Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXIV): Schnäppchenwahn

31 08 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Der Urgrund des Handels liegt im Tausch. Korn und Keil, Messer und Mehl sind Mehr- und darum erstrebenswert, und mit der Erfindung des schnöden Mammons muss der geneigte Troglodyt auch nicht mehr sein Mammut frisch erlegen, um einen Speer für die Sammlung zu erwerben. Wie viel Mammut für welchen Speer, das regelt der Markt, der die Interessen aller Teilnehmer gegeneinander aufwiegt und ausgleicht. Es sei denn, auf einmal kommt der Billigspeer in Mode, Ngg bekommt für eine saftige Keule drei Spieß zum Preis von zweien oder aber die extra langen, die einige Täler weiter erfunden wurden. Wo auch immer er die Dinger in seiner Höhle verrümpelt, seiner ist länger. Und damit beginnt eine der Tragödien des Kapitalismus, der ungebremste Schnäppchenwahn.

Die klinischen Anzeichen einer ausgereiften Hysterie pflastern den Weg am Grabbeltisch, wo ausgemusterte Ware sich unterhalb des Preisgefüges zum Limbo mit der sozialen Marktwirtschaft trifft. Ein kreischendes Bündel enthemmter Konsumenten allerlei Geschlechts vergräbt die Riechkolben in Polyester und Gablonzer Geschmeide, speichelt im Angesicht des Rausverkaufs vor Entzücken die Heldenbrust voll und wälzt sich im Ausschuss einer auf Profitmaximierung gestützten Wirtschaft, die den Heuschrecken ihre Existenzgrundlage sichert. Schnell soll es sein, billig soll es sein, und gut. Aber so edel und hilfreich ist der Markt gar nicht, sein Angebot krankt immer an den einen oder anderen Realitäten. Eins der drei bleibt immer auf der Strecke. Warum also sollte ausgerechnet der Preis der Ware die Variable sein, die die geistig nicht gesegneten Günstlinge des Verbrauchs zu jenem höheren Wesen machen, das wir verehren?

Weil wir doof sind. Der neoliberale Zangengriff des Konsumfetischisten hat sich bereits wie ein Virus ins Gehirn der Masse geschwiemelt, vor lauter Wachstums- und Wohlstandsgeplärr knipst sich die Birne selbst aus. Denn längst haben sich nicht nur Mensch und Messer, längst haben sich Produktion und Konsum der Ware so gründlich voneinander getrennt, dass für den gemeinen Dorfseppel die Ananas in der Dose wächst und die Möbel aus dem Karton kommen. Wer weiß noch, dass Arbeit hinter dem Mehl und hinter dem Faustkeil steht, da sie von Maschinen verrichtet wurde und den Beknackten schleichend, aber nachhaltig überflüssig macht in einem Wirtschaftskreislauf, der das Konsumvieh nur noch um seiner selbst braucht, höchstens noch, um die Aktienindizes ins statthafter Höhe zu halten? Kaufen soll der Rauschteilnehmer, sonst wacht er zu schnell auf. Und so lässt der Bescheuerte tollens prollens die diabolisierende Emotionalisierung des Einkaufs über sich schwappen, die kam noch mit dem Produkt verbunden ist, höchstens noch mit dem Kaufakt: Stöbern, Greifen, schweißtreibende Verteidigung des Erbeuteten an der Resterampe, Tausch gegen Bares, Triumphzug in die Heimat und, da Reklamation bei reduzierter Ware sinnlos scheint, mähliches Verklappen der Materie in den Löchern des Vergessens.

Hakt sich der subfontanelle Wabber fest, so sind wir angekommen in der selbstzerstörerischen Geiz-ist-geil-Mentalität, die das Gefüge der Warenwelt aus der Balance bringt. Der Drang nach immer mehr Gegenwert für eine Menge an gutem, schönem Baren zerstört nachhaltig Sinnhaftigkeit und Folgen des Ganzen, da es die Kausalität außer Kraft setzt. Mehr für weniger, vulgo: Sparen, ist Streckung verfügbarer Mittel, die rückstandsfrei ins ökonomische Recycling flössen, gäbe es nicht einen guten Grund zur Zurückhaltung, Not, Sorge, die Aussicht auf Reichtum oder, und hier kommt die Wirklichkeit ins Spiel, ein vernebeltes Hirn, das über den Konsum sich Status vorgaukelt, und nicht nur sich allein. Wir konsumieren für möglichst wenig, um auch mit italienischem Schuhwerk und Kaviar samt Lametta vom früher zu protzen, damit wir uns an die jeweils oberhalb liegende Schicht anwanzen. Allein es will nicht gelingen. Natürlich weiß der Nachbar, dass es im Ramsch keinen Sperrholz-Palast gibt und wo in „Gold-Imitat“ die Betonung hockt. Dümmer noch, die Reise geht ad absurdum, als würgte man zur Gewichtsreduktion täglich einen Zentner Joghurt hinters Zäpfchen, weil man davon ein halbes Pfund abnimmt. Man spart nicht mehr am Grundkonsum, um sich zum besonderen Anlass qualitativ hochwertige Ware zu leisten, sondern schaufelt die Kohle brüllend vom Balkon, so dass zum Schluss nichts mehr bleibt. Stillstand ist die logische Folge, wie sie sich die Nanodenker mit etwas Grundausstattung hätten aus der Rübe rattern sollen. Doch vielleicht ist gerade dies der Trick, dass sich Ngg gerade noch einen Zweitspeer leisten kann, wo die Preise im freien Fall sind. Ein Tal weiter wird es schon wieder keiner schaffen, der nicht ein komplettes Mammut und zwei Portionen Eichhörnchen anschleppt. Im übernächsten Tal freilich langweilt sich die Hominidenelite bereits am Drittspeer. Wie gut, dass das nicht jeder weiß.





