Es war heiß; nicht einmal Bismarck, der dümmste Dackel im weiten Umkreis, ging seiner üblichen Lieblingsbeschäftigung nach, seinem Herrchen zwischen den Beinen herumzulaufen. Matt und kraftlos lag das Tier auf dem Sessel am geöffneten Fenster, um einen kühlenden Luftzug zu erhaschen.
„Sechzig Zentimeter Spannweite“, befand Herr Breschke und zog einen unförmigen Klumpen Plastik aus einer Pappschachtel, „das macht dann einen Meter zwanzig.“ Der Klumpen entpuppte sich nach dem Lösen einiger Gummibänder als eine Ansammlung zahlreicher Einzelteile, die sofort ihrer Bestimmung nachkamen und sich im ganzen Zimmer verteilten. Ich kratzte mich am Kinn. „Tun Sie mir bitte einen Gefallen“, bat ich den Alten vorsichtig. „Setzen Sie sich ganz ruhig auf einen Stuhl und rühren Sie nichts an.“ Unangenehme Erinnerungen stiegen in mir auf. So hatte vor gut einem Jahr eine zusammensteckbare Blumenampel dafür gesorgt, dass der pensionierte Finanzbeamte fast den Garten verwüstet hätte. Denn auch dieses Objekt bestand aus einer Vielzahl kleiner Steck- und Dreh- und Hakverbindungen. Wenn Breschkes Tochter irgendein obskures Zeug besorgt, dann mit möglichst vielen Einzelteilen zum möglichst niedrigen Preis. Auch dieses Gerät machte keine Ausnahme. „Ein Tuuletin“, buchstabierte der Hausherr. „Was das wohl heißt?“ Ich blinzelte auf die Verpackung. „Im Zweifel werden die Finnen ganz einfach in ihrer Landessprache lesen wollen, dass es sich um einen Ventilator handelt.“ Er guckte konsterniert. „Was es nicht alles gibt! Nun ja, Europa – zu meiner Zeit…“
Der Apparat, der tatsächlich eine Spannweite von sechzig Zentimetern hatte, da seine drei Flügel jeweils knapp die Hälfte dessen maßen, bestand abgesehen von jenen aus einem Elektromotor. „Man kann ihn ganz einfach an die Leitung hängen wie eine Deckenlampe“, erläuterte Herr Breschke. „Hier haben wir ja nur die Wandleuchten.“ Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass es zum Anhängen immerhin eines Hakens bedürfe, doch er winkte ab. „Den kann man sicher auch so an die Lüsterklemme hängen.“ Was er auch tat.
Zumindest versuchte er es. „Die Drähte sind recht kurz“, klagte der bastelnde Pensionär und stocherte mit dem Schraubendreher zwischen den Leitungen herum. Mit einem deftigen Knall flog die Sicherung raus. „Horst“, scholl es aus dem Parterre herauf. Frau Breschke war offenbar beim Empfang der Radionachrichten gestört worden. „Horst, hast Du die Stromrechnung nicht bezahlt?“ Ich ging in den Keller. Bismarck war unterdessen hinter dem Lehnsessel verschwunden.
Als ich wieder im Obergeschoss angekommen war, hatte Herr Breschke mit Hilfe zweier Nägel eine Art Wickelkonstruktion gebastelt. „Man muss diese Geräte dicht an der Decke befestigen“, klärte er mich auf. „Der Ventilatortod, Sie verstehen?“ Ich verzog das Gesicht. Das schien ihn nicht zu stören. „Wenn ich beispielsweise einschlafen würde – nehmen wir mal an, es ist so warm wie heute, ich lasse den Ventilator laufen und lese hier oben meinen Leitartikel, der ist ja so schlecht geschrieben, dabei muss man einfach – wie gesagt, die Fenster sind geschlossen, und dann saugt so ein Rotor einem die Luft vom Gesicht weg wie ein Strudel! Das ist doch lebensgefährlich?“ Mühsam wahrte ich die Beherrschung. „Und wenn Sie das Fenster einen Spalt weit offen ließen?“ Störrisch schüttelte er den Kopf. „Dann würde doch die ganze Wärme von außen hereinströmen.“
Der Versuch war nicht von Erfolg gekrönt. Mit boshafter Synchronizität war der Miefquirl genau dann an seiner Strippe einen Meter weit nach unten geschnellt, als Horst Breschke auf den Schalter drücken wollte. „So ein Murks“, schimpfte er. „Vielleicht probieren Sie es doch mal mit einem Dübel“, empfahl ich. Der Dackel hatte sich nicht gerührt. Immerhin einer, so dachte ich, würde diese Katastrophe unbeschadet überstehen.
