Klappe hält.

Wenigstens die Fast-Food-Gastronomie hat das Dilemma erkannt, die Speiseausteilungsfachkraft zwischen Kasse und Küche eingeklemmt, und lässt den zahlenden Gast das Lauf- und Stehpensum erledigen. Der Berg kommt also zum Propheten, immerhin findet sich dort Atzung, wenngleich bisweilen in zweifelhaft formunschöner Gestalt und nicht selten als Fett-Zucker-Konservierungsstoff-Pamps im Papppäckchen. Aber sei es so, kein schwadronierender Schwätzer, Gabelhochstapler oder Filetbuster wird einen hernach fragen, ob’s denn geschmeckt habe. Leises Aufstoßen begleitet die resignierte Antwort: „Stimmt so.“


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