Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXXVII): Leserbriefe

14 12 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Im Schnitt einmal täglich greift der Behämmerte zu dem Stapel aus labberigem Papier, mit dem man früher in der Ausscheidungsräumlichkeit Fliegen verscheucht hätte; mit etwas Glück behandelt er die Druckprodukte auch nur für ausdrückende Tätigkeiten, doch oft geschieht es wohl, dass er sich mit seinen Gedanken allein fühlt und zu den fürchterlichsten Mitteln greift, der Gazetten Herr zu werden: Schwalben falten, Sudoku lösen und, wenn alle Mittel versagt haben, Leserbriefe schreiben.

Der Leserbrief ist ein Brief an sich selbst. Kein anderer Adressat, weder der Journalist noch ein Subjekt der Berichterstattung, kein Leser, erst recht nicht die unter galoppierendem Kopfaua leidenden Schöpfungskollegen sind so recht dazu ersehen, den eigenen Hirnkasteninhalt kapieren zu können. So bleibt nur der Grund, warum sich die Rezipienten ausgerechnet der Zeitung gegenüber als geeignet ansehen, ihre Meinung in die Luft zu geigen. Sie zerfallen in diverse Fraktionen.

Die erste Gruppe ist schnell erklärt, sie lässt sich nicht bevormunden und denkt anders. Sie liest jene Zeitung, oft ist es die regionale Tageszeitung, er lässt sich nicht vereinnahmen. Sie verurteilt jeden Leitartikel, täglich, wegen so unsachgemäßer wie antiquierter Betrachtung, Ideologieferne und/oder dogmatischer Verkrustung, Frauenfeindlichkeit, Speziesismus oder anderer Vergehen wider den Heiligen Geist und das Erste Vatikanisches Konzil, doch sie lässt sich nicht kaufen von der Stimmung im Volk. Der Verfasser des verbalen Einwurfs weiß nur zu gut, dass auch er schon zu den 99% gehört hat, die alles für Weltfrieden und niedrige Steuern getan hätten (und öfters auch alles getan haben), allerdings braucht er keine Rechtfertigung für seine frühere Meinung wie auch für den anschließenden Umschwung. Er hatte immer schon Recht, da ist die Marschrichtung reißpiepenegal.

Ein zweiter Teil ist viel gefährlicher als die Permanentquaker mit ihrem bohrenden Hass; es sind die Serienkiller der Rhetorik, die den direkten Körperkontakt suchen, um leichter den Stahl ins Rückenmark des Redakteurs zu versenken. Mit eiferndem Lob walzen sie die Zwischentöne des Artikels platt, Hymnen kleckern ihnen von der Unterlippe, ein fadenziehender Brei hündischer Ergebenheit. Dicht unter der Oberfläche sind natürlich auch hier Häme und Missgunst der Motor der hündischen Unterwerfung. Keiner, der das Plattgelalle der Skribenten nur einen Tag lang ertrüge, würde sich nicht heimlich zu ihnen zählen, im weiteren und weitesten Sinne, denn auch ohne Arme wäre mancher von ihnen ein guter Journalist geworden. Freilich weiß der mit durchschnittlicher Begabung ausgestattete Blödmensch, dass auch er nur holzschnittartiges Wissen vorliegen hat – wer mit einiger Zielsicherheit die Umrisse von Polen und der Schweiz zu unterscheiden weiß, wird ja heute schon trotz Dementi zum Nahostexperten gekürt, aber man mag eben nicht glauben, dass auch solche Dumpfschlümpfe ihr bisschen Weltbild aus der Lektüre anderer Zeitungen zusammenpappen. Ja, er würde zu gerne dazugehören, Teil des Prozesses sein, der aus toten Bäumen Laberpappe macht, vollgenölt mit individueller Qualitätsmotze, dem Gewissen wie den Anzeigenkunden verpflichtet, aber nienicht unobjektiv, höchstens von felsenfest überzeugter Meinung. Die plaudert der affirmierende Strammsteher nun nach, doch was sollte mehr in ihm stecken als das Fiepen aus dem Bedeutungsnirwana, das im Getröte der Kritik an die Wand geklatscht wird.

Eine weitere Gruppe sülzt die wehrlosen Leser mit der Fülle unsinnigen Wissens zu – gemäß deutschem Weingesetz darf Wein nicht unter der Produktbezeichnung Wein in den Handel gebracht werden, Panama-Hüte kommen nicht aus Panama, und was dergleichen dem Bildungsbürger ins Hirn geschwiemelt wird – um im trüben Glanz der eigenen Wissensfunzel zu stehen, von niemandem wirklich bemerkt oder für voll genommen, aber immerhin existent, falls dies ein Trost sein sollte. Der mangelhaft ausgelastete Freizeitpädagoge lehrt die Mitwelt allerlei Klügelei sowie überflüssigen Scharfsinn, hangelt sich an Tipp- und Flüchtigkeitsfehlern des Originalbeitrags mühsam in die Vertikale und hinterlässt den unangenehmen Eindruck eines Typen, den man früher in der Schulpause nicht einmal geschubst hätte. Mit erhöhter Wahrscheinlichkeit ist er genauso verdübelt wie der Rest der Leser und dem Autor nicht einmal überlegen, denn er hatte eine halbe Woche Zeit, um sein Geweimer zu in die Maschine zu hacken, ein verbaler Balanceakt auf dem Schwebebalken zwischen Aufschneiderei und peinlicher Dummheit, weil Besserwisserei noch kein Anzeichen intellektueller Leistung ist, sondern meist nur eine Kollision zwischen charakterlichen Stockflecken und verbissener Recherche, die als Ergebnis nichts Gutes zeitigen konnte.

Entlarvend ist die Übertragung des Leserbriefs in die dialogisierenden Netzmedien; hier zeigt der Bekloppte, dass er noch nie in der Lage war, eine differenzierte Meinung auszubilden (geschweige denn sie ohne fäkalisierendes Beiwerk zu artikulieren), ernsthaft zu streiten oder in aller Sachlichkeit eine Fehlannahme zu korrigieren. Er bezahlt das Blatt, ist aufmerksamkeitsökonomisch noch immer Hauptsponsor der Umsonstmedien, bildet sein Knochengerüst, das er folgerichtig auch publizistisch vereinnahmt, und macht Meinung, indem er den Regler auf die Zehn dreht. So, wie ihm das die politische Klasse seit Jahren vorturnt – auch der Boulevard, die formunschönen Sabbelkrampen auf Niedrighirnniveau, gehört zum Dreckrand dieser Kaste – greift er mit schmutzigen Fingern ins Getriebe. Und labert, pöbelt, schwallt. Was ihm da aus der Rübe rattert, ist mitnichten das Zeichen neuen Gemeinsinns, da er seine (nicht nennenswert vorhandene) Meinung mit uns zu teilen versucht. Es ist das Symptom einer neurotischen Entgrenzung, die das Druckmedium mit seiner beschränkten Guckkastenbühne nur knapp befördert, zum Wohle aller Beteiligten übrigens. Jetzt aber übernehmen die Flusenlutscher das Regiment und drehen den Spieß um. Die Formen der Selbstdarstellung, Kritik, Lob und das übliche Sendungsbewusstsein der Profilneurotiker, sie verschwimmen milde am Horizont. Was bleibt, ist nur eine Abortwand, vollgemalt mit Tiraden in kreativer Rechtschreibung. Immerhin weiß der Bescheuerte da immer, wo er seinen Beitrag zur Debatte geleistet hat. Er muss ihn nicht einmal ausschneiden und aufkleben. Es kann alles so einfach sein.