
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Die Erkenntnis des Hominiden, dass das Leben zeitlichen Beschränkungen unterworfen ist und größtenteils körperliche Anstrengungen beinhaltet, gehört zur Grundausstattung unseres Denkens. Bin in die Jetztzeit verschönert sich daher der kleine Mann sein Dasein; er übt Gesellschaftstanz und sammelt Freimarken, spielt Schach und Balalaika, und bisweilen konsumiert er Substanzen, die alles um ihn herum ein bisschen heiterer machen. Er raucht sein Tabakspfeifchen und keltert den Most, wissend, dass ein rechtes Maß allein den Genuss macht. Leider trübt die Erleuchtung sich mit den Jahren ein, und der übermäßige Verzehr brennbarer Flüssigkeiten macht Blasen unter der Kalotte. Das Denken, der Fluch der trinkenden Klasse, führt auch nicht mehr weiter. Je mehr der Mensch gegen das Bewusstsein der Vergänglichkeit angeht, desto weniger ist er Mensch, zivilisiert schon gar nicht, und am Ende eines langen Abstieges schließlich da, wo er wieder unter seinesgleichen ist. Auf dem Oktoberfest.
Einmal im Jahr laufen die Remmidemmideppen der geistigen Sonderbewirtschaftungszone auf einem gegen den Seich betonierten Areal auf und gebärden sich, als gäbe es weder Ballermann noch geschlossene Anstalten. Wer dieser sozialen Zusammenrottung ansichtig wird, darf straffrei gegen die Einbahnstraße fahren, denn besser wird es nicht mehr. Es handelt sich um eine der größten Psychosen der unzivilisierten, wie sie auch Krieg und Infektionen nicht in den Griff bekommen; sie ist also unschwer als schlecht maskierte Form der klinischen Hirnverdübelung zu erkennen, die durch regionales Brauchtum von einer Degeneration zur nächsten vererbt wird.
Der erste Eindruck der Gruppengaudi ist der einer kollektiven Zwangsneurose. Als hätte man einen Stamm verdeppter Voralpenschlümpfe in die Arbeitskleidung von Blödmannsgehilfen genäht – verseppelte Tütenhüte, Milchbubenshorts und gestreifte Fußschweißtamponade – schwankt die Horde an die Stoffausgabe, vorgetankt mit Low-Budget-Fusel aus der Prekariatstanke, weil die Alkoholvergiftung zu Originalpreisen jährlich verteurert wird. Derart präpariert schlingert das Material in Einheiten zu zwei bis drei Bescheuerten aufs Gelände, torkelt in die Festzelte, in denen ein aus Druckluft und Gerstenabfällen geschwiemeltes Gemisch in Viehtränken mit Handgriff kleckert, um den Koordinationstrotteln den letzten rechten Winkel aus den Synapsen zu marmeln. Unterstützt wird die Druckbetankung mit peroraler Aufnahme gerösteter Altfettklumpen, die es dank strenger EU-Richtlinien nicht bis in die Scheibenbremsen bundesdeutscher Nahverkehrsmittel geschafft haben und nun traurig von den Tellern weinen. Aber sie gehört dazu, die Verköstigung.
Denn irgendetwas muss der Beknackte ja hinters Zelt speien. Versuche mit Brezn, Käseresten und Weißwurst ergeben ein farblich nicht vollständig befriedigendes Bild und können Abzüge in der Haltungsnote wegen der heterogenen Textur nicht verhindern. Erst gegrilltes Schnellzuchtmaterial aus dem Geflügelgulag und verkokelte Schweinestelzen versorgen den Delinquenten mit der nötigen Menge an Adrenalin, die für die dritte Disziplin vonnöten ist, den Kampf Mann gegen Mann.
Ab der zweiten Maß beginnt der Verstand sich in Bodennähe zu begeben, der Rahmen verzieht sich, das formunschöne Gelalle mit Freestylegestik und sanft einsetzenden Allmachtsfantasien hebelt die Rudimente einer kritischen Vernunft aus und glitscht wie auf einer schiefen Ebene in die letzte Herausforderung, die ein Träger des Y-Chromosoms noch erleben kann: erst drei Promille in die Birne gebembelt, dann den Freizeitringer, der gerade nach zehn Jahren wieder auf freiem Fuß ist, auf unschöne Weise an die charakterlichen Mängel seiner Mutter erinnert. Wenn es darum geht, möglichst originell aus dem Genpool katapultiert zu werden, legt der Bescheuerte eine nicht zu unterschätzende Kreativität an den Tag. Ob mit oder ohne vorherige Knochenbrüche, den Ausklang des Tages katert der Weichstapler auf der Ausnüchterungswiese ab, meist von eigenen Körperflüssigkeiten begleitet, wenn der Weg zur Getränkerückgabestelle nicht mehr möglich war. Sie sehen so friedlich aus, wie sie auf den Grünflächen resetten, und es ist nur zu verständlich, dass man sich wünscht, sie lägen in der majestätischen Ruhe des Anorganischen. Was ja intellektuell nicht weit entfernt wäre.
Doch dies ist kein nationales Idyll, wie es das Volk als Ausdruck souveräner Kulturlosigkeit mag. Längst hat sich das Spektakel zur global gehypten Bad-Taste-Party aufgepumpt. Australische Alkis und koreanische Kotzbrocken reisen in Scharen an, um die real existierende Gemütlichkeit zu erleiden, inklusive Spontanentleerung und Kieferbruch. Ein Besuch auf dem Großraumklo mit angeschlossener Chirurgie gilt nach wie vor als volkstümlich – auch wenn es nicht mehr ist als knallharter Kommerz, mühsam mit dem Anstrich der Beliebtheit für die fremdländischen Flusenlutscher aufbereitet. Die Zeiten werden kommen, da wollen auch sie nicht mehr in Bayern reihern. Sie werden ein Disneyland für Schluckspechte bauen, auf dem es zugeht wie auf der Wiesn, blöd, brutal und besoffen, und jeder wird hier ganzjährig seine Hirnrinde unter Ethanol setzen können. Zum halben Preis, Steckerlfisch und Bedienung inbegriffen. Es bestehen gute Chancen, dass dann nur noch die kommen werden, die das Original nicht kennen: die Außerirdischen. Wer sonst bräuchte noch die Orgie der Überflüssigkeit.
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