„240 Volt“, buchstabierte der ehemalige Amtmann auf dem Motorblock, während ich den Spreizdübel in der Decke versenkte. „Meinen Sie nicht, wir sollten diese Schraube hier…“ „Nein“, schnitt ich ihm barsch das Wort ab. „Wir haben hier auf dem Kontinent die besten Erfahrungen mit der normalen Netzspannung gemacht, deshalb sollten wir diese Schraube genau so lassen, wie sie jetzt ist, ja?“ Ich hätte genauer hinsehen sollen, aber woran soll man nicht alles denken. „Schrauben Sie mal an“, forderte er mich auf und reichte die Dose an. Zweifelnd nahm ich sie in Augenschein. „Meinen Sie nicht, dieser Ventilator wäre mit Flügeln noch eine Spur effektiver?“ „Das muss die Hitze sein“, murmelte Breschke.
Schön sah es nicht aus, was da herabhing, aber es würde unter Umständen seinen Zweck erfüllen. Erwartungsvoll blickte Breschke an die Decke. „Jetzt aber“, sprach er trotzig und drückte demonstrativ den Lichtschalter. Sofort setzte sich der Elektromotor in Bewegung. Das leise, aber gut vernehmliche Sirren der Rotationsmaschine schwoll innerhalb weniger Sekunden an. Schon wurde der Ton aggressiver; Bismarck starrte gebannt auf den unsichtbaren Hund, der da vom Plafond knurrte. „Obacht“, rief ich. Doch es war zu spät. Schon löste sich ein Rotorblatt aus der Nabe. Haarscharf segelte das scharfkantige Ding an Breschkes Schläfe vorbei. Derart fragmentiert eierte der Luftrührer noch ein paar Sekunden herum. „Knipsen Sie ihn aus“, schrie ich, denn Breschke stand in Reichweite des Schalters. Allein dazu kam es nicht mehr. Der zweite Flügel schnellte wie ein Pfeil von der Sehne. Mit elegantem Schwung sauste er auf die Fensterscheibe zu, die er mühelos durchschlug. Dann blieb mit desolatem Geröchel und sanfter Qualmentwicklung der Rest des Ventilators stehen.
„Horst!“ „Schnell“, flehte er mich an, „was machen wir denn jetzt?“ „Was Sie machen“, gab ich gereizt zurück, „das entzieht sich meiner Kenntnis. Ich für meine Begriffe hatte heute noch etwas vor.“ Herr Breschke rang die Hände. „Aber was soll ich denn meiner Frau erzählen?“ Da hatte ich einen Einfall. „Sagen Sie Ihr einfach, Sie hätten vorbeugende Maßnahmen gegen den Ventilatortod getroffen. Die Scheibe hat jetzt ein schönes Luftloch, Sie werden, abgesehen von Ihrem Leitartikel, ohne Gefahr für Leib und Leben im Sessel schlafen können.“ Verdutzt sah er mich an. „Und das ist wirklich sicher?“
Immerhin fiel mein letzter Blick auf den Dackel, der friedlich auf dem Sessel ruhte, den Luftzug durch die gesprungene Scheibe genießend. So ein Ventilator ist schon eine feine Sache. Vor allem im Sommer.
Satzspiegel