Geheimniskram

17 01 2013

„Industriespion? Sie? Solche Leute hatte ich mir immer gang anders vorgestellt.“ „Mit Schlapphüten und angeklebten Schnurrbärten, oder?“ „So in der Richtung.“ „Na, da würde man ja sicher gar nicht auffallen. Muss ich mir merken.“

„Und Sie arbeiten hier in Deutschland?“ „Ja, ein schönes Land.“ „Kann ich mir vorstellen. Da ist jede Menge Kreativität und Fortschritt und so.“ „Kann ich nicht behaupten.“ „Warum nicht?“ „Ich arbeite in der Bundesregierung.“ „In der Regierung? Deshalb auch ohne Schlapphut?“ „Mit Schlapphut fällt man in der Bundesregierung vermutlich noch weniger auf.“ „Und Sie spionieren die Bundesregierung aus?“ „Nein, ich spioniere für die Bundesregierung.“ „Ah, verstehe. Und was kundschaftet man da so aus?“ „Allerhand. Man guckt mal hier, mal da, und dann verrät man der Regierung, was man rausgefunden hat.“ „Donnerwetter, das muss ja ein spannender Beruf sein!“ „Geht so. Meistens ist die Sache ziemlich langweilig.“ „Was sind das denn nun für Sachen? Militärische Geheimnisse?“ „Weniger.“ „Oder wer wem Waffen liefert?“ „Das erledigen wir meistens selbst.“ „Was denn nun?“ „Die Herdprämie.“ „Wie, die haben Sie ausspioniert?“ „Ich habe herausgefunden, dass es die in anderen Ländern auch gibt.“ „Und deshalb wollte die CSU sie dann plötzlich auch?“ „Die wollten sie schon vorher.“ „Und Sie haben dann herausgefunden, die gibt’s ja schon? Toll!“ „Jeder wusste das, nur die CSU nicht. So spannend ist mein Job ja auch wieder nicht.“

„Also da finden Sie so Sachen raus…“ „Eher nicht.“ „Aber Sie sind doch Spion?“ „War ich mal. Lohnt sich aber nicht.“ „Warum nicht?“ „In Deutschland wird ja nichts mehr entwickelt. Die meisten Firmen machen sich lieber ins Hemd, dass jemand an ihren Ideen mitverdienen könnte, und lassen es dann lieber gleich bleiben.“ „Verstehe, deshalb sind Sie dann auch in de Politik gegangen.“ „Ich bin nicht in der Politik, ich bin Berater.“ „Aber Sie haben doch gesagt, Sie arbeiten für die Regierung?“ „Richtig, aber ich bin kein Politiker.“ „Wo ist da der Unterschied?“ „Ich muss wissen, wovon ich rede.“

„Dann haben Sie nicht ausgekundschaftet, dass es die Herdprämie schon gibt.“ „Richtig.“ „Und warum wo ist das Problem?“ „Ich habe auch herausgefunden, dass sie völlig falsch wirkt.“ „Und dann hat die CSU sie trotzdem durchgesetzt.“ „Auch richtig.“ „Weil Sie nur Berater sind.“ „Eben.“ „Wozu hat man dann eigentlich Berater, wenn man sich sowieso nicht an ihren Rat hält?“ „Ich habe keine Ahnung. Vielleicht sollte ich es mal herausfinden.“

„War das denn Ihr einziger Auftrag?“ „Ich habe ja auch ausgekundschaftet, wie das mit den Schulden funktioniert.“ „Wegen der Krise?“ „Eben. Ich habe mir das in Griechenland angesehen.“ „Und dann?“ „Sie haben sich angehört, dass man durch Sparmaßnahmen die Schulden nur vergrößert.“ „Lassen Sie mich raten: sie waren begeistert?“ „Absolut. So begeistert, dass sie es in Spanien auch durchziehen wollen.“ „Und was bringt das?“ „Das bleibt wohl für immer Geheimniskram.“

„Und woran arbeiten Sie derzeit?“ „Mehrere Sachen. Momentan versuche ich herauszufinden, warum so viele Staaten einen Mindestlohn haben und noch nicht bankrott sind.“ „Warum sollten denn Staaten dadurch bankrott gehen?“ „Fragen Sie mich nicht. Die Bundesregierung hält ihre Ansicht für alternativlos.“ „Sie sollten Argumente finden, warum es einen Mindestlohn nicht geben kann.“ „Das Argument war ja klar: mit einem Mindestlohn geht sofort die ganze Wirtschaft kaputt, und wenn erst die ganze Wirtschaft kaputt ist, kriegen die Regierungsparteien keine Parteispenden mehr.“ „Moment, es ging doch gerade eben noch um den Staat?“ „Für die Bundesregierung sind solche Unterschiede zu vernachlässigen.“ „Sie haben als Berater also herausgefunden, dass es in den meisten Staaten der EU einen Mindestlohn gibt.“ „Genau.“ „Und es hat die Regierung nicht interessiert.“ „So kann man das sagen.“ „Dann habe ich das Prinzip gerade verstanden.“

„Nächstens bin ich übrigens mal wieder im Auslandseinsatz.“ „Interessant, wo geht’s denn hin?“ „Weiß ich noch nicht. Aber es wird sich um wirtschaftliches Fachwissen handeln.“ „Interessant. Geht es da um den Fachkräftemangel?“ „Auch, aber in erster Linie um niedrige Gehälter und Lohnsenkungen.“ „Oh, da braucht’s tatsächlich noch Nachhilfe?“ „Offensichtlich ja.“ „Und Sie haben bestimmt auch mit der Ausweitung des Niedriglohnsektors zu tun, richtig?“ „Richtig. Auch wenn das kein Geheimnis mehr ist.“ „Schlechte Qualität in der Pflege und in den Erziehungsberufen auch?“ „Kommt auch vor.“ „Bildungsmangel?“ „Darauf werde ich besonderes Augenmerk haben.“ „Und Sie wissen schon genau, wie Sie das herausfinden?“ „Das bringt der Job als Spion so mit sich.“ „Faszinierend!“ „Na, jetzt übertreiben Sie mal nicht. Den größten Teil kann man ja von zu Hause aus erledigen.“ „Ich dachte, Sie haben einen Auslandseinsatz?“ „Richtig. Die wollen doch wissen, wie das hier alles vor die Hunde geht.“ „Sie sind doch Spion, oder?“ „Richtig.“ „Und das ist doch eher – ich meine, Sie sind doch nicht nur Berater?“ „Nein, ich arbeite nur nicht ausschließlich für die Bundesregierung.“ „Wie soll ich das denn verstehen?“ „Ich bin Doppelagent. In Deutschland kommt man ja ohne einen Nebenjob nicht mehr über die Runden.“