Poltergeist

30 08 2012

„… zu einem Eklat gekommen. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt hatte den Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi als Falschmünzer…“

„… nicht die Meinung der Christsozialen sei. Söder unterstütze zwar den Austritt aus dem Euro, sei aber ein Verfechter des Blasphemieverbots und wolle daher die EZB auf keinen Fall…“

„… müsse man die Kritik schon ernst nehmen. Die bayerische Justizministerin Merk warnte vor schleichender Unterwanderung durch sozialistische Italiener, wie es schon bei Berlusconi in den…“

„… Zustimmung nicht nur von den Freien Wählern erfahren habe. Eine ebenso positive Resonanz komme von der NPD, weshalb ein neuer Verbotsantrag vor den Landtagswahlen nicht von München zu erwarten…“

„… dass Seehofer seinen Sekretär offiziell für dessen Wortwahl gerügt habe. Aus Dobrindts Umfeld sei gleichzeitig zu hören gewesen, der CSU-Chef sei lediglich verstimmt, da er selbst nicht den Schneid gehabt habe, die EZB zu …“

„… sei es trotz der öffentlichen Lärmentfaltung noch immer das beste Verfahren, Blindgänger kontrolliert explodieren zu lassen. Ob dies auf die CSU zu übertragen sei, wolle die Feuerwehr jedoch noch nicht…“

„… habe IM Friedrich die Debatte nicht vollständig verfolgen können, da er den ganzen Vormittag mit der Reform des Verfassungsschutzes beschäftigt gewesen sei. Nach Einschätzung der Terrorismusexperten im Innenministerium könne Draghi bei der unkontrollierten Geldvermehrung auch große Mengen an Blüten einschleusen, so dass die Finanzierung europakritischer Banden…“

„… sei die Kritik an der CSU nicht in dem Maße angebracht, wie sie aktuell von Presse und Koalitionspartnern geäußert würde. Dobrindt habe sich stets für mehr Europa eingebracht, so die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe Hasselfeldt; er äußere sich nicht nur bei Themen, von denen er etwas verstünde, sondern würde sich ebenso…“

„… zugleich als Regierungspartei die Vergemeinschaftung der Schulden mitzutragen und gleichzeitig sie als Opposition abzulehnen. FDP-Generalsekretär Döring habe den Erfolg dieses Handlungsmusters bereits bestätigt und wolle für den kommenden Bundestagswahlkampf eine noch engere Bindung an die Bayern in der…“

„… in einem juristischen Gutachten der CSU-Landesgruppe bestätigt, dass ‚Falschmünzer‘ in Zeiten des virtuellen Geldes nicht mehr als Beleidigung zu verstehen sei, sondern als freundschaftliche, ja liebevolle Ansprache wie ‚Sauhund‘ oder…“

„… abgewiegelt. Staatsministerin Haderthauer habe betont, sie stimme Westerwelle zu, wenn er ein Ende des Griechenland-Bashings fordere, sie erinnere allerdings ebenso daran, dass Mario Draghi kein Grieche, sondern…“

„… nicht mehr auszuschließen, dass Dobrindt demnächst im Bayernkurier ein Verbot von Tschüß im Freistaat fordere, Lederhose und Dirndl zur Uniform an allen öffentlichen Schulen einführen wolle und Bier nicht mehr als alkoholisches Getränk zu deklarieren gedenke. Dies sei nicht nur als Teil derselben Wahlkampfstrategie zu betrachten, ebenso wie die Beleidigung des EZB-Präsidenten biete es auch keine Lösung der Euro-Krise und spreche daher ganz besonders den Intellekt der Kernwählerschaft in…“

„… das Fahrzeug zwar in Sendling geparkt, jedoch in der Nacht entglast worden sei. Die CSU gehe davon aus, dass es sich um einen Racheakt der Grünen…“

„… dass die Europäische Zentralbank keine Staatsanleihen kaufen dürfe. Zu möglichen Alternativen wolle sich Dobrindt vorerst nicht äußern, wie es aus der CSU-Spitze verlaute; erst wolle er sich genau informieren, was Staatsanleihen seien und wie die EZB damit…“

„… komme ein Gegengutachten der EU-Kommission zu dem Ergebnis, in der heutigen Zeit des elektronischen Zahlungsverkehrs lasse sich der Begriff ‚Falschmünzer‘ metaphorisch durchaus als Vorwurf sehen, den Zinssatz manipulativ…“

„… empfehle Gauweiler seinen Landsleuten, für Ruhe zu sorgen. Eine absolute Mehrheit für die Christsozialen bei den kommenden Landtagswahlen sei ein geeignetes Ordnungsmittel, um die…“

„… rate Seehofer den Medien jetzt zu mehr Fingerspitzengefühl. Die Äußerungen seiner Partei seien in den kommenden zwölf Monaten immer auch als politische Positionierung von, für und in Bayern zu begreifen, weshalb es keinen Anlass zur Einmischung in innere Angelegenheiten des…“

„… setze sich die CSU nach wie vor für ein Europa der Regionen ein, wolle allerdings bei einer Schuldenunion dem Verbund nicht mehr angehören. Verfassungsrechtlich, so Uhl, sei dies leicht durch eine Trennung Bayerns aus der Bundesrepublik…“

„… nach Aussage der Polizei in Weilheim um einen alten oberbayerischen Volksbrauch handele. Der Pferdekopf vor der Haustür sei zufällig von den Nachbarn…“

„… habe der Erzbischof von München und Freising Reinhard Kardinal Marx auf Anfrage der CSU bestätigt, dass es sich um einen Poltergeist handeln könne. Aus kirchenrechtlichen Gründen habe der Gottesmann jedoch empfohlen, Dobrindt mit herkömmlichen therapeutischen Mitteln…“

„… sei Merkel nicht grundsätzlich für eine Trennung der CSU von ihrer Schwesterpartei. Die Bundeskanzlerin habe hervorgehoben, dass die CDU mit wenig organisatorischem Aufwand bei den Landtagswahlen als gesamtdeutsche…“

„… möglichst rasch zu handeln. Wegen seiner Fachkompetenz sei Dobrindt ohne Gegenstimme nach Brüssel als EU-Kommissionsberater für Angelegenheiten ohne Geschäftsbereich in der…“





Dreisprung

29 08 2012

„Alle beide? Also jetzt dreimal, oder was? Zwei, aber dann in drei – die drei doppelten Doppel, oder dreifach doppelte – wie jetzt!? Also drei Doppel als Spitze, als dreifache Doppelspitzen auf die Plakate, oder war das – Herrschaftszeiten, dann drücken Sie sich halt deutlich aus, ich kann doch auch nicht hellsehen, wie Rot-Grün den Bundestagswahlkampf auf die Reihe kriegt!

Querformat, ’türlich. Hochkant kriegen Sie die Roth ja eh nicht auf so’n Plakat. Nee, Gabriel erst recht nicht. Dann müsste man ja für die beiden ein Querformat noch viel querer – also Breitwand, oder wie das heißt, 16:9 noch mal im Quadrat, oder was, oder was soll das werden? Geht ja mal so gar nicht. Was wollen Sie da kommunizieren? Gürtel enger schnallen? Wir sitzen fett drin? Passt nicht. Lassen Sie das. Sonst machen Sie lieber Luftballons mit den beiden, das könnte ich mir noch vorstellen. Das wäre was. Luftballons. Mit Heißluft.

