
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Mit etwas Glück beginnt der Tag noch mit einer Schusswunde, meistens jedoch ist es nur die jäh einsetzende Vibration des Fundaments, die in arhythmisches Klirren der Fensterscheiben übergeht und das Besteck der Schublade klappern lässt. Die obskuren Nachbarn, die ihren volkstümelnden Ufftata bis ans andere Ende der Straße schallen lassen, sind im Urlaub, in der Psychiatrie oder verstorben, jedenfalls tragen sie diesmal keine Verantwortung für den Generalangriff auf die Synapsen. Nach kurzem Abgleich von Realität, Blutalkoholkonzentration und Schwerkraft stellt der Gepeinigte fest, dass er weder Kinder noch Hunde in seinem Wohnbereich beherbergt. Noch könnte es sich irgendwo zwischen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung mit Todesfolge einpendeln, doch beim Anblick des Klebezettels auf der Haustür driftet die Stimmung in Richtung Mord. Die von der Hausverwaltung bestellte Tiefbaufirma, die sich anschickt, das Fundament mit Hilfe einer Horde Presslufthämmerer freizulegen und dazu die ganze Siedlung in Schwingungen zu versetzen, teilt knapp mit, dass sich die Aktion höchstens über 14 Tage, im günstigsten Fall jedoch nur über vier Wochen erstrecken wird. Sie dankt für unser Verständnis.
Verständnis wofür? Und warum eigentlich? Haben die Schwachmaten je auch nur nach dem Verständnis der tatbeteiligten Opfer gefragt? Verständigt haben sie sich jedenfalls nicht, bevor sie ihr Gerümpel in die Gegend klotzten. Für die kleine Portion Glibber unter der Kalotte reicht das sicher als Rechtfertigung, wie sie sich auch – so viel Großzügigkeit muss schon sein – selbst entschuldigen, statt darum zu bitten. Vermutlich danken sie sich auch selbst, wo sie schon einmal dabei sind. Denn mit Verständnis alleine kommt der Pausenclown auch nicht weiter. Warum bittet der Störenfried nicht um Vergebung? Um Begnadigung angesichts eines ohne aussichtslosen Verfahrens, in dem die Demut subtil vom Täter auf sein Opfer entsorgt wird.
Die Sache hat jedenfalls Methode. Was wem wie auf den Zeiger zu gehen hat, entscheidet normalerweise eine Zumutbarkeitsregelung – zwar fällt solch eine intellektuelle Zufallsgeburt unter sich selbst, sie ist ihren Schöpfern aber zuzutrauen. Stufenweise schwiemelt sich die Anmaßung in den Kernbereich der Belästigung vor; was eben gerade noch als Landplage galt, mutiert mählich vom Einzelfall über die Begleit- zur Dauererscheinung, die unter das Gewohnheitsrecht fällt. Das Leben als solches, niedermolekular verzahnt mit der Doofheit in ihrer idealtypischen Form, quillt geradezu über vor dümmlichen Dankesbezeugungen. Knietief waten wir in einem Morast der Erkenntlichkeit, den wir so nie abgesondert haben, jedenfalls nicht bei klarem Verstand.
Die Beispiele gleichen sich. Wir haben Verständnis zu haben dafür, dass die Beilagenänderung Aufpreis kostet (der Koch muss neu angelernt werden, wenn er Reis statt Kroketten auf den Teller kippen soll), dass es werktags nach acht keine Busverbindung mehr gibt (und davor auch nur zwei Kurzfahrzeuge, die exakt eine Minute vor Eintreffen der Schnellbahn abfahren), dass das Schwimmbad wegen kostendeckender Auslastung schließt, dass die Strompreise nach oben offen sind, die Waschmaschine nicht nach vier, sondern nach sechs Wochen noch drei Monate bis zur umgehenden Auslieferung benötigt oder der Stau passgenau da anfängt, wo die Dauerbaustelle in einem längst verwehten Jahrtausend die Neigung zur Staubildung bekämpfen sollte. Überall da, wo uns die Bekloppten das Versagen als Essenz der nur kollateral durchdachten Zivilisation vorgaukeln wollen, höhnt uns umgehend ein Springteufel aus verächtlicher Dankbarkeit.
Denn die vorgetäuschte Unterwerfung kommt zu spät. Ist der durchschnittliche Bürger von Lärm, Gestank und ungebremster Gebührenerhöhung schon maximal entnervt und malt sich aus, wie er in einer Blutlache auf dem Titel der Primatenpostille aussehen würde, hat er schon die Peitsche um die Ohren bekommen, dann erst wedelt irgendwo ein kleines Männchen quasi aus formalen Gründen mit einer Abbildung von Zuckerbrot: Hier, wir Knalltüten haben mal wieder den ganzen Laden in die Grütze geritten, natürlich ist uns klar, dass jetzt alle Beteiligten stinksauer sind, aber hey, Ihr vergebt uns, und dann tun wir’s auch nie wieder. Nicht vor dem nächsten Mal. Wir wollen ja nichts als Euer Verständnis. Wenn nicht, fahrt zur Hölle.
Ganz manchmal, wo sich die Arglist nicht wie vorgesehen durchsetzen kann – wahrscheinlich wird der Gast, dem der Kellner die Hollandaise auf den Scheitel pladdert, demnächst diensteifrig um Absolution beten, weil er nicht rechtzeitig genug Entgegenkommen geheuchelt hat – geht es nach hinten los. Überfüllte Züge? Schienenersatzverkehr und Klimaanlagen mit Funktionsumfang null? Alles geht. Wir haben Verständnis zu haben? Hüte Dich, schönes Blümelein. Es wird in Blut, Schweiß und Tränen enden, mit oder ohne Pressluftgehämmer. Ganz zum Schluss werden sie winseln: „Wir haben Verständnis!“ Dann danken wir. Fürs Geräusch.
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