Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXI): Vom Anschreien der Dinge

10 08 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

So oder ähnlich wird es sich hundert Mal ereignet haben am Tag. Der hurtige Paarhufer turnte durch die Steppe, wo Ngg und Ugu mit je einem Stück Bewaffnung pro Person im Busch hockten und mental den Speisezettel der nächsten Woche durchgingen. Im entscheidenden Augenblick, der über Kalorienzufuhr auf der einen Seite, jähes Ableben auf der anderen Seite entscheiden sollte, zerlegte sich der kunstvoll mit Handgriff, gehärteter Spitze und Wurfstabilisatoren hergestellte Spieß in seine Einzelteile. Die Beute pfiff sich eins und gab Fersengeld, der Hominide jedoch, der die Wirkung eines Adrenalinschubs voll auskostete, konnte mangels Ausgleichsmöglichkeiten seine Wut nur am Artefakt auslassen. Er zerhackte das Gerät am Boden – ein volle Möhre ins Netz gesemmelter Rückhandslice löst eine vergleichbare Situation in der Gegenwart aus – unter erklecklichem Fluchen. Warum auch nicht, das Anschreien der Dinge klärt die Sachlage ungemein.

Bis heute. Zunächst ist es die Ventilfunktion, die dem frustrierten Vollopfer im Verbraucherpelz über die erste Hürde zur Normalität hilft. Nicht mehr der selbst gehauene Faustkeil bringt den Bekloppten in die Nähe einer Hirnembolie, der programmierbare Staubsauger mit drei vorwählbaren Fusselstufen und automatischer Luftdrucksteuerung ist es, der auf dem Parkett röhrt und beim Betreten des Flokati säuselt. Ein Knick in der Linse auf die Wirklichkeit lässt den Zivilisationsteilnehmer sofort in Ekstase verfallen. Ob der für drei Kilo Lebendgewicht zugelassene Plastebeutel schon bei knapp elf Pfund reißt oder die Reste des Uhrwerks unter der Pinzette tanzen, man schreit das Gerät an, das nicht gemäß der Ordnung funktioniert, stört oder anderweitig schuld ist daran, dass die Welt so ist, wie sie ist.

Wir billigen den Objekten eine Seele zu, mehr noch, einen Willen, mehr noch: einen boshaften, man weiß ja, warum. Aus dem Urgrund der Jägern und Sammlern vertrauten soziokulturellen Umwelt ahnt der postmoderne Hirnträger, dass er nicht allein ist in dieser Welt, nicht allein sein kann. Die Blödheit des gemeinen Koordinationstrottels wäre eine hinreichende Erklärung für viel Elend auf diesem Planeten, aber wer würde das Evidente je klaglos annehmen.

In den Randbereichen neigt der Nanodenker schon dazu, eine Abspaltung des Schicksals in die Metaphysik vorzunehmen, doch ist dies nur eine Phase; materielle und geistige Welt durchdringen einander, zwar nur vordergründig, aber wen würde diese oberflächliche Verschwiemelung stören, so sie nur alles erklärt, was dem Deppen bei genauerer Betrachtung Kopfaua verursachte. So ist es also nicht das Eintauchen ins Transzendente, wie der Beknackte mit hochroter Birne vor dem Eierkocher steht, den Apparat mit Hilfe gutturaler Schallentfaltung deformieren will und dabei selbst die kardiovaskuläre Nahtoderfahrung sucht. Es ist einfach nur die Seinsgewissheit, dass das Ding an sich auf grobe Schmerzreize schon reagieren wird.

Doch bleibt es dabei? Während er Behämmerte im Rudel zusehends degeneriert, entwickelt sich dank seiner Unaufmerksamkeit die Gesellschaft um ihn weiter. Neben Technologie und Geisteswesen entsteht die Vorstellung von Basis und Überbau: hier der Mensch, der denkt, dass er denkt, dort das dem Wesen Immanente, das seine Regung auf den Bescheuerten bezieht wie jener die nebensächliche Lebensäußerung auf den Stoffwechsel außerhalb seiner Biomasse. Der Schrei, das Schütteln und Rasseln, Schleudern und Schmeißen, Zerstampfen von Hartplastik und Leichtmetall auf Küchenfliesen und Dielenbrettern wird als kultische Handlung, als Reinigungsopfer angesehen – wo immer sich die Gegenkraft aufsässig zeigt, hat der Hohlrabi genug Raum, sich zu behaupten, und sei es durch verbale Kraftschläge. Schließlich bannt man in einer aufgeklärten Welt Dämonen auch erst, wenn man ihnen den eigenen Namen um die Ohren haut.

Des Widerspenstigen Zähmung indes ist zum akzeptierten Handlungsmuster geworden. Auch im höher gebildeten Segment findet sich das Kalkhirn, das den sich aufhängenden Klapprechner statt eines Affengriffs mit brachialer, aber rhythmischer Verve an der Tischkante therapiert. Tiefenentspannte Bildungsbürger kreischen ihr Selbstaufbaumöbel an und verfluchen das Schwinden der Schraube in die Parallelexistenz mit fäkal angereicherter Suada. Nichts Menschliches ist ihnen fremd.

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