Die Künast könnte ich mir schon vorstellen, aber mit Steinbrück? Der doppelte Bundesminister-Bonus? Auf Landesebene Schwanz einkneifen, dafür können sie Bundesregierung? Nee, das geht ja nicht. Die machen keine Gesetze, die kündigen höchstens an. Dazu muss ich nicht die Dreifaltigkeit der CDU-Ruhemasse, Merkel und Schröder und von der Leyen, dazu muss ich die nicht abwählen. Und nach oben umverteilen können die auch, dazu brauche ich die nicht.

Bei Steinmeier haben Sie immer das Problem, dass er plötzlich ’nen Sprung in der Platte hat und wieder einen auf Außenminister macht. Und dann Trittin? Nee, doch nicht als Kanzler. Obwohl, eine Kanzlerin, die sich für den Außenminister hält – dafür haben wir ja auch einen Außenminister, der sich – Einklapper, das müsste man machen. So ’nen großen Einklapper. Nehmen Sie einen, den anderen kriegen Sie gratis dazu. Trittin ist ja in den letzten Jahrzehnten immer weiter in die Mitte gerückt. Und wenn er als Finanzminister Steinbrück verhindert, das wäre doch mal ’ne Maßnahme. Strauß stoppen heißt nicht Schmidt wählen? Ja, die haben wir noch irgendwo. Müsste man mal sehen.

Andererseits, Roth und Steinbrück wären auch mal den Versuch wert. Also den Versuch, ob man die deutsche Politik nach Merkel noch irgendwie humorloser kriegt. Das ist wohl die Neuauflage des Traumpaars Merkel/Seehofer: laut Pressemitteilung verstehen sie sich prächtig, zur Vorsicht reden sie aber nicht mehr miteinander. Der Schnöde und das Biest. Kann man machen.

Wissen Sie, wen ich gerne mal haben würde? Den Özdemir. Aber wir können dann ja warten bis Schwarz-Grün. Wo immer Özdemir dann antritt.

Dass Steinmeier mit der Künast kann, hat er ja mehr oder weniger – zuletzt mehr weniger, auch wieder wahr. Aber dass sie wegen des Fiskalpaktes der Kanzlerin auf die Nerven gehen, das ist doch für die Boulevardpresse, oder? Renate & Frank-Walter in Love? Nee, lassen Sie mal. Das ist nicht das defensive Mittelfeld, das ist Sturmschaden.

À propos ungetrübtes Verhältnis zur Macht, Gabriel und Trittin waren damit doch wohl hoffentlich nicht gemeint? Nicht wegen Trittin; den wird man als Fischers Fortsatz anerkennen, aber was ist mit der SPD? Wozu müssen die jetzt einen Bremsklotz als Kanzler aufbauen? Und was schreieben wir überhaupt? Das Gegenteil von gut ist gut gemeint? Yes, we can’t?

Erst die Werbekampagne? Und dann die Doppelspitze auswählen? Sicher, das ist mal richtig demokratisch. Und so transparent. Das läuft nicht mit unserer Agentur, sage ich Ihnen. Können Sie vergessen. Wir würden vorher gerne wissen, was wir für richtig halten. Wir müssten ja einen Sprung in der – einen Dreisprung, aber was für einen!

Steinmeier können Sie als linke Figur aufbauen, wenn Sie einen wie Kauder haben. Oder Clement ist noch nicht weg vom Fenster. Aber gegen die Roth? Oder ist jetzt Steinmeier die konservative Alternative? Das wird ja ein harter Brocken. Da müssten wir dann für Roth einen ganz neuen Stil entwerfen. Vielleicht eine Hirnspende für den Aufschwung – hat bei der FDP ja auch fast über die fünf Prozent geholfen. Oder: Rot-Rot-Grün ist machbar, aber nicht mit uns. Das würde doch prima zum Profil der Agenda-SPD passen. Da wissen Sie auch, diese Partei steht für eine moderne und sozial orientierte Marktwirtschaft – und es gibt einen todsicheren Weg, sie zu verhindern. Einfach mal Sozialdemokraten wählen.

Gabriel? Als guten Onkel gegen Künast? Perfekte Mischung. Gekauft. Das löst so ein gewisses Gefühl von Nostalgie aus. Ein Kanzler, der in sich ruht und nichts tut, um nichts falsch zu machen, und eine Vizekanzlerin, die um ihn herumkaspern darf. Ist eben nur die Frage, warum wir dafür extra neu wählen müssen. Gut, Künast meint es ernst. Das wäre schon mal ein Unterschied. Aber sonst?

Bleiben ja bloß noch Steinbrück und Trittin übrig. Das könnte tatsächlich etwas werden. Der eine hat die Mitte schon lange nach rechts verlassen und der andere will sie besetzen – würde wollen, weiß aber nicht, ob er wollen soll. Wo wir nicht sind, ist die Mitte. Klingt das gut? Naja, muss auch ja nicht.

Nur so als Frage, was macht eigentlich Kraft?“





Kontrolle ist gut

28 08 2012

„Das habe ich mir immer ganz anders vorgestellt – keine Sonnenkollektoren, keine gedämmten Wände und nirgends Wärmepumpen oder isolierende Fenster.“ Muckelmann lächelte überlegen. „Und wo sind wir hier?“ „Im Energiesparhaus“, antwortete ich irritiert. „Warum heißt das so?“ Da ich nicht begriff, worauf der Physiker hinauswollte, überlegte ich nicht lange. „Weil es Energie spart?“ Er lachte meckernd. „Falsch!“ Aber was dann? „Weil Sie hier lernen, wie Sie Energie sparen.“

Der Raum mutete an wie ein ganz normales Wohnzimmer. Eine Couchgarnitur war rund um den flachen Tisch aufgebaut, gegenüber stand eine Schrankwand, in deren Aussparung ein Fernseher den Fluchtpunkt der Innenausstattung bildete. Eine Deckenleuchte verströmte behagliches Licht, zwei Wandlampen beleuchteten die Bilder. Etwas sirrte leise im Hintergrund; es war jedoch so leise, dass man nicht genau ausmachen konnte, ob es wirklich im Hintergrund war oder doch schon in einem benachbarten Raum. Ich nahm auf der Couch Platz. „Sie müssen sich natürlich das entsprechende Haus um dieses Zimmer herumdenken“, klärte mich Muckelmann auf. „Die Waschmaschine und der Geschirrspüler sind höchster Energieeffizienz, in sämtlichen Räumen finden Sie nichts als Sparbirnen und automatisch abschaltbare Steckdosen, damit Sie nachts keinen Strom für den Stand-by-Betrieb des Fernsehers zahlen müssen. Die Folgen können Sie sich ja ausmalen.“ Ich ließ meinen Blick durch das behaglich eingerichtete Zimmer schweifen und nickte entspannt. „Die Stromkosten lassen sich leicht senken.“ Er lachte wieder sein meckerndes, provozierendes Lachen. „Falsch! Eine technische Neuerung, die Stromersparnis verspricht, führt mit Sicherheit zum Mehrverbrauch.“ „Das verstehe ich nicht“, wandte ich ein. „Wie kann man mit immer mehr Möglichkeiten zum Sparen den Verbrauch steigern?“ „Durch Kontrollverlust.“

