Danke für den Fisch

14 11 2012

Bruno schnitt Grimassen. Seine Schnurrbartspitzen, kunstvoll in die Höhe gezwirbelt, vibrierten wie die Fühler eines Hummers, sein wallender Kinnbart jedoch hing ihm auf die Brust; was wohl daran lag, dass letzterer genau so angeklebt war wie meine blonden Locken. „Es rutscht“, keuchte er, „wir werden noch aufkippen!“ „Halt durch“, gab ich zurück. „Nicht schlappmachen – so kurz vor dem großen Fang!“

Emsig zupfte ich Salatblätter. „Vite, vite!“ Ein Koch trieb uns zur Arbeit an, mich, den Laien, und jenen seltsamen Mann mit dem Kinnflokati, in Wirklichkeit einer der großen Chefs der Region, den man ehrfurchtsvoll Fürst Bückler nannte, wenn er Schwarzsauer und Aal in Gelee auftischte in seinem Landgasthof. „Und nicht sortieren aus die schlechte Blatt, hein? nur zupfen klein-klein, damit sieht groß aus auf die Platte!“ Wir sahen uns verschwörerisch an. Alles lief nach Plan. Bruno schnitt in einem gehörigen Tempo Karotten und Sellerie zu winzigen Würfelchen. „Sie haben uns nicht erkannt“, knurrte er beleidigt, „mich, den großen Bruno Bückler, haben diese Banausen nicht erkannt! Diese Tütensuppenkasper sind degoutant!“ „Lass nur“, tröstete ich ihn. „wenn sie einen Schimmer gehabt hätten, wären wir nie so schnell als Küchenhilfe angestellt worden, oder?“

Wir befanden uns in der Höhle des Löwen, mitten in der Küche von Schlanzens Poisson d’Or. Gerüchte kamen auf, als der gefürchtete Gastrokritiker Erdmann Konopka nach dem Verzehr von Lammschulter eine heftige Fischvergiftung erlitt. Auch wechselte er mitunter verdächtig schnell das Angebot, ohne dass man Lieferwagen hätte vorfahren sehen (die Wettbewerber hatten sich zusammengetan, aber trotz mehrwöchiger Observation nichts entdeckt). Wer oder was steckt hinter Hartmut Schlanz, dem konkurrenzlos preiswerten Stern am kulinarischen Himmel? Wir ermittelten verdeckt.

„Heilbuttschnitte mit Couscous, Lammkoteletts, zweimal Lachssteak!“ Erleichtert atmeten wir auf. Hansi, Brunos Bruder und der Mann für den Service, hatte es tatsächlich in die Küche geschafft, wenngleich mit einem Schnurrbart, um den ihn Groucho Marx beneidet hätte. „Und einmal extra grüne Bohnen“, schrie er. Abrupt drehte Hansi sich um „Achtung“, flüsterte uns zu, „gleich kommt die Seezunge. Ich gehe jetzt raus, dann komme ich noch einmal rein, und dann gebt gut acht, was da in der Pfanne landet.“ So geschah es. Die Tür schwang zu, die Tür schwang auf, dann kam Hansi.

Atemlos sahen wir, wie der Küchenchef selbst in den Kühlschrank griff und ein Filet hervorzog, es blitzschnell in den Mehlbottich klatschte und sofort in die Pfanne warf. Bruno knirschte vor Wut mit den Zähnen. „Was für ein elender Stümper“, stieß er hervor, „den eiskalten Fisch in dieses billige Öl – ekelhaft!“ „Geduld“, mahnte ich. „Wir bekommen schon noch eine Chance. Dann werden wir ja sehen, was sich hinter dieser Seezunge für zwölf Euro verbirgt.“

Schon wieder war der Koch zur Stelle. Hektisch fuchtelte er mit den Armen vor meiner Nase herum. „Vite alors, der Salat ist sie fertig? Nur jetzt noch ein Schnittlauch für die Kartoffel, ja!“ Unbemerkt hatte ich die Schüssel mit den Tomatenschnitzen an den Rand des Tisches geschoben. Ich rempelte Bruno ein wenig an, er fuhr empor, der Koch drehte sich zu ihm, noch immer wild gestikulierend – schon rollte das Gemüse am Boden. „Verdammte“, schrie er, „Sie jetzt sofort neue Tomate, vite! Ich will kein Sekunde hier warten!“ „Los jetzt“, zischte ich Bruno an, „wir haben keine Zeit zu verlieren – jetzt oder nie!“ Einmal um die Ecke, schon waren wir endlich am Ziel.

„Plan A.“ Hansi kontrollierte den Sitz seines monströsen Schnäuzers. „Wie verabredet.“ Bruno nickte. „Wir ziehen die Tür hinter uns zu. Wenn wir nach zwei Minuten nicht wieder aus dem Kühlraum zurück sind, holst Du uns raus. Und lass Dich nicht erwischen!“ „Auf keinen Fall!“ Es ploppte dumpf, und wir standen im Dunklen.

Kühle umgab uns. Ich zog eine Taschenlampe hervor. „Da“, rief Bruno. „Die Fischpäckchen – das ist doch keine Seezunge?“ „Tiefgefrorene Scholle“, konstatierte ich, „leider nicht verdächtig. Die steht auf der Karte, Couscous mit Fisch.“ „Aber wenn das hier die Scholle ist, wo sind dann…“ Ich pfiff durch die Zähne. „Na schau mal einer an!“ Tief unter der Gemüsestellage lag ein Aktenordner. Ich zog ihn hervor; gemeinsam schlugen wir das Ding auf. „Nicht zu fassen“, murmelte Bruno. „Das ist ja alles nicht zu fassen – hier ist ja nichts echt!“ „Die Scholle ist nicht die Scholle?“ Bruno war wütend. Seine Schnurrbartspitzen zitterten schneller als er selbst in dieser Kälte. „Die Scholle kommt als Seezunge auf den Teller, und was verkauft er als Scholle? geplätteten Seelachs!“ Heftig schlug er die Seiten hin und her. „Da – Couscous? Milchreis, in kaltem Tee eingeweicht! Und die Lammschulter ist…“ Er wandte sich ab und würgte.

„Es hat Ihnen gemundet?“ Konopka legte zierlich die Serviette neben den Teller und nickte. „Ganz ausgezeichnet!“ Der Rezensent prostete mir zu. „Wir wollen mal sehen, dass wir Sie auf die Titelseite bekommen, mein lieber Bückler. Was doch die gute Leitung eines Hauses wie des Ihrigen so alles vermag.“ Bruno lächelte. „Freut mich, dass Sie die Seezunge an Couscous mit Kaiserschoten so schmackhaft fanden. Wir probieren gerne mal etwas Neues aus. Ein Rezept übrigens, das wir einem ambitionierten Amateur verdanken.“ „Oh, ein Jungkoch in Ihren Diensten, mein lieber Bückler?“ „Aber nein!“ Bruno lächelte. „Lediglich eine Spülhilfe.“


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