Er kritzelte ein paar Notizen in sein Heft. Dann tippte er mit dem Zeigefinger auf das Mikrofon. „Albatros, hier Albatros. Kommen!“ Es knarzte in meinem Kopfhörer. Leises Rauschen und eine abrupte Stille zeigten, die Mission ist nicht einfach. Die Tür flog auf. Ich zuckte zusammen. Die Frau trug eine Polizeiuniform.
„Ruhig“, sagte Berger. „Ganz ruhig. Es ist Tina, die Sie am Eingang empfangen hat. Sie erkennen sie nur nicht wieder, weil sie jetzt hinter einem Schutzhelm steckt und der Sicherheitsbekleidung.“ Dabei war Tina wesentlich nervöser als ich. Nicht jeden Tag gelangte ein Außenstehender in diesen Unterschlupf. Hinter dem Hinterhausflügel öffnete sich ein schmaler Gang bis zum Gartenschuppen, an den ein weites Brachland grenzte, mehrfach abgeteilt durch Maschendrahtzäune. Zwei dieser Parzellen hatten eine Falltür, ein von ihnen war aus Eisen. Die andere, eine morsche Holzklappe, führte zu dem modrigen Raum, der einen komfortablen Lastenaufzug mit elektrischer Beleuchtung beherbergte, den Weg in die Unterwelt. Hier war der Boden mit Teppich ausgelegt, Wasserautomaten standen in den Nischen, Radios und Ventilatoren. „Sie müssen verzeihen“, wandte Berger ein. „Wir hatten noch nie Besuch, schon gar nicht von Personen, die unserer Organisation nicht angehören, und Sie sind nun schon seit gestern hier.“ „Wie kann man Ihrer Organisation angehören“, gab ich zurück. „Mitgliedausweise geben Sie ja nun gerade nicht aus.“ Er lächelte. „Wir wissen schon, ob Sie uns gefährlich werden können.“
An der Wand hing eine Landkarte, gespickt mit vielen blauen, einigen gelben, vereinzelt roten Nadeln. „Napoleon Tango Duisburg“, sprach er ins Funkgerät. „Erwarte Bericht. Kommen.“ Es knackte und knisterte. „Hier Duisburg“, quäkte es leise in der Hörmuschel. „Dichte drei, Ausnahmefall. Kommen.“ „Es sind die Weihnachtsmärkte“, erläuterte Berger. „Der Bundesinnenminister plant ja meistens sehr gründlich. Er gibt über die Medien bekannt, dass ein Großteil der Sicherheitskräfte auf den Weihnachtsmärkten am Boden festgeschraubt wird. Was tun also sämtliche Terroristen?“ Ich kratzte mich am Kinn. „Sie machen für die nächsten zehn Jahre einen großen Bogen um die Weihnachtsmärkte.“ Er nickte. „Richtig. Kein Terrorist weit und breit. Und der Innenminister wird das auch noch als taktischen Sieg feiern, weil er nicht genau begriffen hat, worum es geht.“
Auf dem verrauschten Monitor war ein Mann zu sehen, hinter dessen Rücken ein Papierkorb stand. Der Aufseher griff sich in die Tasche und zog einen kleinen Beutel hervor, sicherlich ein Frühstücksbrot oder eine Tüte Vogelfutter. „Obacht!“ Jetzt warf er es mit lässigem Schwung in den Abfall. Drehte sich um, schritt auf das Häuschen mit dem Schaltkasten zu und nestelte an der Jacke, um die offizielle Trillerpfeife hervorzuziehen. „Sie sehen“, lächelte Berger, „auch den Bahnhof haben wir voll im Griff. Wer in einen bahneigenen Papierkorb eine Tüte mit Kieselsteinen schmeißen kann, der kann auch einen Bahnhof in die Luft jagen.“
Die Liste verzeichnete eine ganze Reihe von Standorten. „Albatros, hier Albatros. Potsdam?“ Stille. „Potsdam? Hallo?“ „Laut Ihrer Liste wäre doch jetzt Stuttgart an der Reihe“, warf ich ein. Er war verärgert. „Erstens haben die Stuttgarter mit ihrem Bahnhof gerade gang andere Probleme, und zweitens handelt es sich um eine Rückrufaktion. Die regierenden Sicherheitsbehörden haben die Gefahr nicht einmal erkannt, also müssen wir den Köder wieder einholen. Wir hatten noch einen Koffer in Berlin.“
Eine der Attrappen stand in der Ecke. „Natürlich nur mit Zeitungspapier“, beruhigte mich Tina. „Wir haben auch keinen Zünder eingebaut.“ „Und warum dann Zeitungspapier?“ „Die Ermittlungsbehörden haben eine panische Angst, sich beim Lügen ertappen zu lassen. Deshalb haben sie sich darauf geeinigt, den Inhalt als brennbares Material zu deklarieren. Das hört sich gefährlich an und ist nicht ganz verkehrt.“
„Napoleon Tango Tübingen. Tübingen? Hallo?“ Nichts rührte sich in der Leitung. Berger stöhnte. „Wie sollen wir das rechtzeitig schaffen. Wir haben ein flächendeckendes Netz, das versorgt sein will – generalstabsmäßige Planung, die Allokation der Ressourcen auf den Punkt, um just in time zu liefern. Wir müssen das organisieren, verstehen Sie? Wir können nicht einfach die ganze Aktion abblasen, nur weil wir plötzlich die Märkte nicht mehr im Griff haben. Wir können nicht einfach so tun, als ob wir uns den Mechanismen unterwerfen, das wird von uns erwartet, dass wir mit unserer Leistung den Markt dominieren.“ „Und wenn Sie von den Geheimdiensten unterwandert worden sind?“ Er schüttelte den Kopf. „Ausgeschlossen. Ich war selbst jahrelang V-Mann, ich kenne die. Notfalls genügt ein Anruf, eine kurze Botschaft nach drinnen – nehmen Sie es mir nicht übel, wir haben Sie natürlich überprüft, aber Sie sind ja sauber – und dann wissen wir, was Sache ist. Nur – “ Berger räusperte sich umständlich. „Wir haben einen ganzen Staat als Gegner, wir können uns keine Sentimentalitäten erlauben.“ Ich lehnte mich zurück. „Durchaus verständlich, aber Sie steigern sich da in etwas hinein. Man sollte ein bisschen mehr Abstand wahren als Freiheitskämpfer.“ Berger sah mich empört an. „Für wen halten Sie mich? An meinem Unternehmen hängen Arbeitsplätze! Wir verkaufen Sicherheitstechnik!“
Satzspiegel