Ego-Shooter

18 12 2012

„Wie können wir uns jetzt vor denen schützen?“ „Vor wem?“ „Diese Presseberichte nach Newtown, Sie wissen schon.“ „Ja, ich verstehe. Wir sollten sie loswerden, so schnell wie möglich.“ „Wen meinen Sie?“ „Diese Schmierenjournalisten, wen sonst?“

„Man muss doch diese Debatte öffentlich führen dürfen.“ „Sie haben vergessen, sich zu bemitleiden, weil Sie unter Denkverboten zu leiden hätten.“ „Diese Krankheiten sind viel zu wenig erforscht, als dass man jetzt schon sagen könnte, dass sie nicht gefährlich sein könnten.“ „Und weil die Neurologie noch nicht ausreichend über das Asperger-Syndrom herausgefunden hat, können Sie jetzt schon sagen, was am Ende rauskommt?“ „Es ist doch wenigstens denkbar.“ „Wie kommen Sie überhaupt dazu, Autismus als Krankheit zu bezeichnen?“ „Die Presse sagt es doch auch.“ „Und das halten Sie für eine unumstößliche Wahrheit?“ „Immerhin ist es doch nicht ausgeschlossen.“

„Haben Sie sich eigentlich jemals mit Autismus auseinandergesetzt?“ „Man kann doch nicht ausschließen, dass einer von diesen Menschen mal durchdreht und sich eine Waffe besorgt.“ „Lassen Sie uns über Waffen sprechen, das scheint Sie nicht zu überfordern.“ „Wenn ich es richtig verstanden habe, dann können wir und ja gar nicht vorstellen, was in einem Autisten alles vorgeht.“ „Interessant, erzählen Sie.“ „Die sollen ja teilweise grundlos aggressiv sein.“ „Was Sie nicht sagen.“ „Und dann haben sie depressive Schübe, völlig grundlos.“ „Es wäre Ihnen also lieber, wenn sie ihre Depressionen vorher anmelden, richtig?“ „Man weiß überhaupt nicht, in welcher Welt diese Menschen leben.“ „Deshalb können Sie sie beurteilen.“ „Die haben zur Außenwelt überhaupt keinen Bezug, dass muss man sich doch mal vorstellen. Das ist doch nicht normal, das ist doch gefährlich! Da muss man doch etwas unternehmen können!“ „Gemäß Ihrer Diagnosekriterien könnte man im Handumdrehen jedes Demenzpflegeheim in ein Terrorcamp umdefinieren und dem Erdboden gleichmachen.“

„Wir stehen doch gerade erst am Anfang, da muss man jede Möglichkeit nutzen.“ „Das geschieht auch, nur etwas anders, als Sie es gerade bemerken.“ „Wenn diese Gewalttaten immer wieder an Schulen stattfinden, ist es doch ein eindeutiges Anzeichen, dass die Attentäter dort eine Kränkung erfahren haben.“ „Großartig, in Ihnen schlummert ein sozialpädagogisches Talent. Dann verbieten wir doch am besten Gerichtsurteile, damit sich kein verurteilter Straftäter mehr an Justizbeamten rächen will.“ „Das meine ich doch gar nicht.“ „Und jeder spielt die Hauptrolle in einem Hollywood-Streifen, falls er mal in einem Kino herumballern will. Noch irgendwelche Ideen, falls der nächste Amoklauf in einem Busbahnhof stattfinden sollte?“ „Es steht doch fest, dass die Täter immer gesellschaftliche Außenseiter gewesen sind.“ „Bisher hat sich die Diskussion an Computerspielen festgebissen, wie kommen Sie jetzt auf soziale Randgruppen?“ „Die wollen sich doch immer an der Mehrheit rächen.“ „Dafür, dass die Gesellschaft Menschen mit Beeinträchtigungen ausgrenzt? Dann würde es mich interessieren, von wem hier die Gewalt ausgeht.“

„Der Aufhänger war unglücklich, trotzdem sollten wir als Gesellschaft uns mit den Autisten mehr beschäftigen.“ „Um sie als Gefahrenquelle einzugrenzen?“ „Man wird zumindest ein bisschen sensibler.“ „Sie wünschen sich ein Merkmal mehr auf der Lochkarte. Es ist erst der Anfang, aber sie wollen alle Möglichkeiten nutzen.“ „Wovon reden Sie?“ „Von dem, was Sie mitspielen, weil Sie es nicht verstehen. Von Othering.“ „Aber diese Leute sind doch anders.“ „Und genau das ist es, was Sie denken sollen. Demnächst gelten Rot-Grün-Blinde, Gehörlose und Epileptiker als Terrorverdächtige. Die sind anders, das reicht.“

„Wer hätte denn ein Interesse daran, Menschen auszugrenzen? Das geht doch gar nicht mehr.“ „Dann ist es sicher auch nur Zufall, dass man in der Hauptstadt im Wahn, vor Terroranschlägen warnen zu können, gezielte Denunziationen fördert.“ „Wen will man da fangen? Vor wem wird da gewarnt?“ „Bärtige Männer, die der deutschen Sprache nur mangelhaft mächtig sind und wirre religiöse Vorstellungen haben.“ „Ah, Wolfgang Thierse?“ „Lassen Sie den Quatsch. Erst sind es Bärtige, dann Ausländer, Neger, Arbeitsscheue, Alleinerziehende, Arme, Frauen.“ „Unsinn.“ „Die Presse hatte nichts Besseres über den Attentäter von Aurora zu melden als seine Haarfarbe. Für eine Hexenverbrennung hätte das gereicht.“ „Wir leben nicht mehr im Mittelalter.“ „Der Hexenwahn war keine Sache des Mittelalters. In einer Epoche mit beschränktem, aber konsistentem Weltbild braucht man keine Wahnvorstellungen. Die Hexenjagd setzte ein, als die Reformation und die Kopernikanische Wende die Machtverhältnisse in Frage stellten.“

„Sollen wir denn jetzt unsere Gesellschaft als Rohmaterial zur generellen Rasterfahndung sehen?“ „Es gibt Kreise, die Sie nicht daran hindern werden.“ „Sie meinen wirklich, es ist eine soziale Trainingsmaßnahme?“ „Da Sie es noch nicht herausgefunden haben, sollten Sie es auch nicht ausschließen.“ „Warum reagiert denn die Presse nicht darauf?“ „Haben Sie sich deren Zustand nicht angeschaut?“ „Wie würden Sie den denn sehen?“ „Als hochgradig autistisch.“