Sigune humpelte. Möglicherweise hatte sie sich die Chakren verstaucht. „Bandscheibe“, hauchte die Nachbarin und stakste stocksteif den Ulmenweg entlang. „Doktor Klengel hat mir Ausgleichssport verordnet. Ich bräuchte nur eben einen, der mir die Tüte bis nach Hause trägt. Ob Du vielleicht – ?“
Nun war es noch ein gutes Stück Weg bis zur Bushaltestelle; allerdings machte die Rückenkranke keine Anstalten, das Verkehrsmittel zu besteigen, sie tastete sich weiter die Straße entlang. „Gleich sind wir da“, informierte sie mich. Mir schwante Übles. „Was bitte hat der Wunsch nach medizinisch indizierter Leibesertüchtigung mit dieser Bude zu tun?“ Sigune war entrüstet. „Sprich nicht so abfällig von Swami Vishnupaninanda! Ich bin mir völlig sicher, er wird ohne ein Wort erkennen, was mir fehlt!“
Sie zählt ja zu den innerlich erleuchteten Menschen – falls man dieses Neun-Watt-Niveau als Erleuchtung durchgehen lassen will. Sigune gießt ihre Topfpflanzen mit levitiertem, linksgerührtem Vollmondwasser und fengt ihr Mobiliar je nach Auffinden neuer Erdstrahlbündel shui, falls nicht Wasseradern sie davon abbringen. Ihre Kartoffeln werden nach Aszendenten geordnet, einen blau gehauenen Daumennagel hielt sie für den Beweis einer indigofarbenen Aura, und durchschnittliche Therapeuten, die sich mit ihr beschäftigen, gehen nach spätestens drei Sitzungen mit ihr zu einem Kollegen, der spontan seine Berufswahl überdenkt. Diese Enddreißigerin ist anders, und das ist gut so. Nicht auszudenken, hätte diese Frau Kinder.
Ätherisches Klingklang klongte durch den Laden, als sie die Tür zu dem kleinen, bis obenhin mit Kitsch vollgestopften Raum öffnete. Der Besitzer, bürgerlich Erwin Pacholke, musterte Sigune, wie sie ächzend den Sitz ihrer Lendenwirbel kontrollierte. „Rücken“, konstatierte er treffsicher. „Siehst Du!“ Trotz ihrer Schmerzen blickte sie mich triumphierend an. „Überzeugt mich kein bisschen“, gab ich zurück. „Er hätte erkennen müssen, dass Du gewaltig etwas am Kopf hast.“ „Was kann ich denn für Sie tun?“ Swami Dingsda verneigte sich dienstfertig. „Ich bräuchte etwas mehr Ausgleichssport, und da dachte ich…“ „Balance!“ Er griff wahllos in den Topf mit bunten Räucherstäbchen. „Ausgleich, innerer Friede, Moschus und Sandelholz, Einheit mit dem Universum und den Schwingungen des Körpers.“ „Pardon“, mischte ich mich ein, „auch wenn es nicht unbedingt so ausseht, es handelt sich um eine Bandscheibensache.“ Altklug zog er die Stirn in Falten. „Das ist natürlich rein psychosomatisch, deshalb müssen wir zuerst mit Aromen die negative Energie im feinstofflichen Leib neutralisieren.“ Sigune nickte. „Wie beim letzten Mal, als ich diese böse Erkältung bekam wegen der Nachwirkungen der Entschlackungskur. Das hat mir total geholfen.“ Swami Vishnupaninanda lächelte überlegen. Was man mit Kamillentee doch alles hinkriegt.
„Aber mal ernsthaft“, wandte ich ein, „Sie wollen mir doch wohl nicht weismachen, Sie hätten Ahnung von Sport. Oder würden Ihren Hokuspokus für eine orthopädische Rückenstärkung verwenden können.“ Immer noch hielt der Esoteriker die Nase in die Luft. „Gerade jetzt um diese Jahreszeit kann man viel für sein Chi tun.“ „Ski? mit dem Rücken soll sie Skifahren!?“ Pacholke war irritiert. „Aber nein, ich meine doch…“ „Also Tai-Chi. Gut, das dürfte gerade noch so hinhauen.“ „Lassen Sie doch Ihre albernen Scherze“, schimpfte er. „Wer hat denn mit dem Quatsch angefangen“, knurrte ich zurück. „Wir können es ja mit Meditation versuchen“, lenkte Sigune ein, „und dazu Ohrkerzen.“ „Sehr sportlich“, spottete ich, „Chi heil!“
Unterdessen hatte der Schmerz in ihrem Rücken zugenommen, sie hielt sich unauffällig an einem Stuhl fest und atmete flach. Swami Pacholke kniff die Augen zusammen „Man könnte natürlich mit auratischer Lichtarbeit beginnen, wegen der Schwingungen, aber das macht meine Schwägerin immer nur freitags.“ „Und ansonsten“, wimmerte Sigune. „Hundefriseurin“, murmelte der Okkultwarenhändler. „Das Kirschkernkissen“, jammerte sie, „hätte ich nur das Kirschkernkissen nicht weggeworfen“ „Kirschkernkissen!“ Swami Dingsbums verdrehte affektiert die Augen. „Diese abgeschmackte Volksmedizin! Gehen Sie mir weg mit dem Zeugs! Das ist doch reine Geldschneiderei, und außerdem nichts als Placebo!“ „Genug jetzt“, fiel ich ihm ins Wort. „Sie sind offensichtlich ein Dilettant, der sich nicht ansatzweise mit Medizin auskennt, sonst wüssten Sie, dass es hier nur einen wirksamen Ansatz geben kann.“ Er schnappte ein. „Wollen Sie mir meine Heilsteinmassage madig machen? Wissen Sie eigentlich, was mich das gekostet hat? Für die Kurse hätte ich zwei neue Reikigrade erwerben können!“ „Papperlapapp!“ Ich ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. „Sie haben die Wurzel dieser Erkrankung nicht erkannt, sonst würden Sie nicht mit Ihrem Duftzeugs daran herumdoktern. Was hier hilft, ist ausschließlich und allein eine Strahlenkonzentrationstherapie.“ Swami Erwin riss ungläubig die Augen auf. „Aber für eine energetische Bündelung bräuchte man ein Medium, und meine Schwägerin kann doch nur freitags!“ „Lieber Freund“, sagte ich herablassend und klopfte ihm auf die Schulter, „Sie haben ja nicht einmal die richtige Vorbeugemaßnahme empfohlen.“ Lässig knöpfte ich mein Tweedsakko auf. „Linksgewoben. Mondkalb. So etwas haben Sie ja gar nicht in ihrer Krimskramsbude.“ Gut möglich, dass kleine feinstoffliche Rauchwölkchen aus Pacholkes Ohren entwichen, ich hatte Sigune schon am Arm gepackt und aus dem Laden gezogen. Was für ein Anfänger, der nicht einmal eine biologisch-dynamische Jacke im Sortiment hat.
Doktor Klengel knipste seine Tasche zu. „Gute Idee“, sagte er, „sehr gute Idee von Ihnen, mein Lieber. Und wenn es bis morgen früh nicht geholfen hat, kleben Sie das zweite Wärmepflaster auf.“
Satzspiegel