Das Geräusch hatte sich unterdessen zu einem unangenehm hohen Pfeifton verdichtet, der aus dem Boden zu kommen schien. „Nehmen wir nur einmal diesen Fernseher.“ Der Energiesparhausmeister deutete auf das Gerät. „Kaum haben Sie sich einen sparsamen Flachbildschirm gekauft, schalten Sie ihn zu jeder Zeit ein und lassen dabei sämtliche Lichter brennen, weil Sie ja schon durch den Fernseher so viel Strom sparen. Und dazu haben Sie die Energiesparleuchten, weshalb Sie ja mehr Strom für den Fernseher aufwenden können. In der Summe werden Sie die Kontrolle über Ihren Verbrauch verlieren, weil Sie nicht mehr merken, was Sie verbrauchen.“ Das Pfeifen schwoll an; noch war es möglich, sich zu unterhalten, aber man konnte den Laut nicht mehr ignorieren. „Es wird lauter“, erläuterte Muckelmann. „kontinuierlich lauter. In gut einer Stunde wird man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Beim aktuellen Energieverbrauch dient uns dieses Signal als Messinstrument. Je mehr Sie den Durchschnitt überschreiten, desto unangenehmer wird es. Bis Sie den Fernseher freiwillig abschalten.“

Muckelmann erhob sich aus seinem Sessel und öffnete die Tür. „Kommen Sie“, forderte er mich auf, „hier haben wir etwas ganz Interessantes, das wird Ihnen bestimmt gefallen.“ Ich folgte ihm. Der Raum sah nicht anders aus, doch es war eindeutig schummeriger. Muckelmann stand in der Mitte des Raumes und schaute zum Fenster. Täuschte ich mich, oder nahm das Licht tatsächlich ab? „Sie haben ganz richtig beobachtet“, bestätigte er. „Es wird ganz langsam dunkler, und irgendwann ist es plötzlich ganz weg.“ „Eine merkwürdige Idee“, befand ich, „und was ist das Moderne daran?“ Er schmunzelte. „Gar nichts.“ „Aber dies soll doch den modernen Umgang mit der Energie darstellen“, fragte ich, „wie können Sie dann unmoderne Mittel verwenden?“ Muckelmann rückte sich die Brille zurecht. „Weil sie wirken, mein Freund. Weil sie schon immer gewirkt haben. Effizienz, das ist der Schlüssel zum Erfolg, so sagt man doch heute an jeder Straßenecke? Dann nehmen wir eben die effizientesten Mittel, die es gibt: das, was schon immer so war und sich auch nie ändern wird. Wie haben Menschen früher ihre Häuser beleuchtet?“ Ich überlegte. „Da gab es Gasleitungen, und wenn man die Lampen anzünden wollte, musste man…“ Er winkte ab. „Früher. Noch früher. Ganz früher, als Energie noch genauso kostbar war wie heute.“

Auch in diesem Zimmer war ein Zähler in die Wand eingelassen. „Sie sehen hier das übliche Leistungsspektrum einer ganz normalen Kerze“, erklärte Muckelmann. „Falls Sie fragen: ja, es ist eine Haushaltskerze aus Stearin, aber ich stelle das für Sie auch gerne auf eine Wachskerze um.“ „Ich verstehe, das Feuer – Brennstoff war knapp, die Leuchtmittel auch.“ Er nickte. „Kienspan, dann Kerzen, Petroleum, und lange danach wurden Gas und Elektrizität verwendet. Der Unterschied ist, dass Sie nicht mehr sehen, wie Strom fließt. Er ist da, man knipst die Lampe an und lässt sie drei Tage lang leuchten, weil kein Docht niederbrennt und kein Öl zur Neige geht. Man muss es für die Menschen erst simulieren.“ Plötzlich flackerte das Licht, und schon standen wir beide im Dunklen. Ich tastete mich langsam vorwärts und erreichte die Wand. Muckelmann stieß sich die Schienbeine am Couchtisch. Fluchend humpelte er in meine Richtung. „Sie sehen“, zischte er zwischen den Zähnen, „es funktioniert. Sie werden es lernen, weil sie es lernen müssen. Und dann starten wir das nächste Projekt.“ Er fasste nach dem Türgriff, den er nur um Haaresbreite verfehlte. „Ein Haus für die Demokratie.“





Unsicherheitskopie

27 08 2012

„… der Ex-Ministerpräsident Baden-Württembergs angewiesen, die Festplatte seines Bürorechners zu zerstören. Er habe dies nicht für die Partei getan, sondern im Interesse aller verfassungstreuen…“

„… auch der CDU-Landesvorsitzende Strobl das Vorgehen nicht beanstandenswert genannt. Es sei unter Schwaben seit hunderten von Jahren regionaltypischer Brauch, nach dem Verlassen eines Amtes feucht durchzuwischen, zu lüften, sämtliche Datenträger zu vernichten und die…“

„… habe die baden-württembergische SPD dem Chaos Computer Club 20.000 Euro zugesagt für eine zügige Wiederherstellung der…“

„… der Sicherheitsregierungsfachmann Hans-Peter Uhl die Löschung als völlig legitimen Vorgang bezeichnet. Es seien zwar ein dienstlicher Computer und prozessrelevante Akten gewesen, da aber Minus mal Minus Plus ergebe, müsse man bei einem Unionsmitglied…“

„… müsse sich um legale Daten gehandelt haben. SPD-Chef Gabriel wisse sehr wohl, dass diese erst durch Kopieren auf einen USB-Stick…“

„… sei auch in Frankfurt als völlig normales Vorgehen gewertet worden. So habe in der Zentrale der Deutschen Bank bisher jeder Mitarbeiter noch unmittelbar vor seiner Verhaftung den PC aus…“

„… man daran sehen könne, dass der ehemalige Landesvater ein Herz für die junge Generation zeigen wolle. Seine Aktion sei, von vielen nicht erkannt oder missverstanden, in Wirklichkeit als Statement gegen die Vorratsdatenspeicherung…“

