Jahresend und Kerzenschein

20 12 2012

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wirr blinkt es im Küchenfenster, hektisch flirren Leuchtdioden in sechs Farben, eine scheußlicher als die andere. Nein, ich habe mich nicht in der Wohnung geirrt. Hildegard spricht nicht mehr mit mir. Sie ist ohnehin seit heute unterwegs, hat auch schon vorher verbale Kommunikation verweigert und sogar darauf bestanden, dass ich dies Ding im Fenster installiere. Jonas ist schuld.

Pünktlich zum Fest bringt sonst Horst Breschke auffällig bunt bedruckte Schachteln samt als Bedienungsanleitung getarntem Zeichensalat zu mir, diesmal aber war es mein alter Schulfreund, der eins der furchtbaren Leuchtfeuer anschleppte. Ich war drauf und dran, ihn aus besagtem Küchenfenster zu befördern, doch ausgerechnet meine Beste hielt mich zurück. So dürfe man doch nicht mit Freunden umgehen, sprach sie. Schon gar nicht, wenn sie – die Freunde nämlich – Geschenke mit sich führten. Für ein Holzpferd hätte ich noch Platz gehabt. Für dieses Blinkding nicht.

Seitdem redet Hildegard nicht mehr mit mir, doch fällt das momentan nicht ins Gewicht. Sie ist längst im Schoße der Familie in dieser idyllisch gelegenen Kleinstadt mit eigener Straßenlaterne. Da jedoch Jonas sich in den nächsten Tagen Werkzeug ausleihen wird, um den Weihnachtsbaum – dessen Überreste, um der Wahrheit die Ehre zu geben – in eine Art Vertikale zu überführen, muss dies elektrische Folterwerkzeug an Ort und Stelle hängen bleiben. Unter den Anwohnern kursiert das Gerücht, ich sei in der Hand von Kidnappern und hätte dieses Ding installiert, um Notsignale zu senden. Ich rechne stündlich mit einem als Rentierschlitten getarnten Überfallkommando.

Ganz davon abgesehen hat sich meine esoterische Nachbarin angedient, mir eine Lichtwellentherapie zu verpassen. Beim Entsorgen ausgerauchter Räucherstäbchen und biologisch-dynamischer Kartoffelschalen im Hof hatte sie das Sperrfeuer erblickt und spontan beschlossen, meine Chakren auf die Lichtfrequenzen zu harmonisieren. Oder andersherum, so genau hatte ich das nicht verstanden. Ich habe Sigune aus der Wohnung entfernt, als sie sich anschickte, reflektierende Gegenstände in der Küche nach Feng Shui auszurichten. Unter dem Fest der Liebe hatte ich mir etwas anderes vorgestellt.

Einer der Gründe, warum ich heute schreibe, ist übrigens der Kollege Gernulf Olzheimer. Nicht, dass er schwächelte, es geht ihm gut. Nach dem Reinfall in der Hunsrücker Taubenpost, wo man ein Dutzend seiner äußerst geschliffenen Polemiken mit Rücksicht auf die Inserenten stark gekürzt veröffentlichen wollte, landete er beim Längwitzgauboten. Dort mochte der Chefredakteur keine längeren Satzkonstruktionen. Er wird die Rehabilitationsmaßnahmen aller Voraussicht nach überstehen und kehrt dann in seinen alten Beruf als Reißzweckensortierer zurück. Der Chefredakteur. Den Kollegen Olzheimer habe ich damit weiterhin exklusiv und freitags.

Er hat lediglich eine gewisse Furcht, an diesem ominösen Datum, das uns Hollywood seit Jahren in den Cortex schwiemelt (würde er selbst sagen), selbst mit einem fulminanten Verbalgewitter für Erschütterungen zu sorgen. Eine gewisse Neigung zu Verschwörungstheorien ist ihm, dem großen Kulturkritiker und Pessimisten, ja nicht unbedingt fremd. Möglicherweise war es ihm nur peinlich, dies einzugestehen, weshalb er seinen Urlaubsantrag schon zeitig abgegeben hat und den entsprechenden Beitrag auch. Freuen wir uns auf ein weiteres Jahr mit Gernulf Olzheimer, ob mit oder ohne Aluhut.

Breschkes Fusel – er versorgt mich ja stets mit einer Flasche aus ungeklärter Quelle, meist hat seine Tochter irgendeine obskure Essenz aus dem Urlaub mitgebracht und kann die fremdländischen Zeichen auf dem Etikett nicht entziffern, die Zweckdienliches enthalten sollten, wenn man nicht genau weiß, ob es sich um Reisschnaps oder Rostlöser handelt – ist in diesem Jahr bei Staatsanwalt Husenkirchen gelandet, genauer: Tamara Asgatowna, Annes Putzfrau, arbeitet seit September im Haus des Justizbeamten und hat eine der Pullen mitgebracht. Als Gebürtige aus der Oblast Jaroslawl ist sie des Kyrillischen mächtig und konnte sich einigermaßen zusammenreimen, dass man das Zeug zum Silberputzen verwenden kann sowie, entsprechend verdünnt, für die Fensterscheiben. Husenkirchen hat nur genippt. Glücklicherweise bekam seine Gattin mit dem Zeug die Flecken aus dem Anzug.

