Heißluft

10 12 2012

„Nehmen Sie noch einen Prospekt? Kann man ja immer gebrauchen. Nur so zur Sicherheit, falls Sie Steinbrück auf dem Wahlplakat wiedererkennen und nicht mehr genau wissen, für wen der jetzt Kanzler werden will.

Langweilig? Ach was, kein bisschen. Unser Wahlkampf ist diesmal richtig spannend. Hätte ich jetzt auch nicht erwartet, bisher war das ja immer eher typisch SPD. So lala halt. Nicht wirklich links, aber dafür auch ganz entschieden nicht rechts, also jetzt nicht so weit nicht rechts, dass wir nicht auch rechts, also so rechts von links, von so nicht so ganz links, halblinks, so halb links oder halblinks von, naja, halbwegs rechts – sozialdemokratisch eben. Keine Ahnung, aber mit Entschiedenheit, und wir würden das auch bei Gelegenheit zum Ausdruck bringen wollen. Falls uns mal einer fragt.

Wir wollten ja, dass er in den Fußgängerzonen auftritt, aber 25.000 für eine Viertelstunde, das hätten wir nicht zusammengekriegt. Und dann müssen alle Plakate von der Kanzlerin abgehängt werden, weil er mit ihr keine gemeinsame Sache machen will. Hat er ja gesagt. Vor der Wahl.

Darf ich Ihnen einen Aufkleber schenken? Der hält garantiert länger als Steinbrück. Wir haben uns nämlich für einen absolut ehrlichen Wahlkampf entschieden, dann gibt es hinterher weniger Überraschungen. Eigentlich gar keine mehr. Auch nicht in der Partei. Das wäre auch mal ganz neu, wenn die SPD hinterher das täte, was sie vorher angekündigt hat. Und wenn es gar nichts ist.

Weil wir die ganze Zeit schon gerätselt haben, was machen wir mit dem Profil. Dem Steinbrück seins, das wäre das Problem. Aber er hat gar keins. Also kein Problem jetzt. Weil er ja kein Profil braucht, um mit dieser Partei zu regieren, und wenn er nicht regiert, wozu braucht er dann ein Profil? Der Mann denkt eben wirtschaftlich. Mit dem hat der Sparkurs wieder Sinn.

Sie auch noch einen Flyer, und die Dame vielleicht ein paar Handzettel für zum Mitnehmen? Bewahren Sie die auf, die sind mal viel wert. Für eine Wahlkampfbroschüre von Scharping bekommt man heute schon zehn Euro, was meinen Sie, was die Sammler dereinst für einen Steinbrück-Flyer zahlen werden? Das werden Reliquien – kurz vor dem Untergang noch mal so richtig auf den Putz hauen, um dann… na, egal.

Man kann dem Mann ja nicht direkt einen Vorwurf machen. Schauen Sie mal, er tritt ja für die Sozialdemokraten an. Das sagt doch schon so gut wie alles. Dann will er auch noch Beinfreiheit, keine linke Politik, keine konservative, er will die einige halbwegs machbare Alternative zum jetzigen Finanzkapitalismus gar nicht erst ausprobieren, und er hat jede Menge Ideen, über die er gerne mal öffentlich nachdenken will. Den wählen doch die Leute sofort, oder? Oder?

Hier, nehmen Sie doch noch einen Luftballon. Ist umsonst. Ja, der ist auch – aber nehmen Sie doch noch einen Luftballon. Ist original Steinbrück. Mit Heißluft drin.

Wir wollten erst Pinot Grigio ausschenken, für fünf Euro. Aber das wäre letztlich auch zu modern gewesen. Wir sollten ja keine Visionen haben.

Der neue Slogan ist nicht ohne. Wollen Sie mal sehen? ‚Mehr Sozialdemokratie wagen.‘ Darauf muss man erstmal kommen. Das Interessante ist ja, dass einem in diesem Zusammenhang Steinbrück einfiele. Genialer Schachzug, oder? Man wird diese Wahlwerbung überhaupt nicht mehr mit dem Steinbrück verbinden, der vorher mal Minister war. Oder fast Ministerpräsident. Man wird unwillkürlich denken, der Mann sei durch und durch SPD. Das macht uns zwar auch nicht mehr sympathisch, aber wenigstens weiß dann der Wähler, wo wir stehen. Das ist doch mehr, als wir beim letzten Mal hingekriegt haben.

Außerdem haben wir eine ganz neue Antwort auf den Sozialstaat. Halten Sie mal, das sind die Luftballons. ‚Faire Löhne für gute Arbeit.‘ Wenn Sie Ihren Lohn als nicht gerechtfertigt ansehen, dann arbeiten Sie vermutlich nicht gut genug. Positiv denken, mein Lieber – im Neoliberalismus sind Sie ein Sieger, weil alle Sieger werden können, oder aber Sie sind ein Verlierer, weil ja nicht alle Sieger sein können. Ist ja klar. Aber wir sagen es jetzt deutlicher als vorher, und das ist auch schon sehr viel wert. Jetzt wissen Sie, dass es Ihnen beschissen geht, aber Sie wissen auch, dass es nur an Ihnen selbst liegen kann. Das motiviert doch!

Und wir regulieren jetzt diese Finanzmärkte. Also nicht wir, sondern die SPD, beziehungsweise Steinbrück. Der kennt sich mit solchen Aufgaben bestens aus, der kennt keine Rücksicht und ist voll von Mut und Todesverachtung. Die hatte er damals gezeigt, als er die Banken alle dereguliert hat. Ein Durchgreifer. Ein echter Mann.

Darum sind wir so erfolgreich. Steinbrück ist uns auf den Leib geschneidert, mit dem können wir nur gewinnen. Der passt genauso zu uns wie damals Steinmeier. Wir haben Sie bis ins Zentrum dieser Krise geführt, jetzt suchen wir für Sie nach einem Ausweg. Versprochen.

Nehmen Sie ruhig noch einen, die sehen aus wie vor vier Jahren. Die bleiben immer gleich, etwas dünnhäutig, heben leicht ab, und irgendwann schlaffen sie auch ab. Nehmen Sie ruhig noch einen mit, bevor er verbraucht ist. – Bitte!? Wieso Knalltüte?“