„… laut Mappus’ Anwälten ähnlich wie der Einsatz von Wasserwerfern im Stuttgarter Schlosspark, die Rettung der Landesinteressen vor Wutbürgern nur durch gezielte Vernichtung von…“

„… sich beim Sturz aus dem Rollstuhl keine Verletzungen zugezogen habe. Schäuble hatte sich beim Versuch, das Gehäuse seines Bürorechners zu öffnen, an der Unterseite des Schreibtisches die…“

„… sich die Festplatte nicht in Mappus’ Besitz befunden, da sie ihm auf seinen ausdrücklichen Wunsch übergeben worden war. Dies habe Kauder als Wunder bezeichnet, das in einer christlichen Partei durchaus immer wieder…“

„… durch eine technische Panne. Westerwelle habe sein Notebook über einen Mittelsmann an die laut Zeitungsannonce erfahrenen weißrussischen IT-Spezialisten gesandt, so dass die Daten direkt auf die Steuer-CD…“

„… dass Mappus möglicherweise die Zerstörung von Computern als neuartige Form der Aktionskunst zu etablieren versuche. Er wolle in den kommenden Tagen jeweils einen Konzertflügel, ein Atomkraftwerk und die Fensterfront der Lutherkirche…“

„… habe die baden-württembergische CDU dem Chaos Computer Club einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag versprochen für die endgültige Zerstörung sämtlicher…“

„… für den enormen technischen Fortschritt. Anlässlich einer Podiumsdiskussion zur Geschichte der politischen Moral in Deutschland habe Gauck berichtet, er hätte seinerzeit die Stasi-Akten noch alle persönlich in den…“

„… habe der Altbundeskanzler keinen Befehl gegeben, die Unterlagen aus dem Verkehr zu ziehen. Die Anweisung sei möglicherweise spontan oder durch einen Blackout…“

„… laut Mappus’ Anwälten ähnlich wie im Falle von Max Strauß’ Laptop um Gefahr im Verzuge, da ein bösartiger Computervirus die sofortige Bearbeitung der Festplatte mit einer Rohrzange quasi zwingend…“

„… warne auch das Bundesinnenministerium vor schnellen Vorverurteilungen. Vermutlich habe der Ex-MP sein persönliches Engagement für mehr Datenschutz über die Ansichten der Partei stellen wollen und habe so zu viel Mut…“

„… durch den Amtsarzt bestätigt worden. Der ehemalige Bundesinnenminister de Maizière leide an einer psychosomatischen Erkrankung, die ihn bereits beim Anblick eines Aktenvernichters die Kontrolle über jeden…“

„… das bei Morgan Stanley gelagerte Duplikat nicht für eine Erpressung durch Mappus verwendet worden sei. Vielmehr habe Notheis selbst den Massenspeicher als…“

„… sich auf einer zweiten Partition neben illegal heruntergeladenen Filmen auch Spuren eines stümperhaft deinstallierten Ballerspiels angefunden haben sollen, die zum größten Teil in…“

„… Koch-Mehrin, Chatzimarkakis sowie Schavan, dass sich die Materialsammlung für ihre jeweiligen Dissertationen auf der Festplatte befunden hätten. Durch deren Löschung sei jetzt der Beweis der Fälschung nicht mehr zu erbringen, so dass sämtliche Doktortitel wieder…“

„… nach Aussage der Staatsanwaltschaft jedoch davon ausgehe, dass sich das Bernsteinzimmer zum Tatzeitpunkt nicht…“

„… nicht sichergestellt, dass die auf dem Server der Staatskanzlei gespiegelten Backups legal hergestellte Daten seien. Es könne sich laut Expertise des Unionsabgeordneten auch dann um eine Raubsicherheitskopie handeln, wenn Mappus nicht seine Zustimmung zu den…“

„… müsse Schäuble mehrere Schachteln mit Barbituraten versehentlich für Fruchtbonbons…“

„… den Tatsachen entspreche, dass Mappus den Datenträger mit dem Passwort muttihaltsmaul verschlüsselt habe. Die Kanzlerin habe noch nicht entschieden, ob der Ex-Landesvorsitzende nach Verbüßen einer Haftstrafe nach Namibia, in die Demokratische Arabische Republik Sahara oder in die CDU-Geschäftsstelle von…“





Bilden Sie mal einen Satz mit…

26 08 2012

für Robert Gernhardt

… Klavier:

Die Törtchen sind recht gut geglückt,
wenn Thekla vier davon verdrückt.

… Trompete:

Wo sonst wächst wild die Lilie,
da hat Rom Petersilie.

… Geige:

Da ihn des Saugers Schlauch verstört,
der Papagei geräuschvoll röhrt.

… Celesta:

Herr Schmidt will alles unterpflügen,
doch nur die Bratsche lässt er liegen.

… Posaunen:

Bei Finnen muss man so staunen,
sie tun sich rot den Po saunen.

… Fagott:

Wer Theologie treibt, wird dann
mit großem Eifer Gottesmann.





In fünf Zeilen um die Welt. Limericks (CVI)

25 08 2012

Filipe, der feuert in Luz
den Ofen an. An Hand und Fuß
verbreitet im Heim er
aus dem Kohleneimer
ein Meer voller Flecken aus Ruß.

Was Ante sich in Donji Grad
im Fernsehn ansah, fand er fad.
Dort fuhren im Kreise
auf sportliche Weise
zwölf Herren auf Zeit mit dem Rad.

Als Vítor sich in Marmelete
im Garten umsah, fand er Beete
voll Gurken und Rettich.
Er seufzte: „Ach hätt ich
doch nur einen Teich und ’ne Kröte!“

Als Buysmans hinausblickt in Etterbeek,
da stutzt er. Wie ging nur sein Vetter schräg?
Er tat’s herausfinden,
es kam von den Winden,
was, sagte man ihm, auch am Wetter läg.

Als Jorge die Kirche in Tôr
betrat, flog ihm etwas ins Ohr,
was ihn sehr empörte.
Man meinte, er hörte
voll Inbrunst so zuckend den Chor.

Peñato in Amatitlán,
zum Zahnarzt fuhr er mit der Bahn.
Und kaum losgezogen,
war alles verflogen.
Gerade hat’s noch wehgetan.