Tante Elsbeth geht es nicht mehr so gut. Das heißt, es geht ihr schon noch ganz gut, dem Alter entsprechend. Sie erzählt noch immer gerne von dem vorlauten Knaben, den sie als Oberprimaner mit den Neutra der u-Deklination an der Tafel zur Verzweiflung gebracht hat. Aus dem Kerl ist doch noch etwas geworden, der von mir so geschätzte Geschichtslehrer Doktor Conradi, dem wir im Sommer zur Pensionierung gratuliert haben. Tante Elsbeth verbringt jetzt ihre Tage vorwiegend im Sessel vor der Musiktruhe, die ihr mein Großneffe Kester (er hat sein Diplom bestanden und wird jetzt über die Ausrichtung von Spinvektoren promovieren, falls er nicht zwischendurch eine Zeitmaschine baut) in ein Digitalgerät umgebaut hat. Das Ding wird noch immer über die monströse Fernbedienung gesteuert, deren Kabel längst der Dekoration dient, weil die alte Dame diesem modernen Funkkram nicht traut. Dass sie sämtliche Beethoven-Sonaten, mehr oder weniger den kompletten Mozart und eine durchaus repräsentativ zu nennende Auswahl an Scarlatti in der Kiste hat, nimmt sie hin. Gut so.

Wie jedes Jahr ist Siebels, die graue Eminenz der deutschen TV-Produktion, im Süden, und auch diesmal hat er einen schnellen, schmutzigen Job an Land gezogen, Sturm der Rosen der Liebe unter tropischen Palmen oder so ähnlich, ein grauenhaftes Stück plattester Unterhaltung, für das in den Unterschichtensendern bereits Spitzenpreise geboten worden sein sollen. Kein Wunder, immerhin spielt die Ferres nicht mit.

Doktor Klengel fährt am Wochenende zu seiner Schwester, Mandy Schwidarski und mein sehr geschätzter Kollege Minnichkeit von Trends & Friends haben einen in seiner Abscheulichkeit exorbitanten Schlips geschickt – das Ding ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Wichtelgeschenk, das ich bei der Weihnachtsfeier 2004 in der Agentur zu entsorgen versucht hatte. Nicht jedes Wiedersehen macht Freude.

Was auch Anne betrifft. Es war recht still um sie und ihren Max geworden, nachdem sie ihn bei der Herbsttagung der Gesellschaft zur Förderung des Paragrafenreitertums (oder so ähnlich) in weiblicher Begleitung angetroffen hat, da er ihr noch eine Stunde zuvor glaubhaft versichert hatte, er läge fiebernd im Bett. Vielleicht hieß die Dame Angina, man weiß es nicht. Bis auf ein gemeinsames Wochenende in der Toscana und die Besichtigung einer Eigentumswohnung im Stadtpark haben sie sich seither nicht mehr gesehen. Sie wird mir die herzzerreißendsten Dinge über ihn erzählen. Der Champagner und die belgische Schokolade stehen bereit.

Mein Patenkind, eben noch halbwüchsig, legt in Kürze die Prüfung zur Hochschulreife ab. Sie schlägt nach mir, zermürbt ihre Eltern mit der von mir geschenkten Tucholsky-Gesamtausgabe und hat sich bereits angesagt, bei Anne zu gastieren. Aus Vernunftgründen wird auch sie Juristin. Ich werde nie wieder auf einer unbezahlten Rechnung sitzen.

Bleibt zu guter Letzt Bücklers Landgasthof. Am Festtag wird Bruno, der Fürst Bückler, Fasan und Forellen auftischen, eine 1996-er Flunzheimer Schneeschaufel kommt von Hansi dazu, und Petermann wird Rübchen sautieren, dass es seine Art hat. Dann noch die traditionelle Schachpartie, diesmal bin ich zu Gast. Reinmar wird Tee kochen und die Klappe halten. Ich hingegen werde die schwarze Dame auf dem Präsentierbrett angreifen. Gefangene werden nicht gemacht.

Dann wären wir also am Ziel. Das Glöckchen klingelt silberhell, ein Dutzend Engel guckt vorschriftmäßig (Feiertagsstimmung, große Ausführung) aus dem Gesteck auf dem Tischchen (Hildegard hat mich gefragt, warum ich diesen komischen Kunstrasen genommen habe), wir beschließen mit einem Tässchen Punsch und mild leuchtenden Kerzen den Jahrgang in diesem kleinen satirischen Salon, der für jeden eine Sitzgelegenheit und etwas Kurzweil bot. Wie in den letzten Jahren nehme ich mir einige Tage Weihnachtspause, um in aller Ruhe die alten Schätze in Klarsichthüllen zu verpacken, hier und dort nachzulesen, und am Mittwoch, den 2. Januar 2013, geht es dann weiter. In alter Frische.

Allen Leserinnen und Lesern, die dies Blog fast oder fast ganz immer und regelmäßiger als unregelmäßig oder doch nur manchmal oder aus Versehen gelesen, kommentiert oder weiterempfohlen haben, danke ich für ihre Treue und Aufmerksamkeit und wünsche, je nach Gusto, ein fröhliches, turbulentes, besinnliches, heiteres, genüssliches, entspanntes, friedvolles und ansonsten schönes Weihnachtsfest, einen guten Rutsch und ein gesundes, glückliches Neues Jahr.

Beste Grüße und Aufwiederlesen

bee


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2 responses

20 12 2012
lamiacucina

Dass sich der dümmste Dackel im Umkreis schon vorzeitig ohne Bellen und Knurren in seine Hundehütte zurückgezogen hat, macht mich doch stutzig. Falls wir Ihren Blog in 36 Stunden nicht mehr lesen können, hat Herr Olzheimer doch Unrecht. Warten wirs ab. Frohe Weihnachten zu wünschen ist dann noch Zeit (und Grund) genug.

21 12 2012
bee

Da danke ich schon mal im Voraus! Bismarck ist sicher nur ein bisschen wintermüde, und was den Kollegen Olzheimer betrifft, er hat sich bereits für den Sonntagsfrühschoppen im Literaturverein angesagt. Ich hoffe, wir lesen uns im nächsten Jahr wieder.

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