Vom Umtausch ausgeschlossen

13 12 2012

„Doktor Klengel bekommt eine Krawatte.“ Verwirrt stellte ich das Geschirr in den Küchenschrank. Doch Hildegard ließ sich nicht beirren. „Hast Du letztes Jahr etwa an ihn gedacht? Wir haben ihm nichts zu Weihnachten geschenkt, das gehört sich doch nicht.“ „Wir haben ihm letztes Jahr nichts geschenkt“, bestätigte ich, „weil wir ihm auch im Jahr davor nichts geschenkt haben, und davor nicht, und davor nicht, und eigentlich noch nie.“ Sie sah mich grimmig an. „Das sind doch alles nur billige Ausreden. Und außerdem habe ich gar nicht gesagt, dass ich gleich am ersten Tag in dieses neue Einkaufszentrum will.“

Wir bekamen einen der letzten freien Parkplätze vor der MegaMall. „Wir sind doch rechtzeitig losgefahren“, verteidigte sich Hildegard. Das war insofern korrekt, als dass wir nicht das nächste Weihnachtsfest abgewartet hatten. Allerdings waren wir gut eine Viertelstunde nach der Eröffnung der Einkaufsmeile auf das weiträumige Gelände gefahren, das offensichtlich in der Zwischenzeit zum Sammelplatz für die Kraftfahrzeugvorkommen der nördlichen Halbkugel geworden war. Auto reihte sich an Auto. „Präg Dir das gut ein“, ermahnte sie mich, „A24/II N600 B.“ Ich notierte mir die Parzelle; irgendwo würde man einen auffällig silberfarbenen Kleinwagen schon finden, so häufig waren die Dinger ja nicht. „Sollte zufällig ein Panzer auf diesem Feld wenden, ich habe mir das Nummernschild aufgeschrieben.“

Der erste Gang hatte viel Schönes, Praktisches und Dekoratives für den weihnachtlichen Haushalt. „Wir könnten für Anne eins von diesen Kissen oder so einen Leuchter oder oh, Schokolade!“ Begeistert griff Hildegard ins Regal und stapelte je einen halben Karton Alpenmilch, Noisette, Nougat, Zartbitter, Haselnuss, Vollnuss, Nuss und Mandel in den Wagen. „Dann brauchen wir für die bunten Teller nicht mehr herzufahren, so sparen wir uns neben der Zeit auch noch das Spritgeld, und wir können noch einen Karton mehr mitnehmen.“ In diesem Fall weiße Schokolade mit Puffmais, eine andere Sorte war nicht übrig. Sie legte sie fein säuberlich neben die Tüten mit dem Marzipankonfekt, die unter den Dominosteinen das Fundament für ein doppelgroßes Großdoppelpack Pfefferminztäfelchen bildeten. „Nur noch die hier, dann müssen wir aber wirklich nach einem schönen Wandschmuck suchen. Man schenkt sich so wenig schöne Sachen.“

Aparte Glasfiguren aus mundgeblasenem Acryl funkelten geschmackvoll im Neonlicht des Konsumtempels. Handgewebte Teppiche aus Bad Salzschlirf harmonierten mit original chinesischem Teegeschirr im persischen Rosenmuster. „Das muss doch Deiner esoterischen Nachbarin gefallen“, rümpfte meine Beste die Nase. Es roch nach alter Seife, nur etwas muffiger. „Räucherwerk“, befand ich. „Meinetwegen nimm für Sigune eine Schachtel mit, aber das weiß ich schon, das ganze Haus wird danach stinken.“ Hildegard schüttelte den Kopf. „Kaum, sieh Dir die Packung an. Das Zeug landet ganz hinten im Schrank, sie wird es sicher nie abbrennen. Völlig gefahrlos.“

Unterdessen hatte ich mich in der Küchenabteilung umgesehen. Man hätte die Wühltische mit Dosenöffnern, Steakmessersets, Rührlöffeln, Dosenöffnern, Pizzatellern und Dosenöffnern übersichtlicher gestalten können. Unschlüssig betrachtete ich eine Batterie billiger Schnapsgläser. „Für Breschkes“, erklärte ich. „Er hat ja anfallsweise einen erhöhten Verbrauch an Gläsern, und wenn wir gleich ein Palette nehmen, sind wir bis Ostern versorgt.“ „Neben den Likör“, stöhnte Hildegard. Die bunten Flaschen gaben dem Wagen erheblich Schlagseite, aber das war in Ordnung. Dazu waren Alkoholika ja da.

Lästigerweise konnte ich bei den Krawatten keinen Schritt zur Seite gehen, ohne dass sie mir die Binder an den Kragen hielt. „Der sieht gut aus“, informierte sie mich, und: „Der ist gestreift.“ „Das sehe ich auch“, gab ich zurück, „trotzdem solltest Du Dich für einen entscheiden.“ „Will ich auch“, zischte sie. „Ich weiß nur noch nicht, für welchen.“

Erst jetzt hatte ich die Lichterketten bemerkt. Man konnte diese Schläuche aneinanderstecken, je drei pro Stück, und dann in Mehrfachsteckdosen, die zum kleinen Preis, oder jeweils einzeln mit zusätzlicher Blink- und Laufsteuerung – ich musste für einen Augenblick die Besinnung verloren haben, jedenfalls versuchte ich, ein Dutzend Kartons in einen Korb zu stopfen. Horst Breschke würde nicht der einzige sein, dessen Fassade in der Weihnachtszeit vom Weltraum aus zu identifizieren war. Und es schien mir nur fair, gleich einen Mengenrabatt für hundertfünfzig Meter Blinkdings zu verlangen. Warum musste ich mich auch die ganze Zeit mit Schlipsen und Schokolade abgeben. Normale Einkaufscenter hätten ein Männerparadies mit Bier und Bratwurst eingerichtet, alternativ einen Stand mit unsinnigem Elektrowerkzeug. Nicht, dass Männern das gefiele; aber solange Frauen dächten, Männern gefiele das, hätten sie, die Männer, ihre Ruhe. Die Frauen vermutlich auch.

Kurz vor Ladenschluss wurde ich von zwei Mitarbeitern liebevoll zur Kasse geschoben. Hildegard wuchtete den turmhoch mit elektrisch heizbaren Wackelweihnachtsmännern gefüllten Wagen mit letzter Kraft vor das Laufband, als ich eintraf. „Gehört der zu Ihnen?“ Sie guckte nur glasig. „Verzeihung“, stammelte die Kassenkraft. „Ich hatte gedacht, Sie wollten ihn umtauschen.“ „Fahren Sie schon mal den Wagen vor.“ Hildegard überschrieb ihr Erbe an den Warenhauskonzern, dann überreichte ihr ein freundlicher Geist die Tüte mit der Quittung. „Glück gehabt“, sagte ich. Sie sah mich fragend an. „Wie gut, dass wir uns nichts zu Weihnachten schenken.“