Mariza in Ponta do Sol
vernahm, wie die Säge erscholl.
Für Kreissägenlärmen
kann sie sich erwärmen,
es klingt für sie nur wundervoll.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXIII): Das Verständnis

24 08 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Mit etwas Glück beginnt der Tag noch mit einer Schusswunde, meistens jedoch ist es nur die jäh einsetzende Vibration des Fundaments, die in arhythmisches Klirren der Fensterscheiben übergeht und das Besteck der Schublade klappern lässt. Die obskuren Nachbarn, die ihren volkstümelnden Ufftata bis ans andere Ende der Straße schallen lassen, sind im Urlaub, in der Psychiatrie oder verstorben, jedenfalls tragen sie diesmal keine Verantwortung für den Generalangriff auf die Synapsen. Nach kurzem Abgleich von Realität, Blutalkoholkonzentration und Schwerkraft stellt der Gepeinigte fest, dass er weder Kinder noch Hunde in seinem Wohnbereich beherbergt. Noch könnte es sich irgendwo zwischen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung mit Todesfolge einpendeln, doch beim Anblick des Klebezettels auf der Haustür driftet die Stimmung in Richtung Mord. Die von der Hausverwaltung bestellte Tiefbaufirma, die sich anschickt, das Fundament mit Hilfe einer Horde Presslufthämmerer freizulegen und dazu die ganze Siedlung in Schwingungen zu versetzen, teilt knapp mit, dass sich die Aktion höchstens über 14 Tage, im günstigsten Fall jedoch nur über vier Wochen erstrecken wird. Sie dankt für unser Verständnis.

Verständnis wofür? Und warum eigentlich? Haben die Schwachmaten je auch nur nach dem Verständnis der tatbeteiligten Opfer gefragt? Verständigt haben sie sich jedenfalls nicht, bevor sie ihr Gerümpel in die Gegend klotzten. Für die kleine Portion Glibber unter der Kalotte reicht das sicher als Rechtfertigung, wie sie sich auch – so viel Großzügigkeit muss schon sein – selbst entschuldigen, statt darum zu bitten. Vermutlich danken sie sich auch selbst, wo sie schon einmal dabei sind. Denn mit Verständnis alleine kommt der Pausenclown auch nicht weiter. Warum bittet der Störenfried nicht um Vergebung? Um Begnadigung angesichts eines ohne aussichtslosen Verfahrens, in dem die Demut subtil vom Täter auf sein Opfer entsorgt wird.

Die Sache hat jedenfalls Methode. Was wem wie auf den Zeiger zu gehen hat, entscheidet normalerweise eine Zumutbarkeitsregelung – zwar fällt solch eine intellektuelle Zufallsgeburt unter sich selbst, sie ist ihren Schöpfern aber zuzutrauen. Stufenweise schwiemelt sich die Anmaßung in den Kernbereich der Belästigung vor; was eben gerade noch als Landplage galt, mutiert mählich vom Einzelfall über die Begleit- zur Dauererscheinung, die unter das Gewohnheitsrecht fällt. Das Leben als solches, niedermolekular verzahnt mit der Doofheit in ihrer idealtypischen Form, quillt geradezu über vor dümmlichen Dankesbezeugungen. Knietief waten wir in einem Morast der Erkenntlichkeit, den wir so nie abgesondert haben, jedenfalls nicht bei klarem Verstand.

Die Beispiele gleichen sich. Wir haben Verständnis zu haben dafür, dass die Beilagenänderung Aufpreis kostet (der Koch muss neu angelernt werden, wenn er Reis statt Kroketten auf den Teller kippen soll), dass es werktags nach acht keine Busverbindung mehr gibt (und davor auch nur zwei Kurzfahrzeuge, die exakt eine Minute vor Eintreffen der Schnellbahn abfahren), dass das Schwimmbad wegen kostendeckender Auslastung schließt, dass die Strompreise nach oben offen sind, die Waschmaschine nicht nach vier, sondern nach sechs Wochen noch drei Monate bis zur umgehenden Auslieferung benötigt oder der Stau passgenau da anfängt, wo die Dauerbaustelle in einem längst verwehten Jahrtausend die Neigung zur Staubildung bekämpfen sollte. Überall da, wo uns die Bekloppten das Versagen als Essenz der nur kollateral durchdachten Zivilisation vorgaukeln wollen, höhnt uns umgehend ein Springteufel aus verächtlicher Dankbarkeit.

Denn die vorgetäuschte Unterwerfung kommt zu spät. Ist der durchschnittliche Bürger von Lärm, Gestank und ungebremster Gebührenerhöhung schon maximal entnervt und malt sich aus, wie er in einer Blutlache auf dem Titel der Primatenpostille aussehen würde, hat er schon die Peitsche um die Ohren bekommen, dann erst wedelt irgendwo ein kleines Männchen quasi aus formalen Gründen mit einer Abbildung von Zuckerbrot: Hier, wir Knalltüten haben mal wieder den ganzen Laden in die Grütze geritten, natürlich ist uns klar, dass jetzt alle Beteiligten stinksauer sind, aber hey, Ihr vergebt uns, und dann tun wir’s auch nie wieder. Nicht vor dem nächsten Mal. Wir wollen ja nichts als Euer Verständnis. Wenn nicht, fahrt zur Hölle.

Ganz manchmal, wo sich die Arglist nicht wie vorgesehen durchsetzen kann – wahrscheinlich wird der Gast, dem der Kellner die Hollandaise auf den Scheitel pladdert, demnächst diensteifrig um Absolution beten, weil er nicht rechtzeitig genug Entgegenkommen geheuchelt hat – geht es nach hinten los. Überfüllte Züge? Schienenersatzverkehr und Klimaanlagen mit Funktionsumfang null? Alles geht. Wir haben Verständnis zu haben? Hüte Dich, schönes Blümelein. Es wird in Blut, Schweiß und Tränen enden, mit oder ohne Pressluftgehämmer. Ganz zum Schluss werden sie winseln: „Wir haben Verständnis!“ Dann danken wir. Fürs Geräusch.





Wahrsagerei

23 08 2012

Die Empfangsdame bei Trends & Friends servierte noch einen Kaffee. Mandy Schwidarski würde sicher jeder Augenblick kommen. Auch der Kunde sei bereits im Haus gesichtet worden. Ein ganz entspanntes Meeting, um eine Limonadenmarke auf dem europäischen Markt zu etablieren. Vor den Fenstern zwitscherten die Vögel in der Sonne. Warum nur starrte Minnichkeit mich aus großen, angsterfüllten Augen an? Und wer war diese Dame?

„Behalten Sie Platz“, begrüßte er mich, „Frau Schwidarski telefoniert eben noch mit Motschmann & Zuckersack, Sie ist jeden Augenblick hier.“ Damit wandte er sich um. Hilflose Gesten begleiteten seinen Versuch, mich der mittelalten, mitteldicken, mittelgrauen Person im mittelmäßig geschnittenen Kostüm vorzustellen. „Darf ich Ihnen Heidegundis Prätorius-Wüppenstiehl…“ „Frau Heidegundis Prätorius-Wüppenstiehl“, unterbrach sie ihn spitz. „So viel Zeit sollte schon sein, meinen Sie nicht?“ Ich machte versteckte Handzeichen, weil ich mir nicht ganz sicher war, ob sie die Buchprüferin oder aber seine Bewährungshelferin sei; so oder so, sie vermittelte den Eindruck einer strafverschärfenden Auflage. „Nichts dergleichen“, stöhnte Minnichkeit, „sie ist die Ethikbeauftragte.“

Ich reichte ihr die Hand zur Begrüßung. „Ihre Krawatte ist ekelhaft“, teilte sie mir vollkommen unbewegt mit. Hinter ihr stand Mandy, doch das schien Frau Prätorius-Wüppenstiehl nicht weiter zu stören. Genau genommen trug ich diesen rostroten Binder mit den babyblauen Streifen auch nur, um der Agenturleiterin eine Freude zu machen; schließlich war dies Ding im vergangenen Jahr ihr Weihnachtsgeschenk gewesen. „Wissen Sie“, gab ich zurück, „ich mag Menschen, die sich ihre natürliche Spontaneität erhalten haben und immer sagen, was sie denken.“ „Ich denke nicht“, knurrte sie. „Ja, den Eindruck hatte ich auch gerade“, stach ich sie in die Seite, doch sie schien das nicht zu stören. „Als Ethikbeauftragte habe ich für die Einhaltung der Wahrheit zu sorgen. Ich dulde keine Verfälschung oder Unterdrückung der Wahrheit.“

Herr Kindermann hatte zwar einen Sekretär mitgebracht, doch der störte kaum. Er schreib eifrig auf einem kleinen Block herum. „Vor allem die Flasche steht im Vordergrund“, schwadronierte der Fabrikdirektor, „wir hatten an eine völlig neue, dabei aber doch sehr gewohnte und vertraute Form gedacht, nicht direkt rund, eher so bauchig und auch richtig schlank und dabei sehr handlich ganz dezent, also sehr unauffällig. Haben Sie schon eine Idee?“ Minnichkeit hatte noch kaum Luft geholt, da fuhr ihm die Aufpasserin in die Parade. „Das geht ja alles gar nicht. Sie machen unerfüllbare Vorschläge, das kann so nicht gelten. Denken Sie genauer nach, präzisieren Sie Ihren Arbeitsauftrag.“ „Das hier ist ein Brainstorming“, zischte ich. „Wir ordnen die Gedanken später, und Sie halten jetzt den Mund.“ Kindermann war sichtlich indigniert. „Sie wissen“, ätzte er, „ich muss nicht hier arbeiten lassen, wir haben eine Menge Agenturen, die das alles sehr gut können.“ Mandy Schwidarski setzte ihr süßestes Lächeln auf. „Und jetzt beruhigen wir uns alle wieder.“ Ihre Stimme zitterte unmerklich. „Alles in Ordnung, es ist noch nichts passiert!“

„Wir haben da mal zwei Ansätze vorbereitet“, übernahm ich den Ball. „Die traditionelle Variante, gut für erfrischende Zitrusaromen, gelb bis grünlich oder leicht rosa, hätten wir hier in der Produktlinie Squotch, während unser klares Getränk mit ausgefallenen Geschmackskombinationen auf den Namen Blubbr hört.“ „Also könnte man Mandarine-Apfel oder Ananas-Süßkartoffel auch als transparente…“ „Die Namen haben nicht genug semantischen Gehalt.“ „Liebe Frau Prätorius, das…“ „Ich bin nicht Ihre Liebe“, knarzte sie, „und ich heiße Prätorius-Wüppenstiehl.“ Kindermanns Stift knickerte erregt mit dem Kugelschreiber (wahrscheinlich wusste er gerade nicht, welchen Teil des Gesprächs er notieren sollte), Minnichkeit knetete entnervt seine Fingerknöchel. „Außerdem ist diese Limonade ungesund.“ Mandy begann zu hyperventilieren. „Diese ganzen Aromastoffe und der Zucker sind gerade für Kinder und jugendliche Verbraucher nicht geeignet. Wahrscheinlich wird auf der Verpackung gar nicht darauf hingewiesen.“

Kindermann, seines Zeichens der führende Bio-Hersteller seiner Branche, knirschte hörbar mit den Zähnen. „Das Getränk geht an eine erwachsene Zielgruppe! Die trinken sonst Holunder und Litschi und das hier ist zuckerfrei, hören Sie? Zuckerfrei!“ Sie war nicht im mindesten beeindruckt. „Aber es ist Limonade, und wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass natürliche Frucht…“ Kindermann hieb mit den Fäusten auf dem Tisch herum. „Das hier ist ein Öko-Getränk“, röhrte er, „hören Sie? Öko! Bio! Gesund!“ „Wir dürfen die Wahrheit aber nicht…“ „Wussten Sie eigentlich“, sprach ich sie an, „dass Sie mit diesem billigen Parfüm den Körpergeruch gar nicht überdecken?“ „Ja aber…“ „Sie haben seit zwei, nein: drei Tagen schon keinen Kontakt mehr mit Wasser und Seife gehabt. Schlimm, wirklich.“ Sie lief krebsrot an. „Was fällt Ihnen ein!“ „Wir haben hier für die Einhaltung der Wahrheit zu sorgen. Keine Verfälschung oder Unterdrückung der Wahrheit, wenn ich bitten darf.“

Mandy war zufrieden, Kindermann und Minnichkeit freuten sich um die Wette. Wobei sich der Limonadenfabrikant im letzten Augenblick noch für einen anderen Namen entschieden hatte. „Es klingt ehrlicher“, meinte er. „Um der Wahrheit die Ehre zu geben.“





Schall und Rauch

22 08 2012

„‚Rauchen tötet‘?“ „Ist immer noch der Klassiker.“ „Aber das lässt sich doch so gar nicht auf die anderen Sachen übertragen.“ „Die Vorgabe der EU-Kommission ist doch nicht so schwierig: eine klare, einfache und unmissverständliche Aussage.“ „Und dann haben wir bald nur noch Verpackungen mit diesen fürchterlichen Bildern? Also ich weiß ja nicht.“

„Ich kann ja auch nichts daran ändern, aber wir müssen das jetzt so umsetzen. Alle gefährlichen Konsumgüter ausfindig machen und stigmatisieren. Das wird für Sicherheit sorgen.“ „Und das sorgt für einen nachhaltigen Lernerfolg?“ „Wozu?“ „Damit die Leute nicht mehr rauchen?“ „Natürlich rauchen sie weiter. Um Gottes Willen, stellen Sie sich mal vor, die Leute würden nicht mehr rauchen – diese Steuerverluste!“ „Aber warum müssen wir dann auf die Zigarettenschachteln schreiben, dass Rauchen gefährlich ist?“ „Stimmt das etwa nicht?“ „Sicher stimmt, das aber…“ „Na also. Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ „Aber warum werden diese Warnhinweise dann auf Zigarettenschachteln gedruckt, wenn man überhaupt kein Interesse hat, dass der Tabakkonsum zurückgeht?“ „Soll er ja auch nicht.“ „Warum dann die…“ „Der öffentliche Tabakkonsum soll zurückgehen. In Ihrer Wohnung dürfen Sie rauchen, wenn Sie das wollen.“ „Noch.“

„Gut, dann lassen Sie mal hören.“ „Fleisch?“ „Ich bitte Sie, was ist denn an Fleisch gefährlich?“ „Es ist fett, es enthält Rückstände von Hormonen und…“ „Meine Güte, das ist doch nicht das Fleisch – das sind die Inhaltsstoffe!“ „Wie, Inhaltsstoffe?“ „Was da drin ist. Fleisch an sich ist doch völlig ungefährlich.“ „Aber dann müsste man doch Tabak auch als ungefährlich einstufen. Den Krebs machen auch nur die Inhaltsstoffe.“ „Jetzt stellen Sie sich mal nicht dümmer an, als Sie sind.“ „Nein, echt – und außerdem ist das rein pflanzlich!“ „Gut jetzt, wir haben noch jede Menge anderer Sachen auf dem Zettel.“ „Aber man kann sich infizieren! Hühnergrippe, Schweinepest, BSE!“ „Und vom Salat kriegt man EHEC. Vergessen Sie’s, das kriegen wir nie durch.“ „Bei der EU-Kommission?“ „Bei den Fleischproduzenten.“

„Wie ist es denn mit Alkohol?“ „Haben Sie das immer noch begriffen? Es geht nicht darum, ob ein Stoff gefährlich ist, sondern um die äääh… also dass er, dass da halt eine Gefahr…“ „Eben, und das ist doch der Punkt. Wissen Sie, wie viele Menschen an den Folgen des Alkoholkonsums sterben?“ „Und Sie wollen jetzt auf jede Bierflasche ‚Alkohol tötet‘ schreiben!? Sie haben ja nicht mehr alle Tassen im Schrank!“ „Es sind sogar wesentlich mehr als beim Rauchen.“ „Erzählen Sie doch keinen Unsinn!“ „Sogar mehr als beim Passivrauchen, denken Sie an die vielen Verkehrstoten.“ „Jetzt hören Sie schon auf damit, wir kriegen das doch nie durch. Wissen Sie eigentlich wie viel die Brauereiwirtschaft dem Bundestag zahlt?“ „pro Jahr? oder pro Mille?“ „Sie regen mich langsam auf.“

„Fliegen?“ „Nein, schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Das können Sie vergessen.“ „Wieso denn nicht?“ „Sie meinen, weil mehr Flugzeuge abstürzen als Radfahrer ertrinken? Ist doch absurd!“ „Sie polemisieren.“ „Überhaupt nicht! Sonst würde ich doch behaupten, dass diese Nacktscanner an den Flughäfen gefährlich sind. Wobei, warten Sie mal…“

„Gummibärchen?“ „Machen Sie sich nicht lächerlich.“ „Wieso lächerlich, wir haben ein Verbot von Modeschmuck, wenn Kinder ihn für Gummibärchen halten und…“ „Aber kein Verbot von Gummibärchen.“ „Weil keiner erkannt hat, dass die Dinger gefährlich sind.“ „Hat Sie schon einmal eins im Wald überfallen?“ „Gummibärchen enthalten Zucker, die enthalten so viel Zucker wie Limonaden, denen man an den Schulen den kampf angesagt hat, und Zucker ist verantwortlich für Karies, Fettleibigkeit…“ „Laa-la-laaa!“ „… und Verdauungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, Allergien und…“ „Sie wollen doch nicht allen Ernstes Zucker verbieten!?“ „Warum denn nicht?“ „Das ist ein Genussmittel, den können Sie doch nicht einfach so…“ „Das ist Alkohol auch.“ „Aber ein Verbot ist doch der falsche Weg, dann haben Sie eine Fruchtgummi-Szene in der Schulhofecke!“ „ja und?“ „Das muss man doch pädagogisch lösen können, man kann doch den Konsumenten nicht alles verbieten!“ „Und warum funktioniert das bei den Zigaretten nicht?“ „Das lässt sich ja wohl nicht vergleichen!“ „Was lässt sich denn bitte daran nicht vergleichen? Sie müssen einfach den Verbrauchern beibringen, dass der Konsum einiger Substanzen mit unterschiedlich hohen Risiken behaftet ist, bei machen lässt sich das gut kalkulieren, bei manchen weniger gut.“ „Sie wollen doch nicht ernsthaft einen Fettklops mit schwarz verfaultem Gebiss abbilden?“ „Nein, ‚Gummibärchen töten‘ wäre schon genug.“

„Dann noch einmal ganz von vorne. Die EU-Kommission erwartet, dass wir eine Liste erstellen mit Konsumgütern, die erhebliche Gefahren…“ „Warum zieht man sie dann nicht aus dem Verkehr? Sind die Gefahren nicht abschätzbar für den mündigen Verbraucher? Wenn ja, wozu braucht es diese Verbotshysterie? und wenn nicht, wozu dann überhaupt den legalen Verkauf?“ „Sie regen mich langsam auf!“ „Könnte man nicht diese Hinweise auf Schusswaffen anbringen?“ „Ich sagte, Sie regen mich langsam…“ „Aber Sie werden mir bestimmt gleich erzählen, dass es nicht die Schusswaffen sind, sondern die Munition, richtig?“ „Ich kriege wirklich zu viel! Langsam kriege ich wirklich zu…“ „Oder Bahnfahren, haben Sie sich das mal überlegt? Entgleisende Züge und kochende Klimaanlagen, und dann weiß man nie, ob man nicht in Stuttgart eins auf die Fresse…“ „Großartig! ‚Bahnfahren schadet nachhaltig Ihrer Gesundheit‘ – hervorragende Idee! Schreiben Sie das auf, den Rest macht das Verbraucherschutzministerium. Ich wusste doch, auf Sie ist